http://www.fliegermagazin.de #9.2017 95
lanca. Dieses Einzelstück, womöglich das
damals modernste Flugzeug Amerikas, hat
ein paar Monate zuvor Lindberghs Ozean-
flug-Ambitionen entfacht. Bleibt noch die
kleine Firma Ryan Airlines in San Diego.
Per Telegramm hat sie ein Angebot unter-
breitet: 6000 Dollar plus Motor bei einer
Bauzeit von drei Monaten. Das klingt okay.
Lindbergh reist nach Kalifornien.
Am 23. Februar steht er vor dem un-
scheinbaren Ryan-Schuppen. Das Ganze
sieht nicht beeindruckend aus, die Auf-
tragslage ist flau. Lindbergh trifft sich sofort
mit dem jungen Ryan-Chef Benjamin F. Ma-
honey und Chefingenieur Donald Hall. Mit
ihm tüftelt Lindbergh das grundlegende
Design des Flugzeugs aus, wobei sich alles
um die Flugleistung dreht. Eins der Proble-
me: Wie verstaut man 1700 Liter Kraftstoff
in einer Einmot ohne gravierende Schwer-
punktänderung während des Flugs? Lind-
bergh will den Haupttank vorne haben; der
fehlende Blick nach vorn stört ihn nicht.
Dafür ist zwar ein kleines Periskop vorge-
sehen, doch es wird ungenutzt bleiben –
schon oft haben Postsäcke Lindbergh die
Sicht versperrt, das kennt er. Ein Taschen-
spiegel soll ihm helfen, den über ihm ange-
brachten Kompass abzulesen – einen von
dreien. Im Blickfeld liegt das schlichte Inst-
rumentenbrett. Darunter gibt es ein Gewirr
aus Leitungen und Hebeln; der Pilot muss
zwischen fünf Tanks hin und her schalten.
Man einigt sich auf eine Lieferung in
zwei Monaten. Endlich nimmt Lindberghs
Abenteuer Gestalt an, jetzt kann er sich auf
die Vorbereitungen konzentrieren – haupt-
sächlich auf die Langstrecken-Navigation,
von der er bis dahin erschütternd wenig
Ahnung hat.
D
er Luftpostpilot erweist sich als
anspruchsvoller Kunde. Gearbei-
tet wird in Sonderschichten, oft
schaut Lindbergh den Me-
chanikern auf die Finger. Kein Detail
bleibt ihm verborgen. Als man bei-
spielsweise die Ölleitung aus Kup-
ferrohr formt, setzt er durch, dass
sie alle 45 Zentimeter unterbrochen
und mit Gummimuffen flexibel ver-
bunden wird. Er weiß aus eigener
Erfahrung, wie oft solche Leitungen
durch Erschütterungen brechen.
Als Triebwerk kommt nur der
standfeste Wright-J-5C mit 225 PS in
Mensch & Maschine
1 | Nur das Nötigste: Die wichtigsten Instrumente sind
Kompasse und Uhr – der Kurs wird stündlich korrigiert.
Darunter Leitungen und Hebel für die fünf Tanks
2 | Karg: Ein leichter Korbstuhl muss reichen. Im Flug
bietet ein aufblasbares Kissen etwas Komfort
3 | Benzin bis unters Dach: Der größte Tank ist vor dem
Cockpit – Lindbergh will bei einem Unfall nicht zwischen
Motor und Tank eingeklemmt sein
4 | Haupttank im Schwerpunkt: So bleibt die Lastigkeits-
änderung bei sinkendem Spritstand minimal^4
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Betracht. Am 8. April wird der sondergeprüf-
te Neunzylinder, Werknummer 7331, ausge-
packt und montiert. Bald danach kommen
die Zulassungspapiere und das Kennzeich-
zen: N-X-211. Es wird in großen Lettern auf
die Tragfläche gepinselt. Das »X« deutet auf
einen Prototypen hin. »Ryan NYP« auf dem
Seitenruder macht die Reiseroute klar: New
York–Paris. Der Name des Flugzeugs steht
schwungvoll auf beiden Seiten der gebürs-
teten Alu-Cowling: Spirit of St. Louis, zu
Ehren seiner Geldgeber aus Missouri. An-
sonsten ist alles in Silbergrau gehalten.
Acht Wochen nach Baubeginn ist ein
Spezial-Flugzeug aus bespanntem Stahl-
rohr und Holz entstanden, mit dem man
Vor dem Erstflug: Die teildemontierte NYP wird
vom Werk zum Flugplatz Dutch Flats gebracht