Flugzeug Classic April 2017

(Dana P.) #1

ter Höhe und im Schnee höchst anspruchs-
voll: »Bei den Landungen sind genaue Kennt-
nisse der Windverhältnisse erforderlich. Mit
hoher Leistung und unter Ausnutzung des
Bodeneffektes an den Landepunkt anschwe-
ben. Bei Schneelandungen den Aufsetzpunkt
genau beobachten. Möglichst auf dunklen
Stellen landen und Leistung vorsichtig zu-
rücknehmen, um im Falle eines Durchsackens
sofort abheben zu können. Achtung auf Ver-
gaservorwärmung!«


Zeit der Prüfungen
Acht Wochen nach dem Beginn der Ausbil-
dung fand die anspruchsvolle Pilotenprü-
fung in Theorie und Praxis statt. »Um 16 Uhr
wurde uns allen in feierlicher Form bekannt
gegeben, dass wir alle die Prüfung zum Pri-
vatpilotenschein bestanden hätten.« Irmfried
Zipser empfand in diesem Moment »Glück,
Stolz und Zufriedenheit«, fügte aber eben-
falls hinzu, dass »uns durch die Verleihung
des Privatpilotenscheines nicht alleine nur
Rechte zufallen, sondern dass uns dadurch
große fliegerische Pflichten auferlegt wer-
den«. Wie richtig diese Einschätzung war,
sollte sich in seinem weiteren Fliegerleben
gleich mehrmals zeigen.
So zum Beispiel am Vormittag des 14. Ok-
tober 1958, als er – inzwischen selbst Flugleh-
rer bei der FFS »S« der Bundesluftwaffe in
Memmingen, Bayern – gerade in der Si-
korsky H-34 gemeinsam mit einem Flug-


schüler eine Platzrunde drehte. »Per Funk be-
fahl man uns zu einem Noteinsatz ins rund
100 Kilometer entfernte Mittenwald. Drei
verunglückte Gebirgsjäger hingen dort seit
zwei Tagen und Nächten in einer Steilwand
des Karwendelgebirges, mindestens einer sei
sehr schwer verletzt. 20 Männer der Berg-
wacht und 60 Gebirgsjäger bargen die Verun-
glückten mit großem Aufwand aus der Wand
und brachten sie bis zur Karwendelgrube. Sie
dort abzuholen war jetzt unsere Aufgabe.
Und zwar so schnell wie möglich, denn ein
gefährlicher Wetterumschwung sei bereits in
vollem Gange.«
»Mein Begleiter, Major Veith, und ich sa-
hen uns an. Was hatten wir alles über Ge-
birgswetterkunde gelernt? Die Karwendel-
grube liegt in mehr als 2200 Meter Höhe, der
Flug hinauf dauerte keine fünf Minuten, die
hatten es aber in sich: schlechte Sicht, heftige
Böen, tückische Scher- und Fallwinde; mehr
als einmal drückte es uns beinahe in die Fel-
sen. Und als wir endlich über die Kante in die
Karwendelgrube hineinschwebten, zerrten
heftige Fallwinde unsere Maschine nach un-


ten. Entsprechend hart fiel die Landung aus,
der Sporn brach, es hätte auch schlimmer
kommen können.
Und jetzt begann der Wettlauf gegen die
Zeit. Per Funk hielt man uns über das heran-
nahende Unwetter auf dem Laufenden: ›Beei-
len Sie sich! Das Gebirge zieht zu, wenn Sie
nicht schnellstens wegkommen, sitzen Sie
dort oben tagelang fest!‹ – Heute, mehr als ein
halbes Jahrhundert später, kann man sich das

kaum mehr vorstellen. Längst führt von Mit-
tenwald aus eine Seilbahn hinauf zur Kar-
wendelgrube, gibt es dort eine Bergstation
mit großem Restaurant. Damals gab es nichts
dergleichen. Dort festzusitzen hätte nicht nur
die Rettung der Verunglückten erheblich ver-
zögert, sondern auch meinen Flugschüler
und mich in größte Bedrängnis gebracht,
denn unter unserer Fliegerkombination tru-
gen wir nur leichtes Sommerzeug. Auf einen
derartigen Einsatz waren wir nicht vorberei-
tet und schon gar nicht auf eine Notlage!«

Aus der Waschküche in die Sonne
Es dauerte quälend lange vier ein viertel
Stunden, bis die Verletzten und ein paar
Mann des Rettungspersonals den Hubschrau-
ber bestiegen hatten. »Sofort machten wir uns
auf den Rückweg. Die Sicht war inzwischen
so schlecht geworden, dass wir uns mit einem
ganz außergewöhnlichen Navigationsmittel
behalfen: Im Abstand von jeweils rund zehn
Metern postierten sich die Gebirgsjäger in ei-
ner Art Kette bis zur Abbruchkante der Kar-
wendelgrube.

Dicht über ihren Köpfen tastete ich mich
im Schwebeflug langsam vorwärts, von einem
aus dem Nebel auftauchenden zum nächsten,
bis es über die Kante ging und im Autorotati-
onsflug nach Mittenwald hinunter. Wir liefer-
ten unsere Passagiere direkt bei ihrer Kaserne
ab. Unten schien die Sonne, alles wirkte fried-
lich, nichts wies im Tal auf die fürchterliche
›Waschküche‹ hin, aus der wir gerade gekom-
men waren. Des eingegangenen Risikos war
ich mir durchaus bewusst, es hätte auch böse
enden können. Wieder einmal hatte ich das
eindeutige Gefühl, dass der Herrgott seine
schützende Hand über uns gehalten hatte.«

Herausforderungen
Auch andere »Sondereinsätze« erforderten
größtes Feingefühl. Beispielsweise in Hinde-
lang, wo eine alte Seilbahnanlage runderneu-
ert wurde: »Wir flogen die schweren Bauteile
hinunter ins Tal, wobei es eine echte hub-
schrauberfliegerische Herausforderung war,
die Masten senkrecht aus ihren Fundamenten
herauszuziehen, ohne diese dabei zu verkan-
ten.« Ein demontiertes Teil nach dem anderen
wurde unter den Augen zahlreicher Schau-
lustiger abtransportiert. US-amerikanische Pi-
loten flogen dann die Bauteile der neuen
Bahn hinauf. »Dabei ereignete sich ein schwe-
res Unglück, ein Hubschrauber stürzte ab, es
gab Tote und Verletzte.« Weitaus größere He-
rausforderungen und Prüfungen sollten noch
folgen. Welche, darüber berichten wir in einer
kommenden Ausgabe von Flugzeug Classic! n

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Bisher zu Irmfried Zipser erschienen:
FC 10/2015 Eine schützende Hand
FC 2/2016 Feuertaufe im Osten
FC 8/2016 Der Schlachtflieger

Der Flughatte es in sich: schlechte Sicht,


heftige Böen und tückische Winde.


Deutsche Hubschrauber im Einsatz: Abbau der alten Sesselbahn auf der Hornalpe bei Hindelang
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