Torries

(coco) #1

Dunkelheit, um über die Frontlinien hinweg
ins Hinterland des Gegners vorzudringen.
Am Boden ging es nun nicht mehr darum,
Flugstrecken sichtbar zu machen oder Flug-
plätze zu identifizieren, sondern um das ge-
naue Gegenteil: Die »Verdunkelung« und den
»Heimatschutz«. Bis Ende September 1915
entstand entlang der deutschen Westgrenze
über mehrere Entwicklungsstufen hinweg ei-
ne »nach einheitlichem Plan geregelte doppel-
te Flugwachlinie«, die sich von der Nordsee-
küste bis zum Bodensee erstreckte. Optische


und akustische Hilfsmittel kamen hier zum
Einsatz, unter anderem bekam auch die Ent-
wicklung leistungsstarker Flakscheinwerfer
eine besondere Bedeutung. Ähnliches galt
auch für die Gegner, beispielsweise England,
wo man insbesondere zum Schutze Londons
Abwehrmaßnahmen suchte und ergriff.


Aufklärer und Bomber
Daneben führte die zunehmende Spezialisie-
rung fliegerischer Teilstreitkräfte (die speziel-
len Einsatzbedingungen der Luftschiffe sind
ein eigenes Thema) geradezu zwangsläufig
zu einer Intensivierung des Luftkriegsgesche-
hens in der Nacht. Beispielsweise stimmen
die Berichte von Aufklärern auf allen Seiten
darin überein, dass sich feindliche Artillerie-
stellungen, die ansonsten gut getarnt und
tagsüber nur schwer auszumachen waren,
vor allem im frühen Büchsen- sowie im spä-
ten Dämmerlicht durch ihr Mündungsfeuer
verrieten, was bei Tageslicht kaum mehr zu
sehen war. Das rief wiederum Jagdflieger auf
den Plan, die sich darum bemühten, das Tun
der Aufklärer zu unterbinden. Je nachdem, ob


man diese Einsätze in der Früh oder am spä-
ten Abend flog, starteten oder landeten die je-
weiligen Kontrahenten in tiefer Dunkelheit
und unter einfachsten Bedingungen: »Entzün-
dete Holzstöße wiesen mir den Landeplatz.«
Auch bombentragende Kampfflugzeuge
wichen angesichts von Flak und Jagdflugzeu-
gen in die Nachtstunden aus; dabei leisteten
sowohl sie als auch ihre gegnerischen Jäger in
fliegerischer Hinsicht Außerordentliches. Die
damalige Nachtfliegerei ist aus heutiger Sicht
kaum mehr vorstellbar. Ohne GPS, Nacht-

sichtgeräte, Radar und andere technische
Hilfsmittel mussten sich die Flugzeugführer
auf ihre Augen, ihre Erfahrung und ihr fliege-
risches Gefühl verlassen; auch die Entwick-
lung von Höhenmessern steckte noch völlig
in den Kinderschuhen. Wer schon mal nachts
im Flugzeug unterwegs war, weiß, dass der
Himmel über einem vergleichsweise hell ist,
dass unten aber alles in einem indifferenten
Bodengrau verschwimmt. Selbst nächtliche
»Schönwetterfliegerei« ist weitaus schwieri-
ger als eine ebensolche bei Tageslicht, und
optimale Rahmenbedingungen waren auch
damals nicht die Regel. Schon ein dünner Bo-
dennebel lässt einen nächtlichen Landeanflug
auf Sicht zum Vabanque-Spiel werden, zumal
dann, wenn mögliche Referenzpunkte im
Nachtdunkel verschwinden.

Nicht orientierungslos
In fliegerischer Hinsicht riskierten die Piloten
damals regelmäßig Kopf und Kragen und
nicht zuletzt war auch das Navigieren mit den
damaligen Mitteln eine hohe Kunst. Unter die-
sen Vorzeichen begann der Werdegang eines

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der prominentesten deutschen Flugzeugfüh-
rer, der später Weltruhm erlangen sollte: Her-
mann Köhl. Der Pionier meldete sich nach ei-
ner schweren Verwundung zur Fliegertruppe,
wurde zum Beobachter ausgebildet und er-
wies sich rasch als überdurchschnittlich be-
gabter Navigator. Schon im Jahr 1915 führte
er als Staffelführer eines Kampfgeschwaders
in Flandern zahlreiche Nachteinsätze durch,
wurde dann selbst zum Flugzeugführer aus-
gebildet, und machte im Frühjahr 1918 reichs-
weit von sich reden, als ihm nach zahlreichen
Fehlversuchen die Zerstörung der Munitions-
lager von Ceresy und Blargie gelang. Der
»Bombenflieger« schilderte sein »wildes
Glücksgefühl, als sich das nächtliche Muniti-
onslager Blargie unter mir in ein taghelles,
prasselndes Flammenmeer verwandelte«. Für
diesen Erfolg erhielt er die höchste militäri-
sche Auszeichnung, die das Kaiserreich zu
bieten hatte: den Orden Pour le Mérite.

Über den »großen Teich«
Nach dem Krieg blieb er der Fliegerei erhal-
ten. Jahrelang befasste er sich mit der Ent-
wicklung geeigneter und verlässlicher Inst-
rumente für die Navigation, das Thema
Nachtflug begleitete ihn bis zu seinem Le-
bensende. Als sich Gotthard Sachsenberg und
Hugo Junkers in den frühen 1920er-Jahren
um den Aufbau eines zivilen Luftverkehrs be-
mühten, kam Hermann Köhl hinzu. 1925
quittierte er den Militärdienst und man mach-
te ihn zum Nachtstreckenleiter der Junkers
Luftverkehr AG. Dort etablierte er vom Berli-
ner Tempelhoffeld aus den nächtlichen Post-
flugdienst nach Stockholm, und Anfang 1926,
nach der Fusion von Junkers Luftverkehr und
Aero Lloyd zur Luft Hansa, ernannte man ihn
zum Nachtflugleiter. Als »Atlantikflieger« er-
langte er 1928 schließlich Weltruhm – doch
das ist eine andere Geschichte. 

Scheinwerfer sollten den Gegner einerseits für die eigene Flak sichtbar machen,
andererseits wollte man ihn auch blenden


Das nächtliche Paris: Das Flugzeug mit dem Leuchter war dazu
da, feindliche Flieger beizeiten zu entdecken

Die Pilotenriskierten damals in fliegerischer


Hinsicht regelmäßig Kopf und Kragen.

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