schichte steckt reichlich krimi-
nelle Energie.
„Süddeutsche Zeitung“ und
„Spiegel“ geben an, kein Geld
für das Videomaterial gezahlt
zu haben. Es sei ihnen „zuge-
spielt“ worden. Wie nun aus
einer Festnahmeanordnung
hervorgeht, die WELT vorliegt,
könnten die mutmaßlichen
Drahtzieher der Falle die Veröf-
fentlichung instrumentalisiert
haben, um mit bisher unveröf-
fentlichten Sequenzen Geld zu
machen.
Julian H. soll nach Veröffent-
lichung der Ausschnitte seinen
Komplizen Slaven K. angewie-
sen haben, Kontakt zu Strache
aufzunehmen und von diesem
für den Ankauf von Videomate-
rial mindestens 400.000 Euro
zu verlangen. H. wird von Wie-
ner Staatsanwälten das Verbre-
chen der Erpressung als Betei-
ligter vorgeworfen. Der Anwalt
Ramin M. soll bereits im Som-
mer 2017, also kurz nach dem
verhängnisvollen Ibiza-Tref-
fen, versucht haben, kompro-
mittierendes Material von
Strache und Gudenus an die im
Gespräch erwähnte Strabag AG
und deren Eigentümer Hans
Peter Haselsteiner verkauft zu
haben. Dafür verlangte er laut
einer Zeugenaussage etwa fünf
Millionen Euro.
Nun wird H. und dem An-
walt M. vorgeworfen, zwischen
2017 und 2019 eine Tonaufnah-
me nicht öffentlicher Äußerun-
gen von Gudenus und Strache
Dritten zugänglich gemacht zu
haben. Es geht also diesbezüg-
lich um die Verbreitung, nicht
um die Erstellung des Videos.
Der Aufenthaltsort von H. kön-
ne aktuell nicht verifiziert wer-
den.
Drei weitere Männer sind im
Zuge des Ibiza-Skandals ins Vi-
sier der Ermittler geraten. Edis
S., Slaven K. und Peter S. wird
vorgeworfen, an Planung und
Umsetzung der Tat mitgewirkt
zu haben. Konkret hat das Trio
veranlasst, die Ton- und Video-
aufnahmegeräte in der Ibiza-
Villa vor dem Treffen zu instal-
lieren. Zudem sollen die Be-
schuldigten im Anschluss an
das Treffen zwischen Strache
und der falschen Oligarchen-
nichte nach potenziellen Käu-
fern des Videos gesucht haben.
Die bisherigen Erkenntnisse
legen nahe, dass die Beschul-
digten im mutmaßlichen Kom-
plott vor allem Aufträge aus-
führten. Sie waren, so scheint
es, die Männer fürs Grobe.
Anfang November ordnete
die Staatsanwaltschaft Wien
die Festnahme von Edis S. an.
Der 37-Jährige hat eine Ver-
wicklung in den Ibiza-Skandal
in den Fall bislang dementiert.
Mehrmals stand WELT zuletzt
mit dem Beschuldigten telefo-
nisch in Kontakt. In den Ge-
sprächen räumte Edis S. zwar
ein, in der Vergangenheit mit
den mutmaßlichen Drahtzie-
hern um Julian H. Aufträge in
der Sicherheitsbranche durch-
geführt zu haben. Er habe diese
Zusammenarbeit angeblich je-
doch bereits vor drei Jahren be-
endet. Wirklich?
Die Ermittler werfen Edis S.
schließlich vor, ab 2017 an der
J
ulian H. ist nicht zu
greifen. Ob er unter
Palmen in der Karibik
liegt, ob er doch ir-
gendwo an seinen ehemaligen
gemeldeten Wohnorten in
München oder Wien ist – kaum
einer scheint aktuell zu wissen,
wo sich der mutmaßliche
Drahtzieher des Ibiza-Videos
aufhält. Nicht einmal die
Staatsanwaltschaft Wien, die
am Dienstag vergangener Wo-
che nach monatelangen Er-
mittlungen gegen mutmaßliche
Hintermänner der „Ibiza-Affä-
re“ mehrere Durchsuchungen
und Festnahmen in Wien und
Salzburg anordnete.
VON ALEXEJ HOCK, UWE MÜLLER
UND IBRAHIM NABER
Ist Julian H. abgetaucht?
Fürchtet er festgenommen zu
werden? Liest man sich durch,
was Ermittler ihm und seinen
mutmaßlichen Komplizen im
Kontext des Ibiza-Skandals
vorwerfen, gäbe es dafür gute
Gründe. Sie sollen heimliche
Ton- und Videoaufnahmen von
Ex-Vizekanzler Heinz-Christi-
an Strache und Johann Gude-
nus angefertigt und zum Ver-
kauf angeboten haben. Bei den
verdeckten Operationen, so
scheint es, war jedes Mittel
recht. Die Vorwürfe: Erpres-
sung, Betrug und Urkundenfäl-
schung.
Im Juli 2017 wurden die
FPÖ-Politiker in einer Finca
auf der Mittelmeerinsel mit
versteckter Kamera dabei ge-
filmt, wie sie über möglichen
Machtmissbrauch redeten. Sel-
ten war politische Korrumpier-
barkeit so anschaulich. Im Mai
dieses Jahres, fast zwei Jahre
später, haben „Süddeutsche
Zeitung“ und „Spiegel“ ein
paar Minuten des Videos mit
einer Gesamtdauer von sechs
bis sieben Stunden veröffent-
licht.
Die Folge war ein politisches
Erdbeben. Eine europäische
Regierung stürzte. In Wien
mussten erst Strache als Vize-
kanzler und Gudenus als Klu-
bobmann (das österreichische
Wort für Fraktionschef) zu-
rücktreten, dann beendete
Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP)
die Koalition seiner Partei mit
der FPÖ.
Die neuen Erkenntnisse der
Ermittler sind brisant, weil sie
die bisherige Legende der Be-
schuldigten erschüttern. Der
Wiener Anwalt Ramin M., mut-
maßlicher Mittäter, hatte vor
Monaten erklärt, bei der Ibiza-
Aktion habe es sich um ein „zi-
vilgesellschaftlich motiviertes
Projekt“ gehandelt, bei dem
„investigativ-journalistische
Wege beschritten wurden“.
Doch nun offenbart sich die an-
gebliche Heldengeschichte im-
mer mehr als eine Halunkenge-
schichte. Und in dieser Ge-
Tat beteiligt gewesen zu sein.
Mit Julian H., Slaven K. und Pe-
ter S. soll er die vermeintliche
russische Oligarchin „Alyona
Makarov“ rekrutiert und für ih-
ren Auftritt in der Ibiza-Villa
geschult haben. Dafür seien
auch Urkunden gefälscht wor-
den, konkret ein falscher letti-
scher Reisepass und ein ge-
fälschter Kontoauszug, der die
Frau als wohlhabend ausweisen
sollte.
Ihre Anordnung, Edis S. fest-
nehmen zu lassen, erklären die
österreichischen Ermittler mit
Tatbegehungsgefahr. Er sei
einer Tat verdächtig, die eine
Freiheitsstrafe von mehr als
sechs Monaten nach sich zie-
hen könne. Zudem verweisen
die Ermittler auf drei einschlä-
gige Vorstrafen von S. Die Fest-
nahme sei zur Aufklärung der
Tat erforderlich.
Die Frau, auf die Strache und
Gudenus in der Ibiza-Villa her-
einfielen, bleibt eines der größ-
ten Rätsel der Ibiza-Affäre. Bis-
lang ist es den Ermittlern noch
nicht gelungen, die Identität
der vermeintlichen Oligar-
chennichte herauszubekom-
men.
Im Schreiben der Staatsan-
waltschaft wird die Beschuldig-
te darum unter ihrem Lockvo-
gel-Namen geführt: Alyona Ma-
karov. Ihr wird vorgeworfen,
sich gegen Bezahlung als Nich-
te eines wohlhabenden Oligar-
chen ausgegeben zu haben. Zu-
dem habe sie auch im Rahmen
der Urkundenfälschung ihres
falschen lettischen Reisepasses
mitgewirkt, da ein Lichtbild
von ihr gemacht wurde.
Darüber hinaus wird Maka-
rov zur Last gelegt, Strache
und Gudenus in Gespräche ver-
wickelt und ihnen vermeintli-
ches Interesse an Investitionen
in Österreich vorgegaukelt zu
haben.
Das österreichische Innen-
ministerium teilte auf WELT-
Anfrage mit, aufgrund laufen-
der Ermittlungen zu einem
Verschlussakt aktuell nicht zu-
ständig zu sein. Die Staatsan-
waltschaft Wien antwortete bis
Redaktionsschluss nicht. Der
Anwalt von Ramin M. verwies
auf „Verschwiegenheitspflich-
ten“. Edis S. war nicht zu errei-
chen. Auch Slaven K. reagierte
auf Anfrage nicht.
Der Anwalt von Julian H.
ging inhaltlich nicht auf die
Fragen nach den Vorwürfen der
Ermittler ein. Er teilte mit,
österreichischen Behörden den
Aufenthaltsort seines Mandan-
ten genannt zu haben. Das Ver-
halten der Behörden spricht
nach Auffassung des Anwalt da-
für, dass die Ermittler Julian H.
aber gar nicht finden wollen.
In einer veröffentlichten Sequenz
iiist der Begleiter der angeblichenst der Begleiter der angeblichen
Oligarchennichte zu sehen
SPIEGEL/ SZ AUF YOUTUBE
„Held“ der Ibiza-Affäre ein Halunke
Mutmaßlicher Drahtzieher Julian H. gerät
ins Zwielicht. Ermittlungsakten zeichnen
das Bild eines Erpressers. Wiener
Behörden wissen nicht, wo er steckt
Die Aussagen auf Ibiza haben zum Sturz der Regierung geführt
PICTURE ALLIANCE/ DPA
6 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT MITTWOCH,27.NOVEMBER
Ahmet Altan
D
er türkische Journalist
Ahmet Altan ist nur ei-
ne Woche nach seiner
Freilassung erneut verhaftet
worden. Erst am 4. November
hatte ein Gericht in Istanbul
angeordnet, sowohl Altan als
auch die Journalistin Nazli Ili-
cak unter Auflagen aus der Haft
zu entlassen. Acht Tage später
nahmen ihn die Behörden je-
doch erneut fest – angeblich
wegen akuter Fluchtgefahr.
Christian Mihr, der Ge-
schäftsführer der Organisation
Reporter ohne Grenzen, nannte
das Vorgehen der türkischen
Behörden „ein neues trauriges
und wütend machendes Kapitel
der Justizwillkür in der Tür-
kei“. Die erneute Verhaftung
von Altan sei der Versuch, einen
allseits bekannten Regierungs-
kritiker mürbezumachen, so
Mihr.
Altan war ursprünglich am
- Februar vergangenen Jahres
zu einer lebenslangen Haftstra-
fe verurteilt worden. Der 1950
geborene Journalist und
Schriftsteller arbeitete als Ko-
lumnist für zahlreiche namhaf-
te türkische Medien, bevor er
2007 die Zeitung „Taraf“ grün-
dete. Diese wurde jedoch nach
dem vereitelten Putschversuch
des Militärs vom 15. Juli 2016 –
zusammen mit rund 100 ande-
ren Medien – per Regierungsde-
kret verboten.
PA/ DPA
/ JAN WOITAS
#Free
them
all
FFFreeree
them all
In Kooperation mit
REPORTER OHNE GRENZEN
Beim Zusammenstoß zweier
Hubschrauber sind in Mali 13
französische Soldaten ums Le-
ben gekommen. Zu der Kollisi-
on sei es während eines Kampf-
einsatzes gegen Islamisten in
dem westafrikanischen Land
gekommen, sagte Präsident
Emmanuel Macron. Nach Anga-
ben des französischen Militärs
unterstützen die beiden Heli-
kopter Bodentruppen und flo-
gen sehr tief, als sie nahe der
Grenze zu Niger zusammen-
prallten. Überlebende gab es
nicht. Frankreich hat in West-
und Zentralafrika 4500 Solda-
ten im Einsatz, die verhindern
sollen, dass sich dort islamisti-
sche Terroristen festsetzen.
1 3 französische
Soldaten
sterben in Mali