Das Original
Jean stampe unD maurice VertOngen,
beide Belgier, waren bereits zehn Jahre mit Lufttransport
und ihrer Flugschule im Geschäft, als sie den jungen Ingeni-
eur Georges Ivanow beauftragten, ein neues Flugzeug zu
konstruieren. Das war 1932. Musterbezeichnung: SV-4.
Zwei Jahre zuvor hatten sich die Antwerpener mit dem
britischen Flugzeugbauer De Havilland zusammengetan,
dessen Moth-Typen sie vertrieben. Die SV-4, so die Vorgabe
an Ivanow, sollte sich an der Tiger Moth orientieren. Stampe
& Vertongen wollten aber doppelte Querruder, um die Wen-
digkeit zu verbessern; die Tiger Moth hat einfache. Heraus
kam ein kunstflugtauglicher Doppeldecker in Holzbauweise
mit bespannter Zelle. Am 13. Mai 1933 fand der Erstflug
statt. Als SV-4B war die Maschine zunächst mit einem 130
PS starken De Havilland Gipsy Major motorisiert. Nach dem
Zweiten Weltkrieg – 1944 war die Firma zerstört worden –
nahmen Stampe & Vertongen ihre Partnerschaft mit Alfred
Renard wieder auf, der schon früher für sie Flugzeuge kon-
struiert hatte. Die Nachfolgefirma Stampe et Renard rüstete
die SV-4B mit einem Gipsy Major X aus, der 145 PS leistete.
Die C-Version erhielt Renault-Motoren mit 135 oder 145 PS,
luftgekühlte hängende Reihenvierzylinder wie der Gipsy
Major. Je nach Ausstattung, Motor und Erhaltungsmaßnah-
men beträgt die Leermasse der SV-4 505 bis 570 Kilo, die
Höchstabflugmasse liegt bei 780 Kilo. Im Reiseflug werden
150 bis 160 km/h erreicht. Primär diente das Muster als
Trainer in der belgischen und der französischen Luftwaffe.
Rund tausend Stück sollen insgesamt entstanden sein, in der
Nachkriegszeit unter anderem bei SNCAN in Frankreich und
AIA (Ateliers Industriels de l’Aéronautique) in Algerien. Das
letzte Exemplar der SV-4-Baureihe wurde im Oktober 1955
fertiggestellt.
TexT & FoTos Peter Wolter
S
o viel Flugzeug! Je mehr du davon
vor dir hast, desto mehr bist du bei
ihm. Dazu musst du es sehen. Sei-
nen Rumpf, um eine Peilung über
die Schnauze zu haben. Seine Flü-
gel, um sich der Querneigung zu vergewis-
sern. Das Ganze in Relation zum Horizont,
um die Flugbahn und die Lage im Raum
zu begreifen. Das geht nur von hinten. Die
obere Fläche der Stampe ist weit vor mir,
der Blickwinkel über den Tank im Mittel-
teil nicht besonders steil. Auch die runden
Flügelenden da draußen – schön weit vorn.
Ich sehe, was auf sie zukommt. Wenn sie
bei Schräglage durch die Landschaft carven
wie Ski durch frisch gefallenen Schnee, ist
die Raumhaftung enorm. Wie kann man
bloß auf die Idee kommen, dass Flugzeuge
runterfallen können! All diese Dinge um
mich herum, die dazu da sind, hier oben
zu sein: zwei riesige Tragfächen, 18 Quad-
ratmeter insgesamt, Baldachin, Flügelstie-
le, Spannseile – da macht sich die Luft ve-
hement bemerkbar, als ob die Re-Zahl um
ein Vielfaches kleiner ist als normalerweise
bei Flugzeugen, wie bei einer Hummel, die
durch eine richtig dicke Soße rudert und
deshalb genau weiß, was das ist: Luft. In so
einem offenen Flugzeug weißt du es auch.
Ach so, da unten die Welt. Vor uns – ist
das schon Belgien? Mit Raoul Severin bin
ich in Aachen-Merzbrück gestartet, unweit
der Grenze. Er hat die Stampe gebaut. Wie
banal sich das anhört: »gebaut«! In Wirk-
lichkeit ist es eine Meisterleistung, die hin-
ter dem Projekt steckt.
Dieses Flugzeug hat die gleichen Ab-
messungen wie der Oldtimer von Stampe &
Vertongen, der schon in den frühen dreißi-
ger Jahren flog (siehe Kasten links), ist aber
nur etwas mehr als halb so schwer wie das
Original: 300 Kilo. Ein UL. Wie geht sowas?
»Ich wollte schon immer mein eigenes
Flugzeug«, hat mir der 54-Jährige erzählt,
»und es sollte ein Doppeldecker sein.« Ge-
meinsam mit einem Kollegen kaufte er
im Jahr 2003 Pläne für den Platzer-Dop-
mensch & maschine
So kennt man sie in Frankreich: Dort war die Stampe
mal der populärste Militärtrainer. Auf den ersten Blick
ist das UL nicht als Nachbau zu identifizieren
82 http://www.fliegermagazin.de #9.2017