Torries

(coco) #1

A


nfang 1944 errichteten Arbeiter das
Waldwerk mit dem Tarnnamen »Gau-
ting« in einem großen Waldstück zwi-
schen Alteglofsheim und Hagelstadt in Bay-
ern. Aus vorgefertigten Holzelementen für
Dächer und Wände zogen sie an der Reichs-
straße 15 primitive Schnellbauhallen hoch. Die
Hallenbauteile kamen aus dem besetzten
Frankreich. Das Kriegsgefangenenlager ver-
legte man vom Fliegerhorst in den Wald. Zahl-
reiche Baracken stammten vom Fliegerhorst
Obertraubling; sie vervollständigten das
Waldwerk. Südlich von Regensburg an der
Bahnlinie nach München gelegen, hatte das
Areal eine Ausdehnung von zirka 1000 Meter
auf zirka 500 Meter (siehe Lageplan). Dazu
bauten die Arbeiter ein bereits bestehendes
System von Waldwegen aus. Um den Wald
und die Gebäude vor einem Brand zu schüt-
zen, entstand neben dem Haupteingang eine
Feuerwache, in der ständig zwei Löschfahr-
zeuge stationiert waren. Das war dringend nö-
tig, da alle Gebäude ausschließlich aus Holz
bestanden. Die sehr dezentral aufgebauten
Montagehallen verfügten nur zum Teil über
Betonböden. Auch die Fundamente für die
Fließbänder legten die Arbeitskräfte innerhalb
kürzester Zeit an. Die gesamte Produktionsflä-
che umfasste rund 5000 Quadratmeter.
Das benötigte Material lieferte man per
Bahn an. Nach Angaben von Zeitzeugen ver-
pflichtete man in der Bauzeit auch Landwirte
zu Transportfahrten. Das Material holte man
von den Bahnhöfen in Hagelstadt und Köfe-
ring ab. Die angelieferten Flugzeugtriebwerke
transportierte die Messerschmitt GmbH ei-
gens mit Lkws. Das Gewicht eines Flugzeug-
motors war für die einfachen Ackerwagen
wohl zu hoch.
Die für das Waldwerk erforderliche Infra-
struktur wie Elektrizitätsversorgung, Trink-
wasserleitung, Abwasserentsorgung, Wege-
bau, Umzäunung und so weiter errichteten
Reichsarbeitsdienst, Zwangsarbeiter sowie
Kriegsgefangene binnen weniger Wochen.

Strenge Kontrollen
Das Areal durfte man nur mit einem entspre-
chenden Ausweis betreten. Alle Ausweisin-
haber mussten eine schriftliche Verschwiegen-
heitserklärung unterzeichnen. Über die Vor-
gänge im Werk durfte man nichts in der Öf-
fentlichkeit berichten. Bei Zuwiderhandlungen
war ein Verhör durch die Gestapo die Konse-
quenz. Diese rigorose Maßnahme hat vermut-
lich auch dazu beigetragen, dass kaum Infor-
mationen nach außen gedrungen sind. Die hier
eingesetzten Zwangsarbeiter durften mit ei-
nem Passierschein den Komplex verlassen. Die
aus dem osteuropäischen Raum stammenden
Arbeitskräfte mussten auf ihrer Kleidung den
Schriftzug »OST« tragen und waren damit für
die Bevölkerung entsprechend gekennzeich-

FLUGZEUG CLASSIC3/2017 63

Fotos, soweit nicht anders angegeben, Sammlung Peter Schmoll


Zwischen Bäumen versteckt lag die gesamte Infrastruktur von »Gauting« – neben der natürlichen
Umgebung verwendete man auch Netze, um das Areal zu tarnen

Blick in eine der Montagehallen, nachdem sie fertiggestellt wurde: Man erkennt deutlich die
schlichte Bauweise des Gebäudes

Arbeiter bei der Produktion für den Rumpfrohbau – 15 bis 20 Messerschmitt Bf 109 stellte man
in dem Werk pro Tag her
Free download pdf