Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1

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Worum geht’s in „Cortex“?
Auch das ist eine relativ komplexe Geschichte,
bei der mir jeder sagen würde: „Mach’s für Net-
flix. Dort passt das am besten rein.“ Und tat-
sächlich wäre es ja viel einfacher. Um „Cortex“
ins Kino zu bringen, muss ich durch ein halbes
Dutzend Institutionen: Filmförderer, Verleiher,
Koproduzenten ... Aber auch da bin ich eben
sehr sentimental. Gott sei Dank gibt es für sol-
che Projekte die Deutsche Filmförderung ...

... die auch schon eine Menge Kritiker auf
den Plan rief. Warum, so der beliebte
Vorwurf, soll der Steuerzahler Filme fördern,
die am Ende ein paar Tausend Leute sehen?
Die Filmförderung hilft gegen den übermächti-
gen Konkurrenten, die amerikanische Filmin-
dustrie, gegen den man sich sonst gar nicht
mehr behaupten könnte. Das Problem ist seit
jeher, dass der rund 300 Millionen Dollar teure
letzte „Avenger“-Film am Point of Sale, also im
Kino als Eintrittskarte, am Ende fast genauso
viel kostet wie der kleine Kunstfilm mit einem
Budget von 100 000 Euro.

Da kommen die Subventionen ins Spiel, die
sich ziemlich verändert haben.

Stimmt. Früher war das pure Kulturförderung.
Ein Fassbinder-Film bekam ein bisschen Geld,
das er selten eingespielt hat. Seit den Neunzi-
gerjahren dreht sich das. Plötzlich merkte
man, dass mit der einen oder anderen Komödie
vom „Bewegten Mann“ bis zu „Knockin’ on
Heaven’s Door“ sogar ein bisschen was zu ver-
dienen war. So wurde aus der Kulturförderung
eine wirtschaftlich orientierte Subvention. Das
ist eigentlich ein Widerspruch in sich.

Also ist das System krank?
Die Franzosen machen das sicher etwas
schlauer mit der Filmförderung. Aber sie ist ei-
ne absolute Notwendigkeit. Ohne Subvention
ist das deutsche Kino nicht existent. Wir müs-
sen uns vielleicht trauen, den Kulturauftrag
ernster zu nehmen. Kino muss auch mal weh-
tun, mal politisch nicht korrekt sein, mal Hal-
tung zeigen oder verstören. Das ist seine Auf-
gabe – im Gegensatz zum Fernsehen ...

... das in Deutschland auch einen Bildungs-
auftrag hat.
Na ja, bleiben wir ehrlich: Das Fernsehen will
den Leuten vor allem was Nettes liefern, wenn
sie abends müde von der Arbeit nach Hause
kommen, oder? Der Anspruch an die Unterhal-
tung ist dort viel klarer definiert.

Wie haben sich eigentlich die Schauspieler-
gagen entwickelt?
Früher waren Filmstars entgrenzte Wesen, die
weit weg auf einer Insel zu leben schienen.
Heute wird man umso berühmter, je nahbarer
man ist. Die Streamingdienste betreiben die
Abschaffung des alten Star-Systems durchaus
mit Vorsatz. Warum soll ich einem Johnny
Depp 20 Millionen Dollar zahlen, wenn ein an-
derer mit 300 000 zufrieden ist?

Es ist also günstiger, sich seine neuen Stars
selbst zu schaffen?
Das passiert jedenfalls gerade. Und wenn sich
diese Entwicklung weiter fortsetzt, wird die
Schauspielerei im Film die gleiche Entwick-
lung nehmen wie der Beruf der Stewardess:
Vor 30 Jahren galt das noch als cool, heute ist
es vielfach nur noch ein schlecht bezahlter

„Nur ein ganz kleiner Teil unserer Branche kann von der
Arbeit wirklich entspannt leben“, glaubt Moritz Bleibtreu.
Pullover: Calvin Klein, Uhr: IWC Ingenieur


»Kino muss auch mal wehtun,


mal politisch nicht korrekt sein,


mal Haltung zeigen oder verstören.


Das ist seine Aufgabe –


im Gegensatz zum Fernsehen.«


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