TRADITION
Foto: Alessandro Garofalo/LaPresse
Modell auf den Markt – es wurde auch
Zeit. „Dieses Auto wird ein Game Chan-
ger“, glaubt der neue Boss, „vor allem
im Sinne von Profit und Qualität. Unser
Maßstab ist BMW.“ Und selbst wenn er
das einzig auf die Qualität bezieht, ist das
noch verdammt ambitioniert.
Neues Modell, neuer Chef –
neue Hoffnung? Der Italo-
Franzose Jean-Philippe Im -
parato hat bereits erfolgreich
die Marke Peugeot saniert,
und er ist sicher, dass ihm das
auch mit Alfa Romeo gelingt.
Das ist seine geschäftliche
Mission, es ist ihm auch ein
persönliches Anliegen. Die
Marke hat eine Bestands-
garantie für zehn Jahre. Der
Geschäftsplan für die nächs-
ten fünf Jahre ist von Stel-
lantis-Boss Carlos Tavares
abgesegnet; jedes Jahr soll
ein neues Modell auf die
Straße rollen und den Pre-
mium-Markt aufmischen.
Der Kompakt-SUV Tonale,
benannt nach einem Pass,
der die Grenze zwischen der
Lombardei und dem Trenti-
no markiert, macht in diesem
Sommer den Anfang. Er wird
gebaut in einer Fertigungs-
straße, von der Imparato sagt,
sie sei die modernste, die er
je gesehen hat. Die Investi-
tionen sind da, der Konzern-
chef hat einen seiner besten
Manager in die Zentrale nach
Turin abkommandiert. Stellt
sich also die Frage, wer der
größere Hoffnungsträger ist:
das Auto oder der neue Boss?
Alfa Romeo hat keine Kun-
den, sondern Fans. Wenn
Imparato über den deut-
schen Markt referiert, dann
spricht er von passion – Lei-
denschaft. Wobei das Wort
wegen seines witzigen französischen
Akzents eher nach patience klingt –
Geduld. An beidem ist was dran.
Die betörend schönen, ja skulpturalen
Autos machen aus Alfa Romeo ein Stück
italienische Kulturgeschichte. Man liebt
sie und kann als Besitzer an ihrer Diven-
haftigkeit auch öfter mal verzweifeln.
Aber zuletzt schien es eher, als sei die
Marke nur mehr Geschichte. Im Sinne
von perduto, morto, invisibile. Pro Jahr
ten Auto statt zum rasenden iPad, dazu
feines Leder mit edlen Ziernähten und
Carbon-Elemente. Dagegen fühlt man
sich in einem Tesla wie in der zweiten
Klasse der bulgarischen Staatsbahn. „Ich
will ein fahrerzentriertes Auto“, sagt
Imparato, „wir brauchen eine
Informationsentgiftung und
darum weniger Bildschir-
me.“ Das passt schon mal.
Gleichwohl versetzen die
puren Leistungsdaten einge-
schworene Alfisti nicht unbe-
dingt in Euphorie. Das Top-
modell ist ein Plug-in-Hybrid
mit einem 1,3-Liter-Benziner
und einem Elektromotor für
202 kW. Die sollen ihn rein
elektrisch 60 Kilometer weit
bringen. Klingt wie ein bes-
serer Opel oder Citroën, die
Stellantis-Schwestern. Echt
jetzt? Imparato ist den Tonale
natürlich längst selbst gefah-
ren, er sagt: „Glauben Sie
mir, das ist ein echter Alfa.“
Automatisierung versus
menschliche Fehler?
Als Imparato vergangenes
Jahr im Januar seinen Job
antrat, hat er erst mal die
Auslieferung des Tonale ver-
schoben. Der Wagen war für
ihn kein Alfa. Imparato war
mit der Reichweite nicht ein-
verstanden, fand die Soft-
ware veraltet, und überhaupt
entsprach das ganze Paket
nicht seinen Vorstellungen
von Aufbruch. Wann exakt
der erste Kunde in seinem
Tonale sitzen wird, ist wei-
terhin unklar, denn auch jetzt
noch wird jedes der wenigen
Autos, die zurzeit pro Tag
gebaut werden, stundenlang
durchgecheckt, in den Wet-
terkanal gestellt und über
die hauseigene Teststrecke gejagt. „Ich
will keine Fehler, verstehen Sie? Fehler
kosten Geld“, sagt Imparato. „Deswegen
reden wir erst über Liefertermine, wenn
das Auto perfekt ist.“ Einstweilen ist der
Marktstart für Mitte Juni geplant.
Das Werk in Pomigliano ist ein Symbol
für die düsterste Ära in der Geschichte
Alfa Romeos. In den siebziger Jahren
wurde hier der Alfasud produziert, als
eine Art Solidaritätsprogramm des
kaum noch 50 000 Stück verkauft. Welt-
weit. Aus Ideen wurden Versprechen,
aber keine Produkte. Imparato will die-
sen Mythos reanimieren und eine Marke,
die für ihre geradezu sinfonisch klingen-
den Motoren berühmt ist, in das Zeitalter
der Elektromobilität überführen. Für ihn,
sagt er, drückt sich die Faszination der
Stille in Vibration aus. Und das ist es,
was Alfa Romeo wieder werden soll: eine
vibrierende Sehnsuchtsmaschine.
Ob der Tonale das Zeug dazu hat?
Schwer zu sagen. Das Design ist wie
üblich umwerfend: äußerlich aggressiv
und lässig zugleich, das Interieur von
famoser Detailliebe. Traditionelle runde
Instrumente machen ihn zu einem ech-
Die Game Enhancer Die Fabrik Giambattista Vico in Pomigliano bei
Neapel ist die am höchsten automatisierte und modernste Fertigungs-
anlage im Stellantis-Konzern. Hier wird der Alfa Romeo Tonale gebaut
Die Game Stopper Das Werk war in den sechziger und siebziger Jahren
berüchtigt für den unfassbar schnell rostenden Alfasud und die ewigen
Streiks der Belegschaft – zumeist Bauern und Maurer aus der Gegend