Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1
„Ich würde Huawei behandeln,
wie wir auch andere Zulieferer
behandeln.“
Roland Busch, stellvertretender Vorstandsvorsitzender
von Siemens, ist gegen einen Ausschluss des chinesischen
Netzwerkausrüsters vom Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes.

Worte des Tages


Verbraucherschutz


Bessere


Bildung, bitte


D


er Titel des Schriftstücks
lässt schon vermuten, dass
es sich dabei nicht um eine
Lobrede auf die deutsche Finanz-
aufsicht Bafin handelt: „Die Akte
Bafin“, heißt der Report, den die
Bürgerbewegung Finanzwende am
Donnerstag auf den Tisch legte.
Hinter der Initiative steht Gerhard
Schick, Ex-Finanzexperte der Grü-
nen im Bundestag und schon in die-
ser Funktion ein regelmäßiger Kriti-
ker der Bafin. Deshalb verwundert
es nicht, dass der Report zu dem
Schluss kommt, dass die Aufseher
zu wenig tun, vor allem für den Ver-
braucherschutz.
Tatsächlich lässt sich trefflich da-
rüber streiten, ob die Bafin ihre
Möglichkeiten mutig genug nutzt,
um Anlegerskandale zu verhindern.
Und natürlich stellt sich nach eini-
gen spektakulären Fällen in den
vergangenen Monaten die Frage, ob
der „kollektive Verbraucherschutz“
bei der Bonner Behörde überhaupt
richtig aufgehängt ist.
Noch wichtiger als die Beantwor-
tung dieser Fragen ist allerdings ei-
ne bessere Vorbeugung gegen Nep-
per, Schlepper und Bauernfänger
auf den Anlagemärkten, und dazu
gehört in erster Linie eine bessere
Finanzbildung.
Um die Finanzkompetenz der
Deutschen ist es nicht allzu gut be-
stellt, das zeigen Studien immer
wieder. Vor allem Jugendliche und
junge Erwachsene haben große
Wissenslücken, aber auch unter
den Älteren sind Finanzcracks eher
dünn gesät. Helfen könnte ein neu-
es Schulfach, das nicht nur die
wichtigsten volkswirtschaftlichen
Zusammenhänge, sondern auch so-
lides Grundwissen über Finanz -
instrumente und Märkte vermittelt.
Wer sich mit Aktien, Anleihen
und Co. auskennt, wird Betrügern
nicht so schnell auf den Leim ge-
hen. Wer die Grundweisheit verin-
nerlicht hat, dass höhere Renditen
immer auch mit höheren Risiken
verknüpft sind, der fällt nicht auf
die Versprechen windiger Invest-
mentvermittler herein. Ganz abge-
sehen von der Tatsache, dass besse-
res Finanzwissen auch beim kriti-
schen Thema Altersvorsorge
ausgesprochen hilfreich wäre.


Mit mehr Wissen über das Thema
Finanzen ließen sich
Anlegerskandale am besten
verhindern, meint Michael Maisch.

Der Autor ist stellvertretender
Ressortleiter Finanzen.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]


A


ls der Dax 2018 fast ein Fünftel verlo-
ren hatte, schien sich Börsengeschichte
zu wiederholen. Anleger stellten sich
die bange Frage: Droht 2019 ein neues
2008? Vor gut einem Jahrzehnt fiel die
Weltwirtschaft nach dem Zusammenbruch der ame-
rikanischen Großbank Lehman in eine Art Schock-
starre. Firmen stornierten kurzerhand Aufträge in
der Erwartung, dass sie keine Abnehmer mehr fin-
den würden. Prognostizierte Firmengewinne dreh-
ten in tiefrote Zahlen. Deutschlands Wirtschaft
rutschte 2009 mit einem negativen Wachstum von
5,6 Prozent in die schwerste Rezession seiner Nach-
kriegsgeschichte. Die Folge: Der Leitindex Dax verlor
damals in den 15 Monaten bis zum Frühjahr 2009
über 50 Prozent. Aktien von Unternehmen wie BASF
waren für 20 Euro zu haben, was einen Kurssturz
von 60 Prozent bedeutete.
Dies schien sich 2019 zu wiederholen. Nicht weil
Banken pleitegehen, sondern weil der zehnjährige
Aufschwung überreif war, ein möglicherweise unge-
ordneter Austritt Großbritanniens aus der Europäi-
schen Union die heimische Wirtschaft in den Ab-
grund zu ziehen drohte und weil Amerikas Präsident
beinahe täglich mit neuen Attacken den freien Welt-
handel und den Siegeszug der Globalisierung mit
Protektionismus und Zöllen infrage stellte. Von all-
dem am stärksten bedroht schienen Deutschlands
exportstarke Unternehmen im Dax, die im Schnitt
drei Viertel ihrer Umsätze im Ausland erzielen.
Es kam anders. Anfangs nur an der Börse. Seit Ja-
nuar steigt der Dax, bis heute um 25 Prozent. Allen
Brexit- und Trump-Sorgen zum Trotz setzt die Börse
unbeirrt darauf, dass alles nicht so schlimm kommt
wie befürchtet. Ebenso wie die Finanzmärkte schon
damals, kurz nach der Wahl Donald Trumps zum US-
Präsidenten, auf steigende anstatt fallende Kurse ge-
setzt hatten, spekulierte die Mehrheit der Investoren
auch in diesem Jahr frühzeitig auf ein Ausbleiben der
großen Krisen. Und sie behielt recht – bis jetzt.
Frühzeitig setzte sich an der Börse die Meinung
durch, dass Trump seine Wiederwahl 2020 wichti-
ger ist als seine Worte von gestern. Deshalb forderte
er von der Notenbank entgegen seinen Forderungen
im Wahlkampf nicht höhere, sondern niedrigere Zin-
sen. Das beflügelt die Kurse, weil es mangels Zinsen
keine wirkliche Alternative zu Aktien gibt. Und des-
halb geht Trump jetzt auf die lange Zeit von ihm ge-
scholtenen Europäer und Chinesen zu, indem er an-
gekündigte Zölle verschiebt und aussetzt und bei all
diesen Rochaden auf sein Verhandlungsgeschick
hofft. Die Öffentlichkeit mag es Populismus nennen,
doch die Börse dankt Trumps Einsicht mit steigen-

den Kursen, weil so die einst befürchtete Weltrezes-
sion ausbleibt.
Wahr ist aber auch: Der bereits 2018 in der Auto-
mobilindustrie begonnene Abschwung verschärft
sich zwar nicht. Aber er mündet auch nicht in einen
neuen Boom, wie es die immer weiter steigenden
Kurse in Deutschland und die Allzeithochs der Bör-
sen an der Wall Street vielleicht vermitteln. Das zeigt
sich an Unternehmen wie BASF. Der weltgrößte Che-
mieproduzent beliefert mit seinen Grundprodukten
fast alle Industriebranchen und spürt deshalb wie
ein Seismograf, ob die Wirtschaft künftig wächst
oder nicht. Daran gemessen sind allzu große Hoff-
nungen nicht angebracht. An seiner im Juli für einen
Dax-Konzern ungewöhnlich drastisch gekappten
Prognose, wonach der operative Gewinn in diesem
Jahr um bis zu 30 Prozent niedriger ausfallen werde
als 2018, hält BASF-Chef Martin Brudermüller fest.
Hoffnungen auf bessere Zeiten verbreitet er ebenso
wenig wie die zwei Schlüsselbranchen Chemie und
Maschinenbau. Beide haben in diesem Jahr mehr-
fach ihre Erwartungen gesenkt, beide rechnen mit
Produktionsrückgängen im Gesamtjahr, und beide
sehen keine Signale für eine Trendwende.
Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass es für einen
Crash wie 2008 als Vorahnung schlechter Zeiten
diesmal keine Gründe gibt. Deshalb blieb 2019 der
Crash aus. Anstelle einer Mega-Rezession schlittern
Deutschland und seine Unternehmen eher in einen
Miniabschwung – aber auch ohne sofortigen neuen
Boom. Dafür fehlt es an der Nachfrage. Zudem
schlägt die Strukturkrise in der Automobilindustrie
mit dem abrupten Wandel zur Elektromobilität, wo-
runter vor allem die vielen Zulieferer leiden, voll
durch und wird lange wirken.
Diese Lage rechtfertigt keine neuen Höchstkurse,
von denen der Dax angesichts seiner rasanten Rally
in diesem Jahr nur noch knapp fünf Prozent entfernt
ist. Wer heute Aktien kauft, spekuliert bereits auf
übermorgen und einen neuen Aufschwung. Dieser
wird nach den üblichen Gesetzmäßigkeiten des Auf
und Ab der Wirtschaft zwar irgendwann kommen,
ist aber vorerst nicht in Sicht. Gut möglich, dass die
Börse diesmal die Zukunft ein wenig zu früh vorweg-
genommen hat und 2020 ähnlich gegensteuern wird
wie 2019. Dann aber mit sinkenden Kursen, weil An-
leger diesmal etwas zu optimistisch und damit so
voreilig waren wie 2018, als sie allzu schnell auf Re-
zession gesetzt hatten.

Leitartikel


Der Frühindikator


Börse funktioniert


Welche Risiken
mit Brexit, Trump
oder Rezession
auch immer
drohen: Anleger
spekulieren
darauf, dass die
großen Krisen
ausfallen, und
lagen damit
bisher richtig,
findet
Ulf Sommer.

Die Öffentlich-


keit mag es Po-


pulismus nen-


nen, doch die


Börse dankt


Trumps Einsicht


mit steigenden


Kursen, weil so


die einst


befürchtete


Weltrezession


ausbleibt.


Der Autor ist Redakteur im Ressort Unternehmen
& Märkte. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Meinung


& Analyse


(^30) WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216

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