Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1

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teilen oder Prototypen Feedback. Bei jeder
Schraube, jeder Steckverbindung disku-
tiert das Team, ob sie nötig und auf die
einfachste Weise umgesetzt ist. Hier
kämpfen nicht Techniker mit Designern,
sondern alle gemeinsam mit dem Pro-
dukt. Eine Obergrenze, wie viele Schritte
eine Anleitung haben darf, gebe es zwar
nicht. „Aber nach zwei Stunden Möbelauf-
bau ist jeder müde, egal wie einfach jeder
einzelne Schritt ist“, sagt Öhrström.


Wie Ikea den Eigenbau entdeckte


Im Nachbargebäude ist Ikeas großes „Test
Lab“. Während die Haltbarkeit der Möbel
hier akribisch in etlichen Räumen ge-
checkt wird, ist für den Aufbautest nur ei-
ne mit schwarz-gelbem Klebeband mar-
kierte Fläche von drei mal zwei Metern
im Treppenhaus vorgesehen. Auf dem Bo-
den ein roter Filzteppich. Die Enge ist ge-
wollt: „In Schanghai oder New York sind
die Zimmer sehr klein, auch auf diesem
Raum muss man Ikea-Möbel aufbauen
können“, sagt Laborchef Lars Almblad.
Regelmäßig lädt er Mitarbeiter aus ande-
ren Abteilungen ein oder heuert Zeitar-
beiter an, um zu testen, wie lange die für
den Aufbau einer neuen Kommode oder
eines Regals benötigen. Oberstes Credo:
Massentauglichkeit.


„Wir wollen etwas schaffen, das allen
gefällt“, beschreibt es Lisa Sträng Feldt,
eine weitere Grafikdesignerin im Team.
Aber natürlich spart es dem schwedi-
schen Konzern auch viel Geld und Auf-
wand.
Die Idee, Kunden ihre Möbel nach An-
leitung selbst aufbauen zu lassen, ist da-
bei fast so alt wie Ikea selbst. Der Firmen-
legende nach hatte Gillis Lundgren, Ing-
var Kamprads vierter Angestellter, 1955
einen Lövet-Couchtisch bei seinem Arbeit-
geber erstanden und wollte ihn nach
Dienstschluss in seinem Auto verstauen.
Weil er nicht passte, schraubte Lundgren
die Beine ab und erzählte dem manisch
knausrigen Kamprad von seiner Idee.
Schon im nächsten Ikea-Katalog wurde
Lövet als Bausatz verkauft.
Die Aufbauanleitungen aus dieser Zeit
sind schwarz-weiß wie heute, sonst aber
das genaue Gegenteil zur Jetztzeit: ein mit
Schreibmaschine auf Schwedisch dicht
beschriebener, nach Lösungsmittel rie-
chender Zettel. Erst später bekamen sie
Bilder, wurden farbig – und überraschen-
derweise noch unverständlicher: Auf ei-
ner Anleitung von 1981 für die Couch
Tullanes sind die Bilder dicht gedrängt,
dazwischen ein wildes Pfeile-Chaos. „Es
ist so kompliziert, man weiß überhaupt
nicht, worauf man sich konzentrieren
soll“, lacht Lisa Sträng Feldt.
Dem globalen Erfolg von Ikea haben
sich auch die Anleitungen angepasst, die
über die Jahre verstummten, wenn man
von Warnhinweisen in 35 Sprachen auf
der zweiten Seite absieht. Im Jahr 2000
wurde das Layout radikal abgespeckt:
kein Text mehr, viel Weißraum, Pfeile und
Vergrößerungen nur da, wo der Aufbau
komplex wird – etwa, wenn man genau
erkennen muss, in welches von zwei be-
nachbarten Bohrlöchern ein Holzstift ge-
hört. „Wir wollen nur das Wichtigste he-
rausheben“, erklärt Sträng Feldt. „Wenn
man alles betont, betont man gar nichts.“
Auch Comic-Helfer Gubbe wurde im
Jahr 2000 geboren. „Er ist der Jedermann
und soll das sympathische Ikea rüber-
bringen“, sagt Silva, „wie ein Freund, der
dir sagt, welche Werkzeuge du brauchst.“
So ist die Produktion der Anleitungen
in den vergangenen Jahren immer effi-
zienter und kostengünstiger geworden:
Früher wurden die Möbel in den einzel-
nen Aufbauschritten fotografiert und ab-
gezeichnet. Heute erstellen die Grafiker
mit 3D-Simulationen Computermodelle ei-
nes Möbelstücks, die dann automatisch
eine Komponentenliste hinzufügen. Der

nächste Schritt könnte sein, den Kunden
direkt digitale Anleitungen zu geben.
Aber Gebrauchsanweisungen auf Papier
werde es auch dann geben. Nicht nur,
weil sie gesetzlich vorgeschrieben sind.
Die virtuellen Aufbauhilfen, die Ikea
bislang getestet hat, haben nämlich noch
ganz praktische Probleme: „Wenn die
Kundin für eine Anweisung zum
Smartphone griff, hatte sie nur noch eine
Hand zum Aufbauen frei. Und bis sie
beim nächsten Schritt war, war die Tas-
tensperre schon wieder aktiviert. Es war
eher frustrierend“, sagt Daniel Frith, der
die Produktion der Anleitungen kaufmän-
nisch betreut. Erst wenn auch Augmen-
ted-Reality-Brillen zum Massenprodukt
würden, sähe der Manager wieder Chan-
cen für voll digitale Aufbauhilfen.
Dem Papier würde Ingenieur Öhr-
ström ohnehin nicht nachtrauern: „Ein
Möbelstück so intuitiv, dass niemand
mehr eine Anleitung braucht – das wäre
das ultimative Ziel.“

Früher machten Ikea-Gebrauchsanweisungen
viel zu viele Worte.


Horror Komplexität: Über manche Anleitung
von einst können die Designer heute lachen.

»Nach zwei Stunden


Möbelaufbau ist


jeder müde, egal


wie einfach jeder


einzelne Schritt ist.«


n


Alexander Demling hat mit seiner Unfähigkeit beim
Aufbau zweier Trysil-Kleiderschränke einmal den
Zorn seiner Frau provoziert. Als er das dem Ikea-
Ingenieur Öhrström erzählte, war der ehrlich betrof-
fen und entschuldigte sich – er hat einst an den
Anleitungen für den Schrank mitgearbeitet.

REPORT Ikea

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