Aero International September 2017

(Greg DeLong) #1
9/2017 http://www.aerointernational.de 77

I

n der Hafenstadt Surabaja brach der erste
Januar 2007 an. Der erste Tag im neuen
Jahr ist auch in Indonesien ein Feiertag
und wird mit vielen Umzügen gebührend
zelebriert. Die Jahreswende brachte eine
Reisewelle mit sich; Menschenmassen muss-
ten kreuz und quer durch das riesige Land
mit seinen fast 9000 Inseln gebracht werden.
Die Fliegerei erlebte in den letzten Jahren
einen regelrechten Boom, am Flughafen Su-
rabaja herrschte großes Gedränge. Viele Rei-
sende warteten in langen Schlangen vor den
Abfertigungsschaltern. Der Flughafen platz-
te aus allen Nähten. Unter den vielen neu-
en Airlines befand sich ein schriller, schnell
wachsende Newcomer: Adam Air wurde
fünf Jahre zuvor ins Leben gerufen. Kapital-
geber und Besitzer waren der Geschäftsmann
Agung Laksono, der – ganz nebenbei - auch
Sprecher des indonesischen Repräsentanten-
hauses in Jakarta war, und Sandra Ang, eine
vermögende und einflussreiche Geschäfts-
frau. Kein anderer als ihr ältester Sohn Adam
war Namensgeber der Airline, der gleichzei-
tig zudem als Firmenchef eingesetzt wurde.
Alle Flugzeuge wurden in auffälligem
Orange lackiert. Die Airline sah sich als
„Quality-Budget“-Fluglinie, bei der es trotz
günstiger Tickets eine vollwertige Mahlzeit
an Bord gab. Die Ziele der Geschäftsführung
waren auf schnelles Wachstum ausgelegt. Um
dies zu erreichen, leaste Adam Air bei diver-
sen Anbietern ältere Boeing 737, von denen
die betagtesten bereits 27 Jahre im Dienst
waren. Die Flotte vergrößerte sich schnell
auf über 20 Maschinen, doch nicht alles lief
glatt. Im Februar 2006 verloren die Piloten
eines Adam-Air-Flugs ihre sämtlichen Navi-
gationsinstrumente. Erst nach vierstündigem
Irrflug und schwindenden Treibstoffreserven
gelang eine Notlandung auf einem kleinen
Inselflugplatz. Ein Zwischenfall der aufhor-
chen ließ und ein Schlaglicht auf die Zustän-
de bei Adam Air warf. Zudem häuften sich
die technikbedingten Flugausfälle, doch der
Flugbetrieb ging uneingeschränkt weiter.
An diesem ersten Arbeitstag des neuen
Jahres bereiteten sich Kapitän Refri Widodo
und sein Kopilot Yoga Susanto im Cockpit
ihrer 737 auf den bevorstehenden Flug vor.
Beide waren für den Flug KI574 von Sura-

FotoS: Nat

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baja nach Manado, der Provinzhauptstadt
von Nord-Sulawesi, eingeteilt. Widodo war
mit seinen 13 300 Flugstunden überaus er-
fahren. 3800 davon verbrachte er auf der
Boeing 737, seit 2006 flog er bei Adam Air.
Der 37-jährige Kopilot Susanto hatte 4200
Stunden in seinem Flugbuch, davon 998 auf
der 737.
Das Wetter war typisch für diese subtro-
pische Gegend der Erde. Es war Regenzeit.
Feuchte Luftmassen bildeten riesige Wol-
kentürme, die schon ab der Mittagszeit zu
beeindruckenden Gewitterzellen anwuch-
sen. Entlang des Wegs von KI574 nach Ma-
nado war über der Javasee ebenfalls mit Tur-
bulenzen zu rechnen.
Neben den vier Mitgliedern des Kabinen-
personals bestiegen 96 Passagiere – darun-
ter elf Kinder – die 1989 gebaute Boeing 737
der Baureihe 400. Auch dieser Jet kam über
eine Leasingfirma zur Flotte. Für eine voll-
ständige Lackierung fehlte die Zeit, somit
blieb der Rumpf weiß und wurde lediglich
mit dem Namen der Airline versehen, bevor
das Flugzeug im Dezember 2015 Adam Air
übergeben wurde.
Als alles bereit war, wurden die Triebwer-
ke gestartet, und KI574 hob um 13.59 Uhr
Ortszeit ab. Schnell stieg die Boeing auf
die Reiseflughöhe von 35 000 Fuß (10 670
Meter), unter sich die Wellen der Javasee.
In weniger als zwei Stunden würde man in
Manado sein. Um Zeit zu sparen, geneh-
migten die Fluglotsen eine Abkürzung. Statt
der Luftstraße bis Makassar zu folgen, sollte
KI574 über der Javasee nach Nordost zum
Fixpunkt DIOLA schwenken. Diese kleine
Ersparnis von ein paar Minuten bedeutete
zwar den Durchflug durch eine Schlecht-
wetterzone, dennoch nahm die Crew das
Direct gerne an.
Keine zehn Minuten später fiel dem Flug-
lotsen am Radargerät auf, dass KI574 die
geplante Route nach Norden hin verlassen
hatte. Dennoch war aus den Funkgesprä-
chen keinerlei Aufregung oder Unsicherheit
der Crew zu erkennen. Lediglich die Bitte
von Copilot Susanto nach einer Bestätigung
ihrer gegenwärtigen Position war etwas un-
gewöhnlich.
Um 14.56 Uhr sendete der Fluglotse:

„Adam 574, Position ist 125 Meilen (von)
Mike Kilo Sierra, kreuzen Radiale 307 Mike
Kilo Sierra“, was der Copilot mit „Okay, das
ist bestätigt, Adam 574“ beantwortete.
Zwei Minuten später erlosch das Sekun-
därsignal des Flugs auf den Monitoren der
Fluglotsen. Als alle Versuche des Lotsen,
Adam Air 574 zu kontaktieren, scheiterten,
informierte er den Koordinator des Ret-
tungsdiensts. Die letzte bekannte Position
lag bei 188 Grad 13 Minuten Östliche Län-
ge und 03 Grad 55 Minuten Südliche Breite,
etwa 180 Meilen Nordwestlich von Makassar
über dem Meer. Über 3000 Rettungskräfte
zur See, an Land und in der Luft wurden in
Bewegung gesetzt, doch niemand wusste
genau, wo sich die Boeing befand, da KI574
noch länger hätte weiterfliegen können.

keine überlebenden
Neun quälende Tage vergingen, bis ein Fi-
scher vor der Küste Sulawesis einen Teil des
Höhenruders fand, das eindeutig dem ver-
missten Flugzeug zugeordnet werden konn-

das kontrollpanel für das Trägheitsnaviga-
tionssystem: An den weißen Schaltern unten
läßt sich der Flugmodus einstellen

ein Teil des rechten Höhenruders trieb 135
kilometer nördlich Makassars im Wasser

Von der Tragfläche abgetrennt: die
luftbremse (Spoiler) der boeing 737

nahe Pare-Pare fanden die bergungstrupps
einen Teil des linken Höhenruders
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