André Ballin, Eva Fischer, Moritz Koch, Dace
Skreija, Klaus Stratmann Moskau, Brüssel, Berlin
P
roteste in Osteuropa, Widerstand aus
Brüssel, Sanktionsdrohungen der USA:
Nichts konnte die umstrittene Ostsee-
pipeline Nord Stream 2 bisher stop-
pen. Und jetzt haben nach langem Zö-
gern auch die dänischen Behörden die Genehmi-
gung für die Verlegung der Gasröhren in ihren Ho-
heitsgewässern erteilt. Damit kann das Projekt aller
Voraussicht nach bis zum Jahresende fertiggestellt
werden. Vor allem in Russland, wo Energieexporte
als Machtinstrument betrachtet werden, wird das
mit Freude registriert. Wladimir Putin persönlich
begrüßte die Entscheidung Dänemarks. Dies sei ein
wichtiger Schritt, sagte der Kremlchef bei einem
Treffen mit dem ungarischen Ministerpräsidenten
Viktor Orbán.
Nord Stream 2 wird vollständig vom russischen
Staatskonzern Gazprom kontrolliert. Für den Kreml
hat die Pipeline strategische Bedeutung. Aber auch
die deutsche Wirtschaft setzt sich für den Bau der
Röhren ein, die als Doppelstrang parallel zur ersten
Nord-Stream-Pipeline verlaufen und deren Kapazi-
tät verdoppeln sollen. Weil Deutschland nicht nur
aus der Kernenergie aussteigen, sondern bis 2038
auch das letzte Kohlekraftwerk vom Netz nehmen
will, ist es auf andere Energiequellen angewiesen.
Russisches Gas ist vergleichsweise günstig, die Ener-
giepartnerschaft mit Moskau hat alle geopolitischen
Spannungen der vergangenen Jahrzehnte weitge-
hend unbeschadet überstanden, sodass deutsche
Unternehmen auf zusätzliche Lieferungen setzen.
Hochumstritten ist das Projekt hingegen in der
Politik. Die USA bekämpfen die Pipeline, mehrere,
vor allem osteuropäische EU-Partner, stehen an ih-
rer Seite. „Nord Stream 2 wird die beherrschende
Stellung eines einzelnen Anbieters auf dem europäi-
schen Erdgasmarkt, insbesondere in Mitteleuropa,
verstärken und mehr als 80 Prozent der russischen
Erdgaslieferungen auf einer Strecke bündeln“, sagte
der lettische Wirtschaftsminister Ralfs Nemiro dem
Handelsblatt. Dies werde das Ziel der EU gefährden,
sich auf eine breitere Nutzung erneuerbarer Ener-
gien hinzubewegen. Lettland lehne das Projekt da-
her ab.
Auch innerhalb der deutschen Regierungskoaliti-
on hat das Vorhaben einflussreiche Gegner. Insbe-
sondere in der CDU von Kanzlerin Angela Merkel.
Mehrere Abgeordnete haben sich offen gegen das
Projekt ausgesprochen, da es in Zeiten eines neuen
Ost-West-Konflikts nicht im außenpolitischen Interes-
se der Bundesrepublik sein könne, zusätzliches Geld
in die Kassen des Kremls zu spülen. Aus den Reihen
der Opposition wird das Vorhaben ohnehin scharf
kritisiert. Der Vorwurf: Deutschland verfolge wirt-
schaftspolitische Interessen auf Kosten von Ländern,
die bisher an der Durchleitung von russischem Gas
verdient haben, insbesondere der Ukraine.
Für die Ukraine geht es um die
nationale Sicherheit
Den Gegnern der Pipeline machte Merkel ein wich-
tiges Zugeständnis. Sie sagte zu, dass sich die Bun-
desregierung für eine Fortsetzung von Gaslieferun-
gen durch die Ukraine einsetzen werde. Kiew fürch-
tet, nach der Inbetriebnahme von Nord Stream 2
deutlich weniger Transitgebühren einnehmen zu
können, was den Staatshaushalt schwer belasten
würde. Für die Ukraine geht es um eine Frage der
nationalen Sicherheit, zumal sich das Land weiter
im Krieg gegen von Moskau ausgerüstete Separatis-
ten befindet.
Der bestehende Transitvertrag mit Russland läuft
Ende des Jahres aus. Der Kreml zeigt sich zwar
grundsätzlich zu Verhandlungen bereit. Doch die
Gespräche zwischen der Ukraine, Russland und der
EU-Kommission stocken trotz deutscher Vermitt-
lungsbemühungen. In einem internen Papier, das
dem Handelsblatt vorliegt, berichtet die EU-Kom-
mission zwar, dass die Verhandlungen „in guter At-
mosphäre“ abliefen. Doch inhaltlich gibt es bisher
kein Fortkommen. Nach der Genehmigung der Dä-
nen läuft den Unterhändlern die Zeit davon.
Nach Angaben von Gazprom-Chef Alexej Miller
könnten die Verlegungsarbeiten in den dänischen
Gewässern innerhalb von fünf Wochen beendet
werden. „Die Betreibergesellschaft wird am Projekt
arbeiten, und wir hoffen, dass das Projekt zum ge-
planten Zeitpunkt fertiggestellt wird“, kommentier-
te der Vertraute von Präsident Putin die Entschei-
dung. Gewisse Zweifel, ob die 9,5 Milliarden Euro
teure Trasse bis Ende 2019 betriebsbereit ist, blei-
ben zwar noch. Selbst bei einem rechtzeitigen Ab-
schluss der Bauarbeiten muss die Pipeline noch an
die Gasnetze in Russland und Deutschland ange-
schlossen und das Gas in die Röhre gepumpt wer-
den. Doch größere politische Hürden stehen dem
Projekt nicht mehr im Wege.
Die EU hatte im Sommer eine Gasmarktrichtline
beschlossen, die wesentliche Teile der Regulierung
in die Hände des Staates legt, in dem eine Gaspipe-
line ankommt. Das galt nach langen Streitereien als
Zugeständnis an die Bundesregierung.
Pipeline nicht zu stoppen
Dänemark genehmigt den Bau von Nord Stream 2. Das bringt Russland in eine gute Verhandlungs-
position gegenüber der Ukraine. Die will auch weiterhin russisches Gas nach Europa leiten.
Nord Stream 2
Nord-Stream-2-Baustelle:
Strategischer Vorteil für Russland.
Nord Stream 2 / Paul Langrock
Wirtschaft
& Politik
(^8) WOCHENENDE 1./2./3. NOVEMBER 2019, NR. 211