Focus - 09.11.19

(singke) #1

Der schwarze Kanal


Foto: Susanne Krauss

6 FOCUS 46/


JAN FLEISCHHAUER


Betrifft:


Notstands-Rhetorik


Im linken Lager heißt es jetzt, man müsse
AfD-Wähler „ausgrenzen, ächten, kleinhalten,
ihnen das Leben schwer machen“.
Was als Kampfansage gemeint ist, ist in
Wahrheit eine Kapitulationserklärung

»


Nur langsam setzt


sich die Einsicht durch,


dass es sich bei dem


Aufstand von rechts


nicht in erster Linie um


einen sozialen Aufstand


handelt, sondern


um einen kulturellen


«


V


ergangene Woche setzte der „Spiegel“-
Redakteur Hasnain Kazim auf Twitter
eine Empfehlung zum Umgang mit AfD-
Wählern ab. „Es geht nicht darum,
AfD-Wählerinnen und AfD-Wähler zu
,erreichen’“, schrieb er. „Es geht darum,
sie auszugrenzen, zu ächten, sie kleinzu-
halten, ihnen das Leben schwer zu machen, sie dafür, dass
sie Neonazis und Rassisten den Weg zur Macht ebnen
wollen, zur Verantwortung zu ziehen.“ 448 Menschen ver-
sahen den Beitrag spontan mit einem Herzen.
Am Tag zuvor hatte der Deutschlandfunk einen Kom-
mentar gesendet, in dem der Kommentator seine Zuhö-
rer aufforderte, mehr Hass auf AfD-Anhänger zu ent-
wickeln. „Wir müssen wieder hassen lernen – und zwar
richtig“, empfahl er. „Wer glaubt, dass Hass generell von
gestern ist, der glaubt auch an die Unumkehrbarkeit der
Geschichte und der demokratischen
Zivilisierung. Dass dieser Glaube ein
Irrglaube ist, wenigstens diese Ein-
sicht sollte sich inzwischen durchge-
setzt haben.“
Ich gebe die beiden Beiträge wie-
der, weil ich glaube, dass sie einen
Wendepunkt markieren. Vor Kurzem
bekam man für ein Buch mit dem
Titel „Gegen den Hass“ noch den
Friedenspreis des deutschen Buch-
handels, heute gilt man damit in
einem Teil der Szene als Verräter.
Sicher, man kann jetzt einwenden:
Wer sind schon Hasnain Kazim oder
Jens Balzer, der Mann im Deutsch-
landfunk? Aber das hieße, die verän-
derte Stimmungslage zu unterschät-
zen. Wenn ich mich nicht sehr täusche,
stehen die zitierten Texte für eine

Haltung, die sich links der Mitte inzwischen großer Zustim-
mung erfreut.
In Wahrheit sind die Aufrufe zu mehr Hass ein Einge-
ständnis des Scheiterns. Wer davon träumt, sechs Millio-
nen Wähler zu ächten, hat den politischen Kampf aufge-
geben, wäre meine Schlussfolgerung. So jemandem bleibt
nur, den „Nazi-Notstand“ auszurufen, so wie es die Stadt
Dresden gerade getan hat. Wenn man die Rechte zu einer
Art Naturgewalt erklärt, vergleichbar der Erderwärmung,
kann am Ende nur noch eine höhere Macht helfen, nicht
mehr die Politik. Ist für eine politische Bewegung eine
größere Bankrotterklärung denkbar?
Seit es die neue Rechte gibt, ringt man links der
Mitte mit der Frage, was man tun sollte, um ihren
Aufstieg zu verhindern. Man hat jeden als Nazi
oder Nazi-Sympathisanten bezeichnet, der
nicht schnell genug „Antifa“ rufen konnte.
Man hat auf Buchmessen Quarantänezonen
eingerichtet, um unerwünschte Verlage zu iso-
lieren. Man hat Podien boykottiert und fleißig
Blocklisten angelegt.
Selbst der Kabarettist Dieter Nuhr gilt in
bestimmten Kreisen inzwischen als so rechts, dass
man sich mit ihm besser nicht mehr an einen Tisch
setzt, wie ich neulich bei einer Veranstaltung erfahren
habe. Was die Selbstvergewisserung angeht, mögen die
Ächtungsversuche erfolgreich gewesen sein. Insofern sie
aber darauf abgezielt haben sollten, die Rechte kleinzuhal-
ten, muss die Strategie als spektakulär gescheitert gelten.

D


ie Unbeholfenheit der Lin-
ken im Umgang mit der
Konkurrenz resultiert aus
einem Missverständnis. Bis
heute hält sich hartnäckig die Vorstel-
lung, dass es sich bei den Anhängern
der neuen Bewegung um Menschen
handeln würde, die mit der Globali-
sierung haderten, weshalb sie auf
alles allergisch reagierten, was sie
mit Globalisierung verbänden, Aus-
länder und Muslime zuallererst. Nur
langsam setzt sich die Einsicht durch,
dass es sich bei dem Aufstand von
rechts nicht in erster Linie um einen
sozialen Aufstand handelt, sondern
um einen kulturellen.
Sollte man zusammenfassen, was
die Wähler der AfD verbindet, dann
ist es das Gefühl, gegen „die da
oben“ zu stehen, wobei mit „die da
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