WIRTSCHAFT TRADITION
Foto: Max Kratzer für FOCUS-Magazin
hoch industrialisierten Nordens für den
Süden, der von Landwirtschaft, Arbeits
losigkeit und Abwanderung geprägt war.
Leider rosteten die Alfasuds aber noch
schneller, als sie fuhren, und die Beleg
schaft, zumeist Bauern aus der Region
und nur mäßig umgeschulte Maurer, die
das Werk gebaut hatten, legten mit ihren
Streiks ständig den Betrieb lahm. Auf
dem Gelände rotteten die Rohkarosse
rien im Freien noch dazu vor sich hin.
Dass ausgerechnet hier die Qualitäts
offensive starten soll, hat schon eine eher
unitalienische Ironie.
Rote Autos, rote Zahlen?
Während Imparato durch die Fabrik fla
niert, wird zumindest die Richtung klar,
in die es bei Alfa Romeo gehen soll. Die
Fertigung hat den höchsten Automatisie
rungsgrad des gesamten Konzerns. Impa
rato bleibt an einer Stelle
stehen, an der Karosserie
und alle mechanischen Ein
heiten von mächtigen Robo
terarmen zusammengesetzt
werden. Sie nennen diesen
Teil tatsächlich „die Ver
mählung“. Das ist wiederum
sehr italienisch. Die Arbeiter
jedenfalls müssen nur noch
ein paar Schrauben anzie
hen. „Ich will menschliche
Fehler reduzieren“, sagt der
Chef. Wenn Maschinen und
künstliche Intelligenz die
meisten repetitiven Tätig
keiten übernehmen, ist auch
das Ergebnis berechenbarer.
Und zuverlässiger.
Qualität und Profit. Für
Imparato ist das eine Wech
selbeziehung; er erwähnt
diese Begriffe, als hätten
sie autosuggestive Kraft. Er
sagt: „In der Autobranche
gibt es ein Gesetz. Entwe
der du bist rentabel oder
tot.“ Nun ja, Alfa Romeo
hatte seine beste Zeit in
den sechziger Jahren, als
der ikonenhafte Duetto im
Film „Die Reifeprüfung“
zum zweiten Hauptdarstel
ler neben Dustin Hoffman
wurde. Doch danach waren
die Zahlen meist so rot wie
die Autos. Quasi Koma
status. Imparato hat
gleich in seinem ersten
Geschäftsjahr mit Alfa
Romeo mehrere Hun
dert Millionen Euro zum
Konzernergebnis von
Stellantis beigetragen;
die chronisch defizitä
re Marke selbst machte
erstmals wieder Gewinn.
Wie das ging? „Kosten
runter, Preise rauf“, sagt
Imparato und grinst. Als
wäre das so einfach. Für ihn ist das Pri
cing jedenfalls keine Vertriebsmethode,
sondern Teil der Positionierung. Er sagt:
„Diese Marke verdient höhere Preise.“
Es geht ums Image. Alfa Romeo war
immer schon die Marke all jener, die sich
keinen Ferrari leisten können und nicht
in einem BMW gesehen
werden wollen. Und so soll
sie nun die global premium
brand im StellantisKonzern
werden. Stückzahlen, das
hat sogar Konzernchef Tava
res versprochen, sind nicht
die relevante Erfolgsgröße,
sondern die Marge. Und der
Gewinn. „Wir brauchen Sta
bilität, Vertrauen und eine
langfristige Strategie“, sagt
Imparato. Letztere steht für
die nächsten zehn Jahre.
2025 soll der erste vollelek
trische Alfa Romeo in den
Verkauf gelangen, zwei Jah
re später soll die gesamte
Marke zu 100 Prozent elek
trisch sein. Es ist ein kom
pletter Paradigmenwechsel.
In den vergangenen Jahr
zehnten wäre es wohl ein
facher gewesen, den Papst
davon zu überzeugen, zum
Protestantismus zu kon
vertieren, als das Schicksal
von Alfa Romeo zu verän
dern. Und das Vorstands
büro schien mit einer Dreh
tür ausgestattet zu sein – so
schnell waren neue Chefs
auch schon wieder drau
ßen. JeanPhilippe Impa
rato ist gekommen, um zu
bleiben. Das Hauptquartier
in Turin hat er in ein
agiles Startup verwan
delt, und mit Alejan
dro MesoneroRomanos
einen neuen Designer
verpflichtet, den er erst
mal ins Museo Storico
nach Arese schickte, um
die Wurzel des Mythos
zu erkunden. Imparatos
Gattin ist auch von Paris
nach Turin umgezogen,
der Sohn studiert in
Mailand, bloß die Toch
ter macht ihr MedizinExamen noch in
Frankreich. Der neue Chef meint es ernst.
Peugeot hat zuletzt Millionen Autos pro
Jahr verkauft. Vom Massenhersteller zur
MarginalManufaktur zu wechseln, sagt
er, „das macht man nicht aus Karriere
gründen.“
Es geht um Identität. JeanPhilip
pe Imparato wuchs etwas südlich von
Montpellier auf, als Sohn italienischer
Einwanderer, denen die Sprache ihrer
Heimat verboten war; Italienisch hat er
erst als Erwachsener gelernt. Das erste
eigene Auto seines Vaters war eine blaue
Giulia 1300 TI Super. „In dem Wagen bin
ich gewissermaßen geboren“, sagt er,
und er würde einiges dafür geben, exakt
so ein Modell aus den Sechzigern noch
einmal zu kaufen. Bislang hat er aber
noch keinen brauchbaren gefunden, da
hilft nicht mal der neue Job. So gesehen,
führt er das kulturelle Erbe der Familie
fort. Er sagt: „Meine Mutter ist jedenfalls
sehr stolz darauf, mich in dieser Position
zu sehen. Und ich wünschte, mein Vater
hätte das noch erleben können.“
Ein vollelektrischer Roadster?
Der hätte sicher auch ein paar Vorschläge
für den Sohn. Ein rein elektrisches Zwei
sitzerCabrio zum Beispiel? Imparato wird
ganz enthusiastisch bei dem Gedanken.
„Oh ja, den Duetto wieder aufleben las
sen – das ist mein Traum“, sagt er. Und
er erzählt, dass sein Boss Carlos Tavares
ebenfalls ein großer Verehrer der Mar
ke sei und begeistert von der Idee. Aber
trotzdem wolle der erst mal ordentliche
Zahlen sehen. Und da muss man plötzlich
wieder an die Drehtür zum Chefbüro den
ken. Denn so kann das in der Wirtschaft
auch laufen mit der Liebe: Manchmal hält
sie nur bis zur ersten Bilanz.n
Stückzahlen sind keine relevante Erfolgskennzahl, sondern Qualität und Profit
13,4
425
750
35 500
Milliarden Euro
betrug der Gewinn des
Alfa-Mutterkonzerns
Stellantis 2021
Mitarbeiter
bauen in Pomigliano
das neue Auto
Roboter
sind in der modernsten
Fertigungsstraße des
Konzerns im Einsatz
Euro
kostet der Alfa
Romeo Tonale
in der Basisversion
Das Spielzeug FOCUS-Autor
Markus Götting liebt seinen Alfa
Romeo Spider – und verzweifelt
oft an dessen Divenhaftigkeit