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Fotos:
mauritius images, Amanda Dahms Illustration: Jörg Dommel,/FOCUS-Magazin
D
enken Sie nicht an rosarote Elefan-
ten! Jeder gute Psychotherapeut
weiß, dass Sprache Macht hat, weil
sie unvermeidlich Wirklichkeiten produziert.
Deswegen wird er vermeiden, unermüdlich
die Defizite seines Gegenübers zur Sprache
zu bringen. Nur so kann der Therapeut die-
sen die Macht über den Patienten nehmen
und stattdessen den Scheinwerfer auf die
Ressourcen, also auf die Kräfte und Fähig-
keiten der Person lenken. Psychotherapie ist
eine kluge, professionelle Anwendung von
Sprache.
Politik hat ebenso im Wesentlichen mit
Sprache zu tun. Demokratische Politiker
müssen öffentlich in klaren Worten überzeu-
gende Gründe für ihre Entscheidungen nen-
nen. Die Rede im Parlament, im Wahlkampf
auf der Straße, in der Talkshow ist der Vollzug
der „res publica“, der „öffentlichen Sache“.
Wer nicht vermag, sorgfältig mit seiner Spra-
che umzugehen, ist fürs politische Geschäft
nicht geeignet.
Der Krieg in der Ukraine stellt an unsere
politische Elite in dieser Hinsicht unerwartet
höchste Ansprüche. Olaf Scholz, der noch
kürzlich als kompetenter Finanzminister
gegen die Unbilden der Pandemie mit einem
kecken Lächeln „die Bazooka“ auspackte, soll
nun plötzlich reale Waffen liefern, Führung
zeigen, ein ganzes Volk darüber aufklären,
dass es ab sofort keine Friedensdividende
mehr gibt. Er soll kraftvoll und besonnen
zugleich wirken. Dabei scheint es ihn sicht-
bar zu frösteln. Während Robert Habeck und
Annalena Baerbock authentisch wirken, hat
der Kanzler offenbar die Sprache verloren.
Erst eine Woche nach der emotionalen Rede
von Wolodymyr Selenskyj vor dem Deutschen
Bundestag fand er zögerlich zu einer Antwort,
bei der wichtigen Debatte über schwere Waf-
fen weilte er in Japan, beim Ärger über drän-
gende Abgeordnete entglitt ihm gänzlich die
Sprache. Er redete despektierlich von Bun-
destagsabgeordneten als „Jungs und Mädels“.
Nun kann aber das Unterschätzen
sprachlicher Wirkungen in einer poli-
tischen Krisensituation fatal sein. Der
Deutsch-Französische Krieg von 1870/71
wurde durch die berühmte „Emser Depe-
sche“ ausgelöst, die von Bismarck in einer
wohlkalkulierten sprachlichen Form an die
Presse gegeben worden war. In der jetzigen
Situation ist es zwar unwahrscheinlich, dass
Wladimir Putin sich in seinen imperialisti-
schen Absichten durch westliche Sprach-
unfälle antreiben oder bremsen lässt. Freilich
sind seine ursprünglichen Pläne so gründlich
gescheitert, dass man besondere sprachliche
Provokationen dennoch vermeiden sollte.
Wenn tatsächlich entscheidend ist, dass
weder die Nato noch Deutschland Kriegs-
partei werden, dann müssen Politiker sich
ihrer besonderen Rolle bewusst sein und
nicht, wie jüngst geschehen, davon sprechen,
man sei zwar nicht juristisch, aber de facto
„Kriegspartei“. Und wenn der Kanzler sein
hilfloses Zögern bei wichtigen Entscheidun-
gen in seiner Not damit begründet, es dürfe
keinen „Dritten Weltkrieg“ geben und auch
keinen „Atomkrieg“, dann hat er den rosa-
roten Elefanten ebenso unbeabsichtigt wie
unübersehbar in den
Raum gestellt. Wer ver-
ständlicherweise Angst
vor einem Atomkrieg
hat, sollte daran den-
ken, gerade deswegen
nicht leichtfertig über
ihn zu reden.
Der Psychiater und
Theologe Manfred Lütz
schreibt hier
im wöchentlichen
Wechsel mit der
Ärztin Yael Adler
Im Fall der Ukraine fordert Manfred Lütz
vom Kanzler Sorgfalt bei der Wortwahl
ECHT IRRE
Im gleichen Trott
Dem Geruch nach Ein Indischer Schlan-
genhalsvogel putzt sein Gefieder
S
olange sie nicht Musik oder Kon-
kurrenz anstachelt, verfallen Läufer
stets in dasselbe Tempo, fanden Forscher
aus den USA und Kanada heraus. Das
gelte für jede Distanz bis etwa zehn Kilo-
meter. Verantwortlich sei das evolutionär
eingebaute Energiesparprogramm.
Sportmedizin
Zahl der Woche
Des Vogels „Nase“
B
ei den meisten Vogelarten befindet
sich an der Wurzel des Schwanzes die
Bürzeldrüse. Mit deren öligem Sekret
pflegen die Tiere mehrmals täglich ihr
Gefieder. In einer Studie weisen Biologen
unter der Leitung der Universität Bielefeld
auf weitere Funktionen hin. Denn je nach
Tier und Jahreszeit schwankt die Zusam-
mensetzung des Bürzelöls. Offenbar
diene die Substanz auch der olfaktori-
schen Tarnung des Nests, signalisiere
einen passenden Partner und möglicher-
weise ein Verwandtschaftsverhältnis, so
die Experten. kmm
6
Tage
früher als vor 100 Jahren beginnen
Wildpflanzen des Waldes zu
blühen, ergibt ein Vergleich historischer
Aufzeichnungen.
Quelle: Willems F et al in New Phytologist
Verhaltensforschung
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