Aero International September 2017

(Greg DeLong) #1
9/2017 http://www.aerointernational.de 81

The WIndoW seaT


J


a, dass Delta Air Lines und China Eastern jeweils Min-
derheitsanteile an Air France-KLM kaufen, ist in mehr-
facher Sicht eine für die Branche enorm wichtige Ent-
wicklung, die die Konkurrenz genau analysieren sollte.
Aber zunächst einmal zum übrigen Teil der miteinan-
der verbundenen Transaktionen, die Ende Juli angekündigt wur-
den: Die Virgin Group verkauft ihren Anteil an Virgin Atlantic
in Höhe von 31 Prozent an Air France-KLM.

Mit anderen Worten: Richard Branson zieht sich aus der Luft-
fahrt zurück. Eine über Jahrzehnte andauernde Liebesbeziehung
ist damit am Ende. Schon vor Jahren fusionierte Virgin Express mit
SN Brussels und ist heute Teil von Brussels Airlines. Bei Virgin
Australia haben längst Etihad, Singapore Airlines und die HNA
Group das Sagen. Virgin America war der groß angelegte Ver-
such Bransons, im inneramerikanischen Luftverkehr Fuß zu fas-
sen, und ist heute Teil von Alaska Airlines, die Marke wird im
kommenden Jahr verschwinden. Nun die Ikone Virgin Atlantic,
die künftig ausgerechnet von den ausgesprochen althergebrach-
ten Anteilseignern Delta und Air France-KLM kontrolliert wird.

Letzlich ist der Schritt nur konsequent. Virgin Atlantic ist
schon lange nicht mehr der freche Herausforderer, als der die
Airline einst gestartet war, sondern ein Schatten ihres früheren
Selbst, ausgezehrt vom ungleichen Konkurrenzkampf mit British
Airways und den Folgen des Open-Skies-Vertrags zwischen der
Europäischen Union und den USA. Die Rettung kam mit Delta,
die sich mit offiziell 49 Prozent beteiligte, tatsächlich aber längst
das Sagen hatte. Unter dem Einfluss Deltas gab Virgin Atlantic
das Asiengeschäft auf und konzentrierte sich auf den Nordatlan-
tik. Seither haben sich die wirtschaftlichen Ergebnisse verbessert.

Unter dem Strich ist die Bilanz ernüchternd. Virgin Atlan-
tic war zu schwach, um allein zu überleben, das Geschäftsmodell
nicht weit genug entfernt von der etablierten Konkurrenz, allem

Marketing und der unbezahlbaren Werbefigur Branson zum
Trotz. Die Alternative zu Delta, Air France oder British Airways
heißt schon lange nicht mehr Virgin Atlantic, sie heißt Norwegi-
an auf der Lang- und Ryanair oder Easyjet auf der Kurzstrecke.

Eine Ära ist zu Ende gegangen. Und eine neue scheint zu be-
ginnen: Aggressiver als alle anderen verfolgt Delta die Strategie,
sich an strategisch wichtigen Allianzpartnern zu beteiligen. Sie
besitzt Anteile an China Eastern, deren staatliche Subventionen
sie anders als bei den Golfcarriern eher ungern erwähnt, an Ae-
romexico, Gol in Brasilien und Virgin Atlantic. Was fehlte, war
eine wirklich große Beteiligung in Europa. Was lag da näher als
Air France-KLM, schon verbunden durch ein transatlantisches
Joint Venture und über die Skyteam-Allianz? Für die Konkur-
renten wäre das noch tolerierbar, wenn Delta nur innerhalb der
eigenen Allianz zukaufen würde. Doch darauf sollte man sich
nicht verlassen – siehe die Versuche, Japan Airlines (Oneworld)
und zuletzt Avianca (Star Alliance, Kolumbien) an sich zu bin-
den, die nur mit großem Aufwand abgewendet werden konnten.

Außerdem bereitet sich Delta damit auf die Zeiten vor, in
denen vielleicht doch die Eigentums- und Kontrollbeschränkun-
gen, wenn nicht weltweit, dann immerhin zwischen wichtigen
Handelsblöcken fallen könnten. Der nächste Schritt wären dann
mehrheitliche Übernahmen oder sogar Fusionen. Hier ist Delta
der Lufthansa und selbst der International Airlines Group (IAG)
voraus. Noch ist Zeit, die Lage zu analysieren und zu reagieren.
Aber die Delta-Rivalen müssen achtsam bleiben.

Allerdings: Dass sich United an Lufthansa beteiligen könn-
te oder eher Lufthansa an United, das klingt derzeit doch sehr
unwahrscheinlich. Dafür gibt es zu viele offene Baustellen, bei-
derseits. Und anders als offenbar Air France-KLM hat Lufthansa
derzeit keinen Bedarf an neuen Anteilseignern.
Jens Flottau

JEnS FLottAU kommentiert aktuelle entwicklungen in der Luftfahrt


„Aggressiver als


andere beteiligt


sich Delta an


Allianzpartnern“


Delta Air Lines kauft Anteile an Air France-KLM

Foto: anthony guerra/airteamimages
Free download pdf