fach angeschlossen. Wie immer. Aber in
Wirklichkeit hatte ich keine eigene Mei-
nung. Das ist mein Grundproblem. Das
wird mir erst jetzt so richtig bewusst.“
In der Folge erfahre ich aus ihrer Ge-
schichte, dass sie immer brav und ange-
passt war. So, wie ihre Eltern und die
Lehrer es von ihr erwarteten. Die Eltern
hatten mit ihrer Schwester schon genug
Sorgen. Da wollte sie sie nicht auch noch
belasten. Also gab es bei ihr keine Puber-
tätsprobleme wie bei den anderen in ihrem
Alter. Wie – denke ich – hätte sie da das
Eigene entwickeln können, ihren eigenen
Weg finden und herausfinden, was sie
selbst will – auch gegen Widerstände?
Sich lieber fürs sichere
Leben entscheiden
Ich frage noch ein paar Fakten ab. „Wie
alt ist denn Ihr Kind? “, möchte ich wissen.
„Linda ist zwei Jahre alt. Sie liebt ihren
Papa ganz abgöttisch.“ Also noch etwas,
was ihren Konf likt verstärkt. Sie fährt fort:
„Mein Mann besteht darauf, dass Linda
bei ihm bleibt, wenn ich gehe.“ „Sie haben
also über die Situation miteinander ge-
sprochen? “ „Ja, und das hat unsere Bezie-
hung natürlich nicht einfacher gemacht.“
Als ich sie frage, was sie von der The-
rapie erwartet, sagt sie: „Endlich Klarheit.
Ich will wissen, was richtig ist.
„Was richtig ist – das weiß ich auch
nicht!“, entgegne ich. Es ist nicht meine
Aufgabe, die Lösung für sie zu finden. Ich
kann ihr nur helfen, sie selbst zu finden.
Das teile ich ihr mit.
Dann hake ich nach: „Warum haben
Sie sich denn zu Anfang in Ihren Mann
verliebt, und warum nun nach acht Jahren
in Ihren Freund? “ Möglicherweise findet
sie im anderen das, was sie bei sich ver-
misst, was ja durchaus keine Seltenheit
wäre. Nach einer Weile beginnt sie: „An
meinem Mann gefiel mir am Anfang die
Ruhe, die er ausstrahlte. Das tut er immer
noch. Nur dass es mich jetzt eher nervt.“
Und sie fügt hinzu: „Mein Mann ist
mit der Zeit immer stiller geworden. Der
Alltag ist ja auch kein reines Vergnügen.
E s g i b t s o v i e l z u o r g a n i s i e r e n. Un d L i n d a
schläft noch nicht durch. Dadurch sind
wir oft beide übernächtigt.“ Das norma-
le Leben eines Paares mit einem Kleinkind
eben, denke ich. Verbunden mit der Sehn-
sucht nach der Unbeschwertheit vom An-
fang.
Ich bohre weiter: „Angenommen, zwi-
schen Arno und Ihnen wäre es aus. Was
würde das dann mit sich bringen, was
würde das bedeuten? “
Sie denkt nach. „Darüber mag ich ja
gar nicht nachdenken. Es würde mir viel
fehlen: das Neue, Unbeschwerte, Leichte.
Andererseits wäre dann alles wieder ruhig
und hätte seine Ordnung. Dass mein
Mann sich nie von mir trennen würde,
das weiß ich.“ „Bei ihm finden Sie Sicher-
heit, nicht wahr? “
Ich überlege, wie wichtig für sie eben
auch diese Sicherheit ist, und teile ihr mei-
ne Gedanken mit: „Ich denke, dass es in
der Pubertät ja um Ähnliches geht: das
harmonische und sichere Leben in und
mit der Familie einerseits und den Auf-
bruch ins Eigene, Neue, Ungewisse, mit
Gefahren und Kämpfen auf der anderen
Seite. Erinnern Sie sich? “
Sie schweigt, und ich fahre fort:
„Sie haben sich damals dafür entschie-
den, lieber brav zu sein, sich anzupassen
und dafür Sicherheit, Frieden und Har-
monie in der Familie zu haben.“ Sie nickt.
„Das war wichtig. Damals haben Sie sich
dafür entschieden. Und jetzt – ist es nicht
eine ähnliche Situation? “
Nachdenklich sagt sie: „Stimmt.
Meinen Sie, ich hole da jetzt mit meiner
Affäre etwas nach?“ „Das weiß ich nicht
genau. Aber es ist sicher wert, darüber
nachzudenken“, antworte ich ihr. In den
nächsten Sitzungen werden wir an diesem
Punkt weiterarbeiten. Und irgendwann
wird sie wissen, was für sie richtig ist.
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