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heutige Mindeststandards, man hier heizt
buchstäblich zum Fenster hinaus.
Die Schlussfolgerungen in dem For-
schungsbericht sind ernüchternd: Von den
42,8 Millionen Wohnungen in Deutsch-
land bewerten die Experten auf Grund-
lage der festgestellten Mängel, der pro-
blematischen technischen und sonstigen
Gebäudedefizite, aufgrund der unprakti-
schen Grundrisse, der lückenhaft durch-
geführten Modernisierungen sowie des
prognostizierten Bedarfs an generatio-
nengerechten Umbauten und aufgrund
vieler individueller Kriterien „4,1 Millio-
nen Wohnungen als nicht wirtschaftlich
modernisierungsfähig“. Von den 16 Mil-
lionen Ein- und Zweifamilienhäusern
gilt diese Einschätzung für 1,8 Millionen
Gebäude. Ergibt unterm Strich knapp
sechs Millionen Häuser und Wohnun-
gen, denen aus praktischen, wirtschaft-
lichen und energetischen Gründen also
die Abrissbirne droht.
Lieber Abriss als endlos sanieren?
Für Ralf Weitz, Chef vom Wohnmarkt-
portal Immo-Scout24, steht deshalb der
Wechsel des Energieträgers für Wohn-
gebäude im Vordergrund. Er sieht sonst
für viele Mieter und Selbstnutzer eine
„Wohn-Inflation“ heraufziehen, die sich
viele selbst heute mit den Preis-Schocks
noch gar nicht vorstellen können. Seine
Rechnung: „Nehmen Sie eine Brutto-
warmmiete heute von 1000 Euro, davon
gehen im Schnitt 300 Euro auf das Kon-
to von Energiekosten für Heizen und
Strom. Bei einer absehbaren und heu-
te schon spürbaren Preissteigerung um
30 Prozent für Energie aus fossilen Quel-
len können Sie ausrechnen, wann die
Energiekosten die eigentliche Miete
übersteigen“, prognostiziert Ralf Weitz.
Das würden jedoch die Mieter nie
und nimmer einsehen, also müsse etwas
unternommen werden. Dämmen, Fens-
ter austauschen und umbauen sei schön
und gut, „aber da brauchen wir Jahr-
zehnte, bis wir durch sind“, sagt Weitz.
„Bei vielen Altbauten sollten wir uns ehr-
lich eingestehen, dass sie selbst mit viel
Sanierungsaufwand nie akzeptable Ener-
giewerte erreichen können. In diesem
Falle sollte abgewogen werden, ob neu
bauen nicht die bessere Alternative ist.“
Das hat er als Altbau-Fan selber mit ein-
zelnen Verbesserungsversuchen leid-
voll erfahren müssen und ist heute ein
überzeugter Anhänger von Neubauten.
„Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass
selbst die aufwendige Sanierung eines
Altbaus nur suboptimale Ergebnisse her-
vorbringt.“ n
„Es gilt das Windhund-Prinzip“
Energieberater Martin Brandis plädiert dafür, Förderanträge rasch
einzureichen und davor einen Sanierungs-Fahrplan aufzustellen
gefördert. Für eine Wärmedämmung der
Gebäudehülle oder neue Fenster gibt es
20 Prozent Zuschuss, für eine Umstel-
lung der Heizung auf erneuerbare Energien
35 Prozent. Und wenn man seine alte Öl -
heizung austauscht gegen Holzpellets oder
eine Wärmepumpe, dann sogar 45 Prozent.
Wie ist das gedeckelt?
Die maximale Fördersumme beträgt jedes
Kalenderjahr 60 000 Euro. Die kann ich also
immer wieder in Anspruch nehmen. Ange-
nommen, ich baue eine Wärmepumpe für
30 000 Euro ein und bekomme 10 000 Euro
Förderung. Dann darf ich im selben Jahr
noch eine andere Maßnahme in Höhe von
30 000 Euro fördern lassen.
Ist es sinnvoll, die Sanierungen
über die Jahre zu verteilen?
Ich rate, dann lieber gleich auf einen Effi-
zienzhaus-Standard 40 zu gehen und alle
Einzelmaßnahmen zusammenzupacken.
Das hat nicht nur den Vorteil, dass alles
unterm Strich den Anforderungen genügen
muss und nicht jede Einzelaktion. In den
meisten Fällen ist außerdem die Förderung
als Effizienzhaus höher.
Jetzt wird oft ein Sanierungs-
Fahrplan empfohlen.
Warum ist der wichtig?
Wesentlich ist die sinnvolle Abfolge von
Einzelmaßnahmen. Momentan wollen alle
weg von Putins teurem Gas und fragen
wahllos nach alternativen Heizsystemen.
Dabei gehört zuerst die Bausubstanz unter-
sucht und je nach Ergebnis die Reihenfolge
festgelegt. In vielen Fällen sollte zunächst
die Außenwand gedämmt werden, samt
Fenster-Erneuerung. Dadurch verändert
sich schon der Wärmebedarf, und man kann
die neue Heizanlage kleiner dimensionieren.
Und woher bekommt man so
einen Sanierungs-Fahrplan?
Den erstellen ebenso Energieberater. Die
Kosten können vierstellig sein, aber auch
hier gibt es 80 Prozent Zuschuss vom Staat.
Das lohnt sich also doppelt.
Und wovon raten Sie dringend ab?
Wieder mit Strom direkt zu heizen. Die
Idee taucht jetzt öfter auf, ist aber klar zu
teuer. Eine Wärmepumpe ist viel effizien-
ter und kann Strom im Verhältnis 1 : 2 oder
1 : 3 in Heizenergie umwandeln. n
INTERVIEW: MATTHIAS KOWALSKI
Herr Brandis, welche staatliche
Förderung gibt es heute im Wohn-
bereich überhaupt noch?
Es wird weiter gefördert, aber: Nachdem
die Förderung für Effizienzhäuser 55 aus-
gelaufen ist, weil deren Vorgaben ohnehin
heute Baustandard sind, gibt es aktuell
nur noch eine Förderung für sehr nachhal-
tige Gebäude der Effizienzhaus-Klasse 40.
Die müssen zusätzlich das „Qualitätssiegel
Nachhaltiges Gebäude“ mitbringen - etwa
für verwendete Baustoffe und Materialien.
Das klingt teuer.
Ja, aber das muss nicht immer viel teu-
rer sein, denn die Technologien dafür exis-
tieren schon lange und es gibt mehr Anbie-
ter als früher.
Wie viel gibt es für einen guten Neubau?
Für den Standard Effizienzhaus 40 gibt es
bis zu 150 000 Euro als vergünstigten Kre-
dit oder mit einem Tilgungszuschuss pro
Wohneinheit. Das sind bis zu 18 750 Euro,
die vom Kredit nicht zurückgezahlt wer-
den müssen. Vergeben wird das Ganze nach
dem Windhund-Prinzip: Wer zuerst be-
antragt, erhält den Zuschlag.
Sind die Fördertöpfe nicht leer?
Nein, wir raten dazu, weiterhin Anträge
einzureichen. Was viele nicht wissen: Man
darf mit dem Vorhaben beginnen, sobald
der Antrag gestellt ist. Auf die Bewilligung
warten sollten aber insbesondere Eigen-
heimbauer, die mit Krediten finanzieren.
Wie viel Geld gibt es für Sanierungen?
Hier werden neben Komplettsanierungen
zum Effizienzhaus auch Einzelmaßnahmen
Martin Brandis, 58, arbeitet als Referent
für die Energieberatung beim Verbraucher-
zentrale Bundesverband in Berlin
Fotos: ecoworks GmbH (2), Frank Hanswijk, dpa