DEUTSCHLAND
Fotos: ullstein bild, dpa (5), imago images
Der Mauerfall war die Initialzündung für ein entfesseltes Berlin. Die Stadt entwickelt sich vom finanziellen Trauerfall zum
kulturellen und politischen Zentrum der Bundesrepublik. Wir blicken zurück auf die letzten 30 Jahre – eine Zeitreise
- Juli 1990
Die Party geht weiter:
DJ Dr. Motte führt
die 2000 Teilnehmer
der zweiten Love-
parade durch das
vereinte Berlin - Oktober 1990
Unter Feuerwerk und
Glockenläuten wird
die deutsche Flagge
vor dem Reichstag
gehisst. Die DDR
existiert nicht mehr - November 1989
18 Uhr, Axel-Springer-Hochhaus. Hier wird 18 Stockwerke über der Mauer das „Goldene Lenkrad“ verliehen.
Ehrengast ist Walter Momper, Berlins Regierender Bürgermeister. Noch kann niemand abschätzen, was in dieser Nacht
passieren würde. Um 18.57 Uhr stottert Günter Schabowski die Nachricht der neuen DDR-Reiseregelung in die Geschichts-
bücher. Gegen 19.07 Uhr erfährt Momper davon. Er verabschiedet sich von der Gala. Immer mehr Berliner strömen
zur Mauer. Um 23.25 Uhr befiehlt Stasi-Oberst Harald Jäger die Öffnung des Grenzübergangs an der Bornholmer Straße.
Die Massen bewegen sich in Richtung Westen, Berlin-Wedding. Die Grenze ist offen. Berlin vereint
FOCUS 46/2019 29
Berlin, vereint Silvester 1989/90, Ost und West am Brandenburger Tor, die Frisur sitzt
Inga Humpe,
63, Popstar,
fand in Berlin
die Freiheit,
die West-
deutschland ihr
nicht geben
konnte
Inga Humpe: Wahrscheinlich wären wir
nach London gezogen, wenn die Mau-
er nicht gefallen wäre. Nach so langer
Zeit in Westberlin fühlte es sich wie ein
Gefängnis an. Es war nicht mehr inte-
ressant, eine Mischung aus scheinbar
gemütlich und langweilig, um nicht zu
sagen depressiv. Ich bin heute noch
dankbar dafür, in den Jahren nach dem
Mauerfall mittendrin gewesen zu sein.
Es war ein unheimlicher Ausnahmezu-
stand, aber einer, der nicht bedrohlich
war.
Johannes Ludewig,
74, Helmut Kohls
Wirtschaftsberater
und Koordinator
für die neuen
Bundesländer.
Ab 1997 Chef der
Deutschen Bahn
Johannes Ludewig: Wir hatten uns schon
vor dem 9. November 1989 keine Illusi-
onen über die wirtschaftliche Lage der
DDR gemacht. Die Überalterung der
Industrie war offensichtlich. Dass es
aber richtig ernst war, erfuhr ich dann
später aus zwei Quellen. Zum einen wur-
de nach dem Fall der Mauer im Westen
das sogenannte Schürer-Gutachten
bekannt, das Egon Krenz unter großer
Geheimhaltung anfertigen ließ und am
- Oktober 1989 dem Politbüro vorge-
legt hatte. Darin wurde bereits vor der
Überschuldung und der faktisch gege-
benen Zahlungsunfähigkeit der DDR
gewarnt.