Flugzeug Classic April 2017

(Dana P.) #1

Grundsätzlich dient der Heckrotor dem
Drehmomentausgleich, das heißt, er verhin-
dert, dass sich die Zelle mit dem Rotor dreht.
Je nachdem, ob man Gas gibt oder heraus-
nimmt, dreht man den Hubschrauber damit
um die Hochachse; in der Fachsprache nennt
man das »Gieren«.
»Ruhige Ausschläge« bedingen sensible
Füße und die komplexen Abläufe, das fein-
fühlige Zusammenspiel von Stick, Gas, Pitch
und Pedalen erfordert Fingerspitzengefühl
und viel Übung: »Nicht vergessen: Wenn
Pitch nach unten geht – rechts Seitenruder ge-
ben. Wenn Pitch nach oben gezogen wird –
links Seitenruder geben.« Dabei das Steuer
ruhig halten und behutsam mit dem Gasgriff
umgehen ... ein langwieriger Lernprozess.


Ungewöhnliches Fliegen
Starten – Schweben – Landen. Das Abfliegen
eines Quadrates, wobei die Zelle des Hub-
schraubers mal der gedachten Linie folgt, mal
in einer Himmelsrichtung ausgerichtet bleibt.
Das Abfliegen einer liegenden Acht – »Ni-
cken« – »Gieren« – »Rollen« – Schnellflug –
Langsamflug – rückwärts fliegen, unterschied-
liche Start- und Landearten ... Nach und nach
beruhigten sich Irmfried Zipsers Steuerbewe-
gungen, löste sich seine »Verkrampfung am
Pitch«, lernte er den fein dosierten Umgang
mit Gashebel und Heckrotor, gelang ihm das
komplexe Zusammenwirken der einzelnen
Steuerungselemente immer besser.
Bald beherrschte er auch das, was er zuvor
für unmöglich gehalten hatte: den Hub-
schrauber über einem bestimmten Punkt ru-
hig schweben zu lassen. Allmählich verlor er
zudem »die Angst vor dem Boden«, gelangen


ihm sanfte Landungen. »Ein kleines Lob des
Fluglehrers hebt die Freude am Lernen dieses
ganz ungewöhnlichen Fliegens!« Schließlich
umfasste die Ausbildung die gesamte Band-
breite dessen, was ein Hubschrauberpilot
beherrschen muss, vom Quickstop, dem
schnellstmöglichen Abbremsen eines Hub-
schraubers in der Luft, bis hin zur antriebslo-
sen Landung mittels »Autorotation«, Letzte-
res später auch mit »Flare« (siehe Kasten).
Man übte Notlandungen, erläuterte und
verinnerlichte »Gefahrenzonen«, bis hin zum
»Wirbelringstadium«, auch »Vortex-Ring«
genannt. Dieser ist besonders gefährlich,
denn wenn ein Wirbelring am Hauptrotor
entsteht, beispielsweise im schnellen Sink-
flug, droht ein völliger Auftriebsverlust und
damit der Absturz ...

Strammes Programm
Selbstverständlich wechselten sich auch an
der Hubschrauberschule Theorie und Praxis
ab so wie schon bei seiner früheren Ausbil-
dung zum Flugzeugführer. Ausgehend von
den verschiedenen Formen – Hubschrauber,
Tragschrauber, Flugschrauber, Kombinations-
flugschrauber, Verwandlungsflugzeuge –,
ging man die verschiedenen Antriebsarten
durch, erläuterte die Technik und Funktions-
weise des Hubschraubers, den Aufbau des
»Mastes und des Mastkopfes« und die Funk-
tionsweise der »Taumelscheibe«. Unter-
schiedliche Antriebsarten gehörten ebenso
zum Lernstoff wie Flugphysik, Wetterkunde,
Navigation und vieles mehr – ein breites
Spektrum an Lernstoff, zusammengefasst in
einem strammen Unterrichtsprogramm.
Der Stundenplan eines durchschnittlichen
Schultages sah beispielsweise wie folgt aus:
»Mittwoch, den 13. März 1957 – 7 bis 12 Uhr

Flugdienst: 2. Autorotationslandung, Recht-
eck abfliegen, Drehungen rechts und links
über Landepunkt, Platzrunden.« Am Nach-
mittag ging es im Schulsaal weiter: »13:30 bis
18:30 Uhr: Unterricht bei Herrn Bode und
Herrn Hoffmann. Leistungskurven, Sink-
geschwindigkeit im Autorotationsgleitflug,
Gefahrenzonen bei Windstille, Aerodya-
mik beim Hubschrauber, Rotorblattprofile,
Schweben und Vorwärtsflug, Autorotation,

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Aus Irmfried Zipsers Leistungsnachweis:
»Wozu dient mir ein Flare? – Wenn ich
hoch genug über bebautem Gelände flie-
ge und eine Notlandung ausführen muss,
sich das Landefeld aber in einer nur noch
mit hoher Fahrt erreichbaren Entfernung
befindet.« In der ersten Phase fliegt der
antriebslose Hubschrauber wie ein Trag-
schrauber per Autorotation: »Einleiten mit
50 bis 60 Knoten, je nach Windstärke,
Landepunkt im geraden Anflug anste-
chen. Fahrt halten.« In der zweiten Phase
wird der Rotor stark angestellt (Flare), die
gespeicherte kinetische Energie sorgt
kurzfristig für Auftrieb und ermöglicht eine
Landung: »In angemessener Höhe, nicht
zu hoch und nicht zu niedrig, Stick ziehen
und Fahrt wegnehmen. Maschine sackt
nun in Anflugrichtung durch. Zum Aufrich-
ten etwas Pitch ziehen und normale Auto-
rotation-Ausgleitlandung durchführen.«
Das Manöver erfordert exaktes Timing.
Zieht der Pilot zu früh am Stick, verliert
der Rotor seine kinetische Energie und
die Maschine stürzt ab. Zieht der Pilot zu
spät, bleibt womöglich nicht mehr genü-
gend Höhe zum Abfangen und die Ma-
schine schlägt auf. n

Autorotation mit Flare


Vor dem Start zum ersten Alleinflug: Irmfried
Zipser und der Schweizer Emil Müller


»Ein Hubschrauber kann fast
alles, einen Fehler verzeiht
er nicht.« – Flugkapitän Carl
Bode (Mitte) zu Flugschülern
wie Zipser (links)
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