Handelsblatt - 18.11.2019

(Tina Meador) #1
Dieter Fockenbrock Düsseldorf

G


ewerkschafter Klaus-
Dieter Hommel war am
Donnerstag richtig auf-
gebracht. „Wir haben
keinen Fall Doll, wir ha-
ben einen Fall Arriva“, wetterte der
Bahn-Aufsichtsrat. Wie recht der
EVG-Funktionär hatte. Bahn-Finanz-
chef Alexander Doll unterschrieb am
Freitag seinen Auflösungsvertrag.
Wenn der Aufsichtsrat am Montag
sein Okay dazu gibt, hat sich der Fall
Doll tatsächlich erledigt. Doch das
Problem Arriva ist geblieben. Die an-
gebliche Ertragsperle des Staatskon-
zerns erweist sich als Ladenhüter.
Mit dem Verkauf der Auslandstoch-
ter wollte die Bahn ihre Finanzlöcher
stopfen. Das war Dolls Aufgabe.
Bahn-Chef Richard Lutz, der bis En-
de 2018 selbst die Finanzen der Bahn
und wichtige Konzernbeteiligungen
wie Arriva verantwortete, sprach frü-
her gern von einer „schönen Toch-
ter“, von der er sich nur ungern tren-
nen würde. So schön war die Tochter
aber wohl nie.
Die Finanznot der Bahn diktierte
ohnehin einen anderen Fahrplan:
Seit dem Frühjahr steht Arriva im
Schaufenster. Das britische Unterneh-
men mit 5,5 Milliarden Euro Umsatz
und 53 000 Mitarbeitern bündelt den
Schienen- und Busverkehr der Deut-

schen Bahn im Ausland, hat mit dem
eigentlichen Bahnbetrieb in Deutsch-
land aber nichts zu tun.
Laut Konzern-Geschäftsbericht hat
Arriva ein halbwegs lukratives Ge-
schäft: Der seit dem Kauf auf 300 Mil-
lionen Euro gestiegene Gewinn (Ebit)
schien ansehnlich, die Kapitalrendite
(Roce) von acht bis neun Prozent
ebenfalls.
Im Zuge der Verkaufsvorbereitun-
gen fiel allerdings auf, dass die „hüb-
sche Tochter“ herausgeputzt war.
Ständig gab es Abschreibungen auf
Verkehrsverträge, Drohverlustrück-
stellungen oder Vorsorge für Sanie-
rungsmaßnahmen. In den acht Jah-
ren DB-Besitz wurden allein 700
Millionen Euro Firmenwert abge-
schrieben, weil sich die Erwartungen
an die Geschäftsentwicklung nicht
erfüllten. Unterm Strich schrumpfte
der Arriva-Gewinn gewaltig, 2018
sogar auf magere 37 Millionen Euro.
Parallel dazu zerbröselte die Kapi -
talrendite auf 1,1 Prozent (siehe Gra-
fik).
„Arriva hat bei ehrlicher Rechnung
ohne die Bereinigungen seine Kapi-
talkosten nie verdient seit Übernah-
me durch die Deutsche Bahn“, sagt
Wirtschaftsprofessor Christian Bött-
ger von der Hochschule für Wirt-
schaft und Technik Berlin. Auch die

Profitabilität des Unternehmens liege
„deutlich unter der der meisten Wett-
bewerber“.
Das blieb potenziellen Investoren
nicht verborgen. Wie auch Berichte,
dass es beim größten Auftrag in der
Geschichte der Bahn-Tochter Arriva
massive Probleme gibt. Laut briti-

schen Medien prüft die Aufsichtsbe-
hörde sogar, den 2015 erteilten Fran-
chiseauftrag in einem Gesamtwert
von zehn Milliarden Euro zum Be-
trieb von Northern Rail wieder zu
kassieren. Das wäre ein Desaster für
Arriva und hätte weitere millionen-
schwere Abschreibungen zur Folge.
Arriva, so stellte sich heraus, wird
lange nicht den erwarteten Verkaufs-
preis von bis zu vier Milliarden Euro
erzielen. Damit sollte der Schulden-
anstieg des deutschen Bahnkonzerns
Richtung 25 Milliarden Euro abge-
bremst werden. Und zwar noch in
diesem Jahr.
Der US-Finanzinvestor Carlyle soll
nach Informationen aus Finanzkrei-
sen 2,5 Milliarden Euro geboten
haben – das aber nur unter der Be-
dingung, die Deutsche Bahn behält
den risikobehafteten Northern-Rail-
Vertrag. Carlyles Gebot entsprach
nicht im Entferntesten den Erwar-
tungen.
Vor allem aber: Das einzige verblie-
bene Preisgebot des potenziellen
Käufers legt die Schwäche Arrivas of-
fen. Die britische Tochter hat seit
dem Kauf durch die Deutsche Bahn
im Herbst 2010 keinen Euro Wert ge-
schaffen. Gekauft hatte die Bahn Arri-
va für 1,8 Milliarden Euro plus 900
Millionen Euro Schulden. Und wenn
interne Informationen stimmen, las-
ten auf Arriva heute allein fast zwei
Milliarden Euro Schulden inklusive
Leasingverpflichtungen.
Dolls Aufgabe als Finanzchef der
Bahn war es, diese bittere Nachricht
dem Aufsichtsrat der Bahn und Ver-
kehrsminister Andreas Scheuer (CSU)
zu überbringen. Doch der 48-Jährige
rückte mit der Wahrheit viel zu spät
heraus. So lautet jedenfalls der Vor-
wurf. Vor allem aber: Doll unter-
schätzte die Reaktionen. Als dann
noch im September zusätzlich 432
Millionen Euro Pensionsverpflichtun-
gen bei Arriva bekannt wurden, lief
das Fass über.

Deutsche Bahn


Arriva – die schöne


Tochter mit Makel


Das Chaos im Bahn-Vorstand fordert ein erstes Opfer. Finanzchef


Alexander Doll muss gehen, weil der Verkauf der Auslandstochter


platzte. Doch der Fall Arriva holt nun Konzernchef Richard Lutz ein.


Arriva-Zug in
Tschechien:
Die Bahn-Tochter
hat kaum Geld
verdient.
DB Schenker

Ebit
in Mio. Euro

Ebit vor
Bereinigung

Ebit 300 Mio. €

37 Mio. €

Bahn-Tochter Arriva
Kennzahlen der Bahn-Auslandsbeteiligung

HANDELSBLATT

1,1 %

320

240

160



0
2011 2018
*Gesamtkapitalrentabilität (Return on Capital Employed) • Quellen: Deutsche Bahn, eigene Berechnungen

1,5 %

2,5 %

1,1 %

5,8 %

4,4 %

5,4 %

6,2 %

2011 2018

ROCE vor Bereinigung
in Prozent*

Bahn-Finanzchef
Alexander Doll: Zu
spät mit der Wahrheit
herausgerückt.

Deutsche Bahn AG

Unternehmen & Märkte
MONTAG, 18. NOVEMBER 2019, NR. 222
18

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