Torries

(Marcin) #1

Dieser Vorgang wird in der Lernpsycho-
logie als Gesetz der Entlastung bezeichnet,
weil die dann autonom durchgeführten
Fertigkeiten (auf Englisch skills) Kapazi-
täten frei machen für andere Leistungen
wie Situationsbewusstsein oder Entschei-
dungsindung. Was ständig automatisiert
wiederkehrt, bleibt präsent. Diese Abläufe
fallen unter den Begrif skill based behavi-
our.


Können, Regeln und Wissen
In der Flugschulung werden darüber hin-
aus Verfahren trainiert, die nicht automa-
tisiert aus dem Unterbewusstsein gesteu-
ert werden, wohl aber als festes Programm
abgespeichert sind und situationsgerecht
abgearbeitet werden. Dieses auf Regeln be-
ruhende Verhalten (rule based behaviour)
bestimmt die gesamte Fliegerei. Es umfasst
alle Vorgaben des Herstellers wie Betriebs-
grenzen und Speeds ebenso wie das Ein-
halten lutrechtlicher Bestimmungen. Wer
sich nicht daran hält, bringt sich und ande-
re in Gefahr.
Auf ganz unsicheres Terrain begeben
wir uns, wenn wir unerwartet einer Situati-
on ausgesetzt sind, die weder automatisiert
noch im Verfahrensspeicher präsent ist.


Das kann selbst gut trainierten und gewis-
senhat vorbereiteten Piloten widerfahren.
Ist genügend Zeit für eine Lösungssuche
vorhanden, greifen wir für ein planvolles
Handeln auf unser Wissen zurück (know-
ledge based behaviour). Das setzt – wie der
Name sagt – genügend Kenntnisse voraus,
um Alternativen zu erarbeiten und gegen-
einander abzuwägen.
Vor vielen Jahren war ich mit einem Mo-
torsegler unterwegs von der ostfriesischen
Insel Juist nach Lübeck, als im Steiglug der
Motor unrund lief und die Warnleuchte für
den Benzindruck zu lackern begann. Es galt
also, ein Sicherheitspolster aufzubauen, so-
lange der Motor noch Leistung abgab. Die
nächstgelegene Piste war der Militärlug-
platz von Jever; mein Ziel war aber, den Ver-
kehrslandeplatz von Wilhelmshaven in den
Gleitwinkelbereich zu bekommen.
Jever erteilte uns die Freigabe zum Ein-
lug in die Kontrollzone und in Reichweite
zur Piste zum Steiglug auf 3000 Fuß, was
nach überschlägiger Berechnung gut und
sicher für einen Gleitlug ohne Motorleis-
tung bis nach Wilhelmshaven ausgereicht
hätte. Dort gab es auch einen LTB. Die Stö-
rung wiederholte sich aber nicht und wir
hangelten uns – immer den nächsten Lan-

deplatz in Reichweite – bis nach Lübeck
durch.
Nichts ist schlimmer in einer solchen
Situation als ein Fischen im Trüben der all-
gemeinen Unsicherheit: Was bedeutet das
Warnlämpchen? Welche Schäden könnten
entstehen? Welche Konsequenzen könnte
das haben? Für diese Fälle ist gründliche
Systemkenntnis erforderlich. Nehmen Sie
sich die Zeit, im Winter mal wieder das Flug-
handbuch zu lesen.
Es gibt Situationen, die nicht zeitkri-
tisch sind, wo man in Ruhe in der Notfall-
checkliste nachlesen kann, was zu tun ist,
zum Beispiel bei einem klemmenden Fahr-
werk. Für einen Vergaserbrand beim Anlas-
sen gilt das nicht. Da muss das richtige Ver-
fahren sofort präsent sein, und zwar sowohl
für den Fall, dass der Motor anspringt, als
auch für den, dass er nicht anspringt, aber
weiter brennt.

Wachsam bleiben!
Je länger man liegt, ohne jemals von einer
betrieblichen Störung belästigt zu werden,
desto mehr schleicht sich ein Gefühl von
Sicherheit und Sorglosigkeit ein. Im Eng-
lischen gibt es dafür das Wort complacen-
cy, eine der gefährlichen Grundhaltungen

1 | Mental vorbereitet? Hier muss klar sein,
was zu tun ist, wenn da vorn der Motor ausfällt
2 | Trockenübung: in aller Ruhe im Winter alle
Schalter und Knöpfe durchgehen. Eine externe
Stromversorgung schont dabei die Batterie
3 | Für den Notfall: Es gibt Checklisten, die man
nicht in Ruhe abarbeiten kann. Auswendig lernen
ist die einzige Lösung

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FOTOS: ROLF STÜNKEL, MIKE FIZER, HELMUTH LAGE
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