Neue Zürcher Zeitung - 01.11.2019

(Brent) #1

Freitag, 1. November 2019 ZÜRICHUND REGION 19


GLP empfiehlt –


niemanden


Stimmfreigabe für den zweiten
Wahlgang der Ständeratswahlen

MICHAELVON LEDEBUR

Die Zürcher GLP verzichtet darauf, eine
Empfehlung für den zweitenWahlgang
der ZürcherStänderatswahlen abzu-
geben, zu demRuedi Noser (fdp.) und
Marionna Schlatter (gp.) antreten. Dies
hat der 25-köpfigeVorstand am Don-
nerstagabend entschieden.Die GLP hat
als letzte grössere Partei im Kanton Stel-
lung bezogen. Die Grünen, die AL und
die SP unterstützen Schlatter,die FDP,
die SVP, die CVP und die BDP Noser.
Stimmfreigabe hat neben der GLP die
EVP beschlossen.
Die Grünliberalen waren ursprüng-
lich mit ihrer eigenen KandidatinTiana
Angelina Moser (80450 Stimmen) an-
get reten, die den erstenWahlgang deut-
lich hinter Marionna Schlatter (95 142
Stimmen),Roger Köppel (svp.,107 528
Stimmen) undRuedi Noser (141 700)
beendete. Welcher der beiden verblie-
benen Kandidierenden ihre Stimmen
erbt, ist nach demVerdikt des GLP-
Parteivorstands offen. Der Entscheid
ist für Schlatter wohl die grössere Ent-
täuschung als für Noser. Schlatter muss
über 46000 Stimmen aufholen. Noser
kann sich zudem seit Dienstag der
Unterstützung derSVP und von fünf
ZürcherRegierungsräten sicher sein.
In teressant war der GLP-Entscheid
auch hinsichtlich des künftigenKurses
der Partei. Bisher wurde sie von Flügel-
kämpfen verschont, aber ihreWähler-
schaft stammt aus einem breiten Spek-
trum von Mitte-rechts bis links. Schlat-
ter steht in vielenFragen deutlich lin-
ker als die gewählten GLP-Nationalräte
und lehnt beispielsweise einRahmen-
abkommen mit der EU ab; andererseits
hatte die GLP mit Moser dezidiert für
eine weiblicheVertretung im Ständerat
geworben.
Die GLP schreibt,Noser stehe ihr in
Klimafragen nahe.Bei anderen umwelt-
politischen Anliegen wie dem Natur-
undArtenschutz gebe es aber klare Dif-
ferenzen. Mit Schlatter habe man Einig-
keit in Umweltschutzfragen; zudem sei
eine weibliche ZürcherVertretung im
Ständerat zu begrüssen. Doch ihr Ein-
satz für eine Sozialpolitik mit der Giess-
kanne widerspreche klar denVorstellun-
gen der Grünliberalen.
Man kann denVerzichtder Partei auf
eine Empfehlung dahingehend interpre-
tieren, dass die GLP einem Richtungs-
konflikt aus demWeg gehen wollte. Die
Partei setzt sich allerdings demVorwurf
aus, die Verantwortung zu scheuen.

Der Rebberg Fluntern wird beerdi gt


Es bleibt bei einer Magerwiese unter der Kirche Fluntern – das Baurekursgericht lehnt eine Umzonung ab


Der Zürcher Gemeinderat


hat von einemRebberg wie


in derVergangenheit geträumt.


Ein ökologisch wertvolles Stück


Land steht demVorhaben


laut dem Stadtrat entgegen.


ADI KÄLIN


Die Geschichte beschäftigt die Zür-
cher Politik seit vielenJahren: Im Stadt-
zürcher Quartier Fluntern ist die Idee
aufgekommen, auf einer Magerwiese
unterhalb der Kirche einenRebberg an-
zulegen.Damit wäreeine Tradition wie-
deraufgenommen worden, die bisin die
1930er Jahre gepflegtworden war. Quar-


tierverein,Zunft und Kirchgemeinde
standen hinter der Idee, und auch die
Stadt fand dasVorhaben, einen ökolo-
gisch bewirtschaftetenRebberg anzu-
legen, in einer ersten Phase durchaus
akzeptabel.


StrengerSchutz angemessen


Etwas überraschend wurde jedoch eine
erste Schutzverordnung,die solches er-
möglichen sollte, nach kurzer Zeit wie-
der aufgehoben und durch eine stren-
gere ersetzt.Rekurse aus der Nachbar-
schaft hatten das Umdenken bewirkt.
Auch hatteman festgestellt, dass es sich
bei der Magerwiese unter der Kirche um
ein ökologisch bedeutendesStück Land
handelt, auf dem seltene Arten in er-
staunlich grosser Zahl vorkommen. Als
ein Beispiel wurde immer wieder das
GewöhnlicheWidderchen genannt, ein
Nachtfalter, der sich an diesem speziel-
len Ort offenbar wohl fühlt.
Die Rebbaufreunde ihrerseitsrekur-
rierten gegen die neue, strengere Schutz-
verordnung, unterlagen aber bei den Ge-
richten.Der Stadtrat habe die alte durch
die neueVerordnung auswechseln dür-


fen, hielt dasVerwaltungsgericht in sei-
nem Entscheid fest. Es handle sich bei
derWiese um ein wertvolles StückLand
mit bedeutender Flora und Fauna. Ein
strenger Schutz sei deshalb ebenso zu-
lässig wie angemessen.
Unterdessen hatte sich auch auf poli-
tischer Ebene einiges getan. Noch be-
vor dasVerwaltungsgericht denFall be-
handelte, hatte der Zürcher Gemeinde-
rat, der demRebberg immer sehr zuge-
tan war, das Fluntermer Areal von der
Freihalte- in dieLandwirtschaftszone
verlegt.Das war ein klares Zeichen da-
für, dass man denRebberg doch noch
ermöglichen wollte und die Schutzver-
fügung der Stadt als zu einengend be-
ur teilte. Die Baudirektion genehmigte
später die entsprechendeÄnderung des
Zonenplans.
Damit tat sich ein neuesFeld für eine
län gereRechtsstreitigkeit auf.Anwoh-
ner, die denRebberg verhindern woll-
ten,rekurriertenihrerseitsgegendenBe-

schluss des Gemeinderats und die Ge-
nehmigungdesKantons.DasBaurekurs-
gericht wies dieRekurrenten zunächst
ab, musste sich aber später vomVerwal-
tungsgericht sagen lassen,dass sein Ent-
scheid denrechtlichen Anforderungen
nicht genüge. Der Fall ging zurück ans
Baurekursgericht, das in seinem jüngs-
ten Urteil zum gegenteiligen Entscheid
kommt und denRekurs gutheisst.

Die Kosten werden aufgeteilt


Die geltende Schutzverordnung Flun-
tern habe zum Ziel, dieWiese als
Lebensraum seltener und geschützter
Tier- und Pflanzenarten zu erhalten.
Entsprechend seien Geländeverände-
rungen, dasDüngen, dasWeidenlassen
vonTieren oder das Betreten abseits der
Wege verboten.Aus diesen Schutzvor-
schriften ergebe sich klar, dass weder
Pflanzenbau nochTierhaltung möglich
seien.Auch die Erstellung und die Be-

wirtschaftung einesRebbergs fielen so
ausser Betracht. Deshalb sei dieFrei-
haltezonegeradezu prädestiniert für
das Areal.
Das Baurekursgericht greife nicht
leichtfertigindasPlanungsermessenvon
Gemeinden und Kanton ein. Im vorlie-
gendenFall dränge sich aber der Schluss
auf,«dass die angefochtene Planungs-
massnahme nicht zweckmässig und
nicht sachgerecht und deshalb ungeach-
tet des erwähnten Entscheidungsspiel-
raumsaufzuheben»sei.DerRekurswird
gutgeheissenunddieUmzonungvonder
Freihalte- in dieLandwirtschaftszone
aufgehoben.DieKosten müssen zu zwei
Dritteln von der Stadt Zürich, zu einem
DrittelvonderkantonalenBaudirektion
getragen werden. Der Entscheidkönnte
noch angefochten werden, was ziemlich
aussichtslos erscheint.

Urteil BRGE 144/2019 vom 18.10.19., nicht
rechts kräftig.

Das Gewöhnliche
Widderchen, ein
Nachtfalter, fühlt sich
an diesem speziellen
Ort offenbar wohl.

BEZIRKSGERICHT MEILEN


Ist er ein Schläger – oder sie psychisch krank?


Ein 51-jähriger Astrologe ist angeklagt, seine Partne rin und deren Kind miss handelt und zu falschen Angaben genötigt zu haben


TOM FELBER


Als Berufsbezeichnung gibt der 51-jäh-
rige Italiener «Astrologe» an.Früher
war er Maler.2008 hat er sich beruflich
aber neu orientiert.Von der vorsitzen-
den Richterin nach seinem Tätigkeits-
be reich befragt,gibt der Beschuldigte
an,er biete Kartenlegen,spirituelle Rei-
nigungen mit Pflanzen undMeditatio-
nen an.Dafür verlangt er150 Franken
die Stunde. Die Privatklägerinlernt eer
kennen, als sie 2011 zu ihm in die Bera-
tung kam. Nach einemJahr wurdensie
ein Paar, zogen zusammen und lebten
viereinhalbJahre in einer Beziehung.
Seine eigenen privaten Probleme be-
kam der professionelle Lebensberater,
der gemäss Selbstdeklaration 60 000
Franken Schulden hat, aber nicht in den
Griff: Beide Beteiligten erzählen unum-
wunden, dass in ihrer Beziehung stän-
dig Streit geherrscht habe. «25 Tage im
Monat» hätten sie sich gezankt, sagt der
Astrologe.Weil diese Streitereienauch
gewalttätig gewesen sein sollen, steht er
vor Gericht.
Die Partnerin brachte einen Sohn in
die Beziehung mit. In derAnklage steht,


dass derBeschuldigte Mitte September
2012 den damals Siebenjährigen ins Ge-
sicht , auf die Arme, in denBauch und
in die Genitalregion geschlagen habe.
Der Bub wurde daraufhin ins Kinder-
spital gebracht. Er erzählte den Ärz-
ten und derPolizei allerdings, er sei aus
Versehen eineTreppe hinuntergestürzt.
Laut der Anklage soll der Beschuldigte
das Kind zu diesenAussagen genötigt
haben. Er habe demJungen gedroht,
ihn oder seine Mutter zu töten, wenn
er dieWahrheit erzähle.

VerjährteVorwürfe


DieserVorwurf bleibt allerdings im
Raum stehen.Das Bezirksgericht Mei-
len stellt auf Antrag desVerteidigers
fest, dass der entsprechendeTeil der
Anklage verjährt ist und nicht mehr be-
urteilt werden darf. Die siebenjährige
Verjährungsfrist ist vor eineinhalb
Monaten abgelaufen. Der Gerichts-
terminkommt zu spät.Das Verfahren
wird eingestellt.
Es bleiben Vorwürfe gegen den
Mann wegen einfacherKörperverlet-
zung,Tätlichkeiten und versuchter Nöti-

gung zumNachteil der damaligenPart-
nerin. In der Anklage sind fünfkon-
kreteVorfälle knapp beschrieben: Im
Januar 2013 habe der Mann derPart-
nerin «in einem Hotel in den Schwei-
zer Bergen oder in der gemeinsamen
Wohnung» durch Schläge gegen den
Kopf eine Hirnerschütterung zugefügt.
Im November 2014 habe er ihr durch
einenFaustschlag einen Zahn so ge-
lockert,dass dieser durch ein Implantat
habe ersetzt werden müssen. ImJanuar
2015 habe er dieFrau imBadezimmer
so gegen die Brust gestossen, dass sie
auf denBadewannenrand gestürzt sei
und sich eine Rippe gebrochen habe.
Im Februar 2017 habe er sie gegen den
Kopf geschlagen und nach derTrennung
im März2017 telefonisch mit demTod
bedroht. DieFrau erstattete erst nach
der Trennung Strafanzeige.
Die Frau berichtet vor Gericht von
jahrelangen Schlägen und Bedrohun-
gen und bricht mehrfach inTränen aus.
Viele ihrer Schilderungen wirken jedoch
wirr, sie kannkonkreteFragen wie jene
nach dem genauen Ort «in denSchwei-
zer Bergen» nicht beantworten. Sie er-
zählt, in ständiger Angst vor dem Be-

schuldigten gelebt zu haben.Weshalb
sie ihren Sohn trotzdem oft mit ihm
allein gelassen hat,kann sie aber nicht
erklären.Auf Nachfrage desVerteidi-
gers muss sie einräumen, dass sie dem
Beschuldigtenauch noch ein halbesJahr
nach derTrennungPanettone und Sekt
als Geschenke zu seinem Arbeitsplatz
gebracht hatte.

Gesundheitlich angeschlagen


Der nicht vorbestrafte Astrologe beteu-
ert seine Unschuld.Er habe niemals Ge-
walt angewendet, weder gegen dieFrau
noch gegen das Kind. Im Gegenteil, die
Frau habe ihn geschlagen und mehrmals
mit einem langen Messer bedroht.Seine
Ex-Partnerin sei psychisch krank und
habe eine bipolare Störung. Wie sie zu
den Verletzungengekommen sei, wisse
er nicht. Er sei nicht dabei gewesen. Sie
wolle sich an ihmrächen,weil er die Be-
ziehung zu ihr beendet habe.
Der Staatsanwaltreduziert seinen ur-
sprünglichenAntrag aufgrund der ver-
jährtenVorwürfe von2 JahrenFrei-
heitsstrafe bedingt auf18 Monate. Er
räumt ein, dass dieAussagen derFrau

nichtkonzise genug seien, um nur ge-
stützt darauf Anklage zu erheben. Ihre
Angaben würden jedoch durch Arzt-
berichte und dieAussagen ihres Soh-
nes gestützt. DerFall entspreche einem
gängigen Muster bei häuslicher Gewalt:
Die Frauen würden diese jahrelang er-
dulden und brächten nicht die Kraft auf,
Anzeige zu erstatten.Die Geschädigten-
vertreterin beantragt eine Genugtuung
von 20000 Franken.
Der Verteidiger verlangt einenFrei-
spruch und 3000 Franken Genugtuung.
DieVorwürfe seien «an den Haaren her-
beigezogen», und dieAussagen voller
Widersprüche. Die Frau, die eineThe-
rapie besucht, sei psychisch krank und
habe ihren Sohn instrumentalisiert. Die
Arztberichte seien wertlos. Die Frau sei
oft grundlos zum Arzt gegangen und
über dieJahre insgesamtsieben Mal im
Spital «vorstellig geworden».Viermal
davon hätten dieÄrzte überhauptkeine
Symptome festgestellt. Nur der Rippen-
bruch sei wirklich diagnostiziert worden,
sie habe ihn sich aber bei einem Sturz
allein imBad zugezogen.
Ein Urteil ist am Donnerstag noch
nicht eröffnet worden.

Betreten verboten: DieWiese bei der KircheFlunternwarGegenstandeines jahrelangenQuartierstreits. ADRIAN BAER / NZZ
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