Torries

(coco) #1

ZEITGESCHICHTE Fernnachtjagd


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ad acta legte, stieß deshalb in den eigenen Rei-
hen auf Unverständnis. So kritisierte erneut
das Generalkommando des I. Jagdkorps im
Oktober 1944 die Einstellung der »nächtlichen
Jagd«, zumal man der Ansicht war, dass die
Nachtjagd über genügend Kampfstärke ver-
fügte. Wiederholt machte man schon seit ge-

raumer Zeit den Vorschlag, bei einer günsti-
gen Gelegenheit einen Überraschungsangriff
gegen die englische Luftwaffe bei der Rück-
kehr ihrer Bomber vom Großeinsatz zu füh-
ren. Obwohl man vom Erfolg überzeugt war
und die möglichen Verluste für gering erach-
tete, kam es nicht zur Durchführung.

Erst als sich die Kriegslage dramatisch
verschlechterte, zeigte man sich bereit für
einen einzelnen Überraschungsangriff. Die
Ausgangssituation dafür war aber schlecht.
Mit dem Vorrücken der alliierten Truppen
gelang es immer weniger, feindliche Bomber-
verbände noch frühzeitig zu orten. Die RAF-
Bomber nutzten diese Lücke gnadenlos aus.
Man kam jetzt nicht mehr mitten in der
Nacht, sondern flog die Angriffe schon am
frühen Abend. Um die Verluste weiter zu mi-
nimieren, begann die RAF im Dezember 1944
sogar mit Tagesangriffen.

Unternehmen »Gisela«
Um der Royal Air Force einen entscheidenden
Schlag zu versetzen, überlegte man bald wie-
der, einen massiven Fernnachtjagdeinsatz zu
fliegen. Unter dem Decknamen »Gisela« be-
sann man sich auf das einstige Erfolgskonzept,
das nun wieder konkrete Formen annahm.
Organisator war Josef Schmid, Kommandeur
des I. Jagdkorps. Die Idee dabei: die deutschen
Nachtjäger nach einem Großangriff an die Fer-
sen der Bomber zu heften. Sie sollten den Ma-
schinen bis zu ihren Heimatplätzen im Tiefflug
folgen und dabei Funkstille halten. Erst wenn
sie die britische Küste erreichten, sollten sie auf
Angriffshöhe steigen und zuschlagen, wenn
die Bomber bei voller Beleuchtung zum Lan-
den ansetzten. Diesen Überraschungseffekt
wollte man ausnutzen, um den Angriff effekti-
ver zu gestalten. Gezielt wartete man auf eine
passende Gelegenheit.

Falsches Konzept?
Doch die Luftwaffe zögerte viel zu lange
mit der Umsetzung des Plans. Am 3. März
1945 flog die RAF mit ihren Bombern einen
Großangriff gegen den Schiffsverkehr auf

Hauptmann Paul Semrau ver-
körperte den typischen Weg
eines Nachtjägers. Er war an-
fangs Zerstörerpilot und schul-
te im Juli 1940 zum Nachtjäger
um. Im Dezember 1940 er-
nannte man ihn zum Staffelka-
pitän der 3./NJG 2. Im Februar
1941 schoss er mit seinem Jä-
ger zwei Bristol Blenheim über
Feltwell/England ab. Im Juli traf
das Abwehrfeuer eines Bom-
bers seine Ju 88 C-4 schwer und er musste
bei Bastogne notlanden, blieb dabei aber

unverletzt. Daraufhin erlebte er
den Niedergang der Fernnachtjagd
mit. Er verlegte nach Sizilien. Im
Januar 1944 übernahm Semrau
die II./NJG 2 als Gruppenkom-
mandeur, bevor man ihn im No-
vember zum Kommodore des ge-
samten Geschwaders machte. In
der Nacht vom 7. auf den 8. Feb-
ruar 1945 schossen Feindjäger
ihn ab, als er sich mit seiner Ju
88 G-6 im Landeanflug auf den
Platz in Twente befand. In 350 Einsätzen er-
rang Semrau 46 Luftsiege. 

Vom Zerstörer- zum Nachtjägerpiloten


Die Me 410 war als Schnellkampfflugzeug und Fern-
nachtjäger gegen England erfolgreich. Oberleutnant Ru-
dolf Abrahamczik (Mitte), hier vor seiner Me 410,
U5+FE, war Staffelkapitan der 4./KG 51

Um feindliche Bomber in der Nacht abzufangen, flogen Langstreckenjabos des SKG 10 »Wilde
Sau«-Einsätze über Frankreich
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