National Geographic Germany - 11.2019

(Barry) #1

44 NATIONAL GEOGRAPHIC


BOCHRA BELHAJ
HAMIDA
ANWÄLTIN UND
ABGEORDNETE,
TUNESIEN


Wir Frauenrechtlerin-
nen befürchteten,
dass die Revolution
die Frauen zurück-
werfen würde, aber
das genaue Gegen-
teil ist eingetreten.


konservativ. Auch wenn in einigen
Gemeinden die Erbfolge über die
Mutterseite läuft und Frauen an der
Wahl eines männlichen Oberhaup-
tes beteiligt werden, sind „die Chiefs
in diesem Land [...] zu drei Vierteln
Männer, und das sind einfach Chau-
vinisten“, sagt Banda. „85 Prozent
unserer Bevölkerung wohnt in
ländlichen Gebieten und unter-
steht daher diesen Oberhäuptern.
Man muss die Chiefs einbinden
und zu Mitstreitern machen, und
das habe ich getan.“
Banda hält es für „naiv“, wenn
internationale Organisationen in
Afrika hoffen, die Probleme der
dortigen Bevölkerung lösen zu kön-
nen. „Sie sind 20 Jahre lang bei uns
und gehen dann wieder zurück,
ohne viel erreicht zu haben. Denn
manches ist so tief in unserer Tra-
dition verankert, dass sie es einfach
nicht durchdringen können.“ Es sei
effektiver, eine Kultur von innen
heraus zu verändern, indem man
einflussreiche Machthaber wie die
Chiefs auf seine Seite ziehe. Erst
recht, wenn es sich bei ihnen um
Frauen handelt.
Einige Frauen sind durch Erb-
folge oder Verwandtschaftsbezie-
hungen zur Macht aufgestiegen –
auch Chief Kachindamoto trat in
die Fußstapfen ihres verstorbenen
Vaters. Ihr Zuständigkeitsbereich
umfasst 551 Dörfer und 1,1 Millio-
nen Menschen. Zuallererst betrach-
tet sie sich als „Kulturwächterin“,
doch seit ihrer Ernennung zum
Chief 2003 arbeitet sie unermüdlich
daran, bestimmte kulturelle Prak-
tiken ihres Volkes zu ändern – da-
runter den Initiationsritus, bei dem

Mädchen mit Eintritt in die Puber-
tät Sex mit unbekannten Männern
haben müssen.
Von den rangniederen Chiefs,
Dorfvorstehern und gleichrangigen
Oberhäuptern hat sie Widerstand
erfahren, sogar Morddrohungen
bekommen. Ihre Familie mahnt sie
aus Angst um ihre Sicherheit im-
mer wieder zur Vorsicht. Sie er-
zählt, das ranghohe männliche
Chiefs ihr ganz klar gesagt hätten,
„dass diese Kultur uns überlassen
wurde, um sie weiterzuführen“.
Und: „Wer bist du, dass du sie än-
dern willst?“ Ihre Antwort: „Wenn
du mir in deinem Gebiet nicht fol-
gen willst, ist das deine Sache. Aber
ich möchte nicht, dass das in mei-
nem Gebiet so weitergeht, ob es dir
nun gefällt oder nicht.“
Schon ihr Vater hatte als Chief
den Versuch unternommen, die
Initiationspraxis zu verbieten, war
aber gescheitert. Die Angst vor Aids
in einem Land, in dem einer von elf
Erwachsenen zwischen 15 und 49
Jahren HIV-infiziert ist, macht ihre
Bemühungen heute erfolgreicher.
Kachindamoto verbot Kinder-
ehen und schickte die Mädchen
wieder in die Schule, bevor in Mala-
wi 2015 das gesetzliche Heiratsalter
von 15 auf 18 Jahre angehoben wur-
de. Zuerst, sagt Kachindamoto,
wollten die Leute ihr nicht zuhören.
Sie gründete daher eine Musik-
gruppe und ging auf Tournee, um
bei ihren Konzerten flammende
Reden gegen Kinderehe und Initia-
tionsrituale zu halten. Seither hat
sie in ihrem Zuständigkeitsbereich
mehrere Verordnungen gegen diese
Praktiken erlassen und ein Exem-
pel an männlichen Chiefs statuiert,
die die Rituale weiterführten: Die
Männer wurden abgesetzt. Gleich-
zeitig brachte Kachindamoto rund
200 Frauen in leitende Stellungen,
etwa als Dorfvorsteherinnen.
Eine frühe Heirat geht oft mit
Armut einher, und Kachindamo-
to will beides bekämpfen. Schul-

Am 16. November dreht sich bei
NATIONAL GEOGRAPHIC vieles um
Frauen und ihre Rolle in verschiedenen Welten: 13.40 Uhr:Nord-
korea hautnah: Undercover mit Lisa Ling;14.30 Uhr:Malala –
ihr Recht auf Bildungüber die pakistanische Friedensnobel-
preisträgerin; 16 Uhr:„Jane“über die Primatenforscherin Jane
Goodall.Mehr Infos unter: nationalgeographic.de/spotlight

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