Aero International Mrz 2017

(Nancy Kaufman) #1
3/2017 http://www.aerointernational.de 67

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ein, zu den sogenannten „Big
Five“ gehört dieser Gigant zwei-
fellos nicht. Deshalb überrascht
der mitten im ostafrikanischen
Busch autauchende dunkle Ko-
loss durchaus jene Safari-Touristen, die ei-
gentlich auf der Suche nach den fünf Groß-
tierarten Elefant, Nashorn, Büfel, Löwe und
Leopard sind. Dass es ausgerechnet eine
bullige deutsche Dampfmaschine hierher –
mitten in den afrikanischen Busch, wo heute
die staubige Piste von Mtemere zu inden ist


  • verschlagen hat! Außer wilden Tieren und
    hin und wieder kleinen Propellerlugzeugen
    mitsamt der an- und abreisenden Fluggäste
    bewegt sich hier, im Selous-Nationalpark im
    Südosten Tansanias, eigentlich nichts. Hier
    ist die Wildnis noch wild.
    Gerade eben erst, es ist zwanzig nach
    neun, ist die vom Piloten Eicker de Klerk
    gesteuerte Cessna 208B „Grand Caravan“
    der Coastal Aviation mit vier schweizeri-
    schen und zwei schottischen Passagieren an
    Bord wieder Richtung Daressalam gestartet.
    Und während die Einmotorige am Horizont
    verschwindet und die sich langsam in Bewe-
    gung setzenden beigefarbenen Jeeps der un-
    terschiedlichsten Camp-Betreiber mit ihren
    beige gekleideten, eben erst eingetrofenen
    Gästen von der überwiegend grau-grünen
    Savanne sprichwörtlich geschluckt werden,
    gönnt sich der aufgewirbelte Sand alle Zeit
    der Welt, um sich wieder auf die etwas mehr
    als 1200 Meter lange Start- und Landebahn
    09/27 zu legen.
    Stille kehrt ein. Die ersten Impalas trau-
    en sich aus dem Dickicht heraus, ein War-
    zenschwein kreuzt die Bahn und die eben
    noch neugierigen Afen, Professor Grzimek
    hätte sie auch ohne Lexikon als Südliche
    Grünmeerkatzen identiiziert, kehren der
    Dampfmaschine den Rücken. Mit dem Ru-
    diment der industriellen Revolution, 1917
    von deutschen Truppen während des Ersten
    Weltkriegs gegen alliierte Streitkräte – bri-
    tische, portugiesische wie belgische – hier
    zurückgelassen, haben sie eh nur dann et-
    was am Hut, wenn sie von den an ihm auf
    den Ablug wartenden Passagieren gefüt-
    tert werden. Doch bis der nächste Flieger
    kommt, dauert es noch bis zum Mittag.
    „Wir liegen bis zu dreimal täglich von Da-
    ressalam aus im Liniendienst die Airstrips
    im Selous-Nationalpark und somit auch
    Mtemere an, in der Hochsaison, Mitte Juni
    bis August, sogar bis zu viermal pro Tag”,
    hatte de Klerk noch kurz zuvor in den weni-
    gen Minuten Aufenthalt am Boden berich-
    tet, während er beim Verstauen des Gepäcks
    half. Der 29-Jährige steht seit zwei Jahren in
    Diensten der Coastal Aviation, die als eines
    der renommiertesten Safari-Flugunterneh-
    men des Schwarzen Kontinents gilt. Als
    Südafrikaner ist ihm die Fliegerei in Afri-
    ka, speziell die Buschliegerei, vertraut. Das
    Wetter, die unbefestigten Pisten und ins-
    besondere die darauf nicht selten anzutref-


fende Fauna zählen zu den großen Heraus-
forderungen im aviatischen Tagesgeschät.
Kein Mensch käme auf die Idee, so de Klerk,
die einfachen Plätze, von denen es Hunder-
te in Tansania gibt, einzuzäunen. Zuweilen
müsse er Ehrenrunden ziehen, bis besonders
störrische Tiere vertrieben sind, denn einen
direkten Zusammenstoß beispielsweise mit
einem auf der Bahn stehenden Elefanten gilt
es zu vermeiden, zumal eine Cessna und ein
ausgewachsener Rüsselträger annähernd in
einer Gewichtsklasse boxen.

PIONIER IN TANSANIA
Coastal Aviation ist zweifellos nicht die
einzige, wohl aber die größte Safari-Airline
Tansanias. Vor 30 Jahren wurde das Unter-
nehmen gegründet. Heute betreibt es mit 28
Flugzeugen jedoch nicht nur die zahlenmä-
ßig stärkste Flotte des Landes, sondern mit
42 Zielen auch das aktuell umfangreichste
Linienstreckennetz.
Die Pisten im Selous-Nationalpark zähl-
ten kurz nach der Gründung gleich zu den
ersten Zielen der Fluggesellschat, die es sich
zur Aufgabe gemacht hat, die touristischen
Naturschätze der Region – neben Orten
mit einzigartiger Tierwelt auch die weitge-
hend unberührte Küste mitsamt ihrer klei-
nen Inseln – zu bedienen. Somit gilt Coas-
tal Aviation als Pionier in einem Land, das
annähernd eine Million Quadratkilometer
umfasst und dessen Verkehrsinfrastruktur
abseits der wenigen Hauptverkehrswege
unterentwickelt ist. Lutverkehr dagegen
benötigt keine asphaltierten Straßen und
Brücken. Und mit den richtigen Flugzeugen


  • Coastal Aviation setzt drei Cessna 206, 20
    Cessna 208B „Grand Caravan“ und fünf Pi-
    latus PC-12 ab ihren Basen in Daressalam,
    Sansibar und Arusha ein – kommt man au-
    ßerhalb der zuweilen hetig ausfallenden Re-
    genzeit, also Mitte März bis Ende Mai, auch
    auf sandigen Untergründen zurecht.
    Der Airstrip Mtemere wird von der staat-
    lichen Tanzania Civil Aviation Authority
    (TCAA) als Tor zum Selous-Nationalpark
    betrieben. Das rund 54 600 Quadratkilome-
    ter große, nach dem britischen Großwild-
    jäger Frederick Courteney Selous benannte
    Tierreservat ist vielleicht nicht ganz so be-
    rühmt wie die im Norden Tansanias beind-
    liche Serengeti, doch es gilt nach wie vor als
    das größte kontrollierte Wildschutzgebiet in
    Afrika. „Und: Es ist bei weitem nicht so tou-
    ristisch überlaufen. Hier können die Gäste
    noch Safari pur genießen, ohne dass ihnen
    andere Gäste quasi auf die Füße treten“, be-
    stätigt Enrico Tognoni, Commercial Mana-
    ger der Airline.
    Tatsächlich: In anderthalb Tagen Safari
    bekommen Abenteuerlustige locker Tausen-
    de Vögel, Hunderte Impalas und Krokodile,
    Dutzende Girafen, Elefanten, Kudus, Zeb-
    ras oder Löwen und mit etwas Glück sogar
    Büfel zu sehen. Auf die ersten Menschen
    stoßen sie hingegen vermutlich erst beim


ersten eisgekühlten „Safari“-Bier am Lager-
feuer in einem der Camps und Lodges.
„Das Gros der Touristen erlebt zunächst
einmal zwei, drei Tage Safari und gönnt
sich anschließend eine entspannte Zeit am
Meer”, berichtet Shaun O‘Driscoll, der ge-
meinsam mit seiner Frau Milinda das über
zwölf luxuriös ausgestattete Zelte verfügen-
de Lake Manze Camp leitet.
Entsprechend gestrickt ist daher der Flug-
plan der Coastal Aviation, die sich nicht nur
nach dem Kommen und Gehen internatio-
naler Airlines in Daressalam oder am inter-
nationalen Flughafen Kilimanjaro richtet,
sondern ihren Passagieren, momentan wer-
den rund 160 000 Oneway-Tickets pro Jahr
verkaut, auch in ihrem Netz Anschlusslü-
ge oferiert. Beispielsweise Mtemere – Dar-
essalam – Songo Songo. Der privat von der
Tanzania Petroleum Development Corpora-
tion betriebene Flughafen beindet sich auf
einer kleinen Insel, deren winziges Nachbar-
Eiland Fanjove ein weiteres, dieses Mal stei-
nernes Relikt aus deutscher Kolonialzeit zu
bieten hat: einen 1894 erbauten, längst nicht
mehr leuchtenden Leuchtturm.
Essential Destination, ein Schwesterun-
ternehmen der Coastal Aviation, hat die
exklusiv von ihr genutzte Insel vor zwölf
Jahren entdeckt und für Gäste hergerich-
tet. „Hier war nichts außer Müll, zurückge-
lassen von hin und wieder hier ankernden
Fischernomaden aus Mosambik. Doch der
Reiz, die besondere Romantik des Ortes war
trotz der Plastik-Berge spürbar“, erinnert
sich Malcolm Ryen, Chef-Ökologe des Un-
ternehmens. Hier, im Indischen Ozean un-
terhalb des Äquators, lassen sich Sehnsüchte
stillen. Wer möchte schließlich nicht einmal
im Leben drei, vier Nächte wie Robinson
Crusoe auf einer einsamen Insel leben, zu-
mal dann, wenn auf einen gewissen Luxus
nicht verzichtet werden muss?
Heute stehen auf Fanjove, die das auf
nachhaltigen Tourismus Wert legende Tou-
ristikunternehmen für 30 Jahre gepachtet
hat, zusätzlich zum Leuchtturm sechs soge-
nannte Bandas (Hütten) mit Platz für jeweils
bis zu vier Gästen sowie ein als Lobby und
Restaurant genutzter lutiger Pfahlbau. „Wir
leben hier im Einklang mit unseren Nach-
barn und mit der Natur“, versichert Ryen
und nennt Beispiele: „Wir sind größter Ar-
beitgeber Songo Songos, 25 Inselbewohner
arbeiten für uns, drei Prozent unseres Ein-
kommens erhält die Insel zurück. Darüber
hinaus kaufen wir nur Fisch, der nicht mit
Dynamit geischt wurde. Unseren Strom er-
zeugen wir mit Solartechnik. Wir respektie-
ren die Tierwelt, achten insbesondere auf die
hier brütenden Meeresschildkröten und set-
zen zur Not auch schon einmal Nester um.“
Ryen betont: „Tourismus ist in diesem Teil
der Welt der einzige Weg, um den Menschen
ein Einkommen zu verschafen und die Na-
tur zu schützen. Wir verfolgen dieses Ziel.“
Astrid Röben
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