Handelsblatt - 08.11.2019

(Barré) #1
Karriere
WOCHENENDE 7./8./9. NOVEMBER 2019, NR. 216^59

Folgt man Scherer, müsste die Antwort heißen:
Zumindest kann es jeder lernen. Natürlich habe
auch er Leute in seinen Kursen sitzen, „die nie die
großen Bühnen rocken werden – und das auch gar
nicht wollen“, sagt Scherer. Sein Goldprogramm
sei eher eine Ausbildung, in der Menschen zur
Marke würden. Deshalb gebe es in den vier Semi -
nartagen auch Lerneinheiten zu Themen wie Pod-
casts oder Bücherschreiben. Worauf seine Schüler
hinterher den Fokus legten, sei ihnen überlassen.
Prinzipiell darf sich in Deutschland jeder Spea-
ker nennen. „Es gibt keine Qualitätsstandards, kei-
ne Zugangsvoraussetzungen und keine Preisstan-
dards“, sagt Verkaufsguru Dirk Kreuter, den man
auf seiner Website für 75 000 Euro buchen kann.
Oft läuft der Weg über Kurzseminare wie jenes von
Scherer oder einem seiner Mitbewerber. Angefüt-
tert von den Profis, orientieren sich die Newcomer
oft an den fürstlichen Gagen ihrer Lehrmeister.
Auch Scherer sagt im Kurs: Beim Honorar dürfe
man getrost „die Treppe von oben fegen“.
„Viele haben die Euro-Zeichen in den Augen“,
sagt Autor und Profiredner Felix Plötz, der ein
Buch zum „Traumberuf Keynote Speaker“ ge-
schrieben hat. Darin unterteilt er den deutschen
Rednermarkt in vier Preisklassen: 1000 bis 3000
Euro pro Auftritt – das seien die Einsteigergagen.
3000 bis 6000 Euro würden Profis verlangen, die
vom Reden leben können. Honorare von 6000 bis
12 000 Euro rufen Topspeaker auf, die – wie etwa
Scherer – eine Marke im Markt seien. Gagen jen-
seits der 12 000 Euro fallen laut Plötz hingegen
meist in die Kategorie Promi.
„Der Markt wird aktuell überschwemmt von
Leuten, die neu beginnen“, sagt Plötz, der der Red-
nerzunft ihren scharlatanhaften Beigeschmack
nehmen will. Für Veranstalter bedeute das: Wer zu
wenig Budget in die Hand nehme, müsse damit
rechnen, jemanden zu buchen, der froh sei, über-
haupt auf einer Bühne stehen zu dürfen.
Tatsächlich können gute Keynote-Speaker ihr
Geld wirklich wert sein. Eine packende Rede bringt
neue Perspektiven, facht Debatten an, inspiriert.
Plötz: „Die Frage sollte immer sein: Was kann der
Speaker dem Publikum geben?“ Und nicht: Was
kann der Speaker vom Veranstalter verlangen?
Plötz’ Themenfelder reichen von Start-ups und Di-
gitalisierung bis hin zu Führungs- und Generatio-
nenfragen. Eine thematische Bandbreite, die nicht
unüblich in der Branche ist. Geredet wird über das,
was nachgefragt wird, und zwar mitreißend. Wie
gesagt: Gänsehaut bringt mehr als Wissen.
An seiner ersten Keynote hat Mittdreißiger Plötz
vier Monate lang gefeilt. Auch heute nimmt er sich
zur Vorbereitung eines neuen Vortrags noch im-
mer mehrere Wochen Zeit. „Jeder hat die Chance,
Keynote-Speaker zu werden“, sagt Plötz, der einen
Festpreis von 6200 Euro verlangt – und im nächs-
ten Jahr seinen Satz wahrscheinlich noch mal nach
oben anpassen wird. „Aber: Dazu gehört auch ver-
dammt viel Arbeit.“ Bloß werde nach außen hin oft
ein anderes Bild transportiert.

Früher Guru, heute Speaker
Ein wenig erinnert der derzeitige Rednerboom an
die späten Neunzigerjahre. Damals ließen Motivati-
onstrainer, inspiriert von US-Gurus wie Anthony
Robbins, ihre Seminarteilnehmer über heiße Koh-
len laufen und versprachen ihnen schnellen Erfolg
oder noch schnelleres Geld. Es war die Zeit von Fi-
nanzpredigern wie Bodo Schäfer oder Bühnenzam-
panos wie Jürgen Höller. 2003 wurde Höller wegen
Untreue, vorsätzlichem Bankrott und falscher ei-
desstattlicher Versicherung zu drei Jahren Haft ver-
urteilt und wanderte ins Gefängnis. Schäfer ver-
kaufte auf der Spitze der New Economy seine Fi-
nanz Coaching GmbH kurz vor der Insolvenz.
Die Versprechen heute klingen ähnlich schrill
wie damals: Auf der Webseite der „Public Speaking
Academy“ von Tobias Beck, einem Shootingstar
der Branche, heißt es etwa: „Unser Ziel ist es, Dich
in zwei Tagen so gut zu machen, dass Du an Dei-
nem allerschlechtesten Tag – verschwitzt, mit Kopf-
schmerzen, mit all dem, was nicht passieren soll –
besser bist als andere an ihrem besten Tag.“
Von einem anderen Speaker-Seminar wird be-
richtet, dass den Teilnehmern zur Markenbildung

ernsthaft vorgeschlagen wurde, verstärkt Urlaub
auf Sylt zu machen. Dort weilten schließlich viele
Prominente, mit denen man sich gut auf einem Sel-
fie präsentieren könne.
„Das ist Illusionen verkaufen“, sagt Volker Rö-
mermann, Rechtsanwalt und Präsident der Ger-
man Speaker Association (GSA), dem Berufsver-
band der deutschen Redner. Die meisten Topspea-
ker bildeten sich in Extra-Einheiten mit
Schauspiel-, Rhetorik- oder Dramaturgiecoachings
weiter. Solche Einzeltrainings dürften effektiver
sein als vollmundige Tagesseminare, die sich als
Massenveranstaltung entpuppen oder Onlinekurse,
die oft als Lockangebot für spätere teure Präsenz-
seminare dienen. Man könne sich schon wundern,
dass „intelligente Mensch nicht merken, dass eini-
ge Versprechen im Speaking-Business schlicht Ver-
kaufsmasche sind“, sagt Expertin Bußmann.
Ein bisschen sei es wie bei den Goldgräbern, er-
klärt Roman Kmenta, selbst Keynote Speaker und
Pricing-Experte, die Bühnen-Bonanza: „Am meis-
ten haben eben die Händler verdient, die die Spitz-
hacken und Schaufeln an die Goldminenbetreiber
verkauft haben.“
Zu den Profiteuren des Speaker-Goldrausches
zählen auch die vielen Agenturen, die Redner ver-
markten und vermitteln. Beim deutschsprachigen
Marktführer „Speakers Excellence“ kommt man ab
rund 8000 Euro Aufnahmegebühr in den agentur-
eigenen „Top 100 Speaker“-Katalog. Auf Veranstal-
tungen von Speakers Excellence können sich noch
unentdeckte Speaker-Aspiranten einen Rednerslot
kaufen. Als Zuckerl lockt „eine ganze PR-Seite zu
Ihrer Person und Themen in einer großen Tages-
zeitung“ im Zusammenhang mit dem Event. Preis:
„auf Anfrage“.
„Als Marketinginstrument ist das durchaus legi-
tim“, sagt ein Redner, der derzeit bei Speakers Excel-

lence gelistet ist. Die Profile der Redner auf der Web-
site wirkten „ professionell und wertig“, die Videos
sogar „cool“: „Nur darf man nicht erwarten, dass
man so an Aufträge kommt.“ Andere kritisieren, dass
der Name „Top 100“ suggeriere, es handele sich um
eine Auszeichnung. „Man kauft sich da ein, fertig“,
sagt eine Rednerin, die die Agenturwelt gut kennt.
Man habe jedes Jahr „deutlich mehr Bewerbun-
gen als freie Plätze“, verteidigt sich Gerd Kulhavy,
Gründer und Geschäftsführer von Speakers Excel-
lence. Im Speaker-Katalog kämen auf zehn Vakan-
zen in den Top 100 etwa 40 bis 50 Kandidaten.
Man nehme nur Bewerber, die den Aufnahmekrite-
rien entsprächen. Dazu gehörten rhetorische Bril-
lanz, Referenzen, Themenführerschaft und Exper-
tise sowie Performance und Stil.
Die hohen Aufnahmegebühren ergäben sich aus
dem großen Aufwand, den sein Unternehmen bei
der Erstellung des Katalogs betreibe, erklärt Kul-
havy. Positionierungs-Coaching, Filme, Interviews,
Layout und Fotos. Das koste alles. Etwa „45 Mitar-
beiter und Excellent Partner in Stuttgart, Rosen-
heim, Düsseldorf, Wien, Zürich und Bozen“ seien
für „einen Full Service vom ersten Kontakt bis hin
zur kompletten Abwicklung und Nachbereitung“
im Kundeneinsatz, heißt es auf der Seite von Spea-
kers Excellence.
Klar sei aber auch, dass jede Agentur „immer
nur Sahnehaube für einen Speaker“ sei, meint Kul-
havy. Eine Vermittlungsgarantie bedeutet die Plat-
zierung in den Top 100 also nicht.
„Es sind so viele Listen im Umlauf, die geldge-
steuert sind“, sagt Siegfried Haider. „Das tut unse-
rer Branche nicht gut.“ Haider, der den Speaker-
Markt in Deutschland bereits seit zwei Jahrzehnten
professionalisiert und den Berufsverband GSA ge-
gründet hat, hat deshalb – zusammen mit einigen
Rednereinkäufern – eine Liste mit rund 180 „Real
Top Speaker“ erstellt. Zu oft hätten sich bei ihm
und seiner Redneragentur in den vergangenen Jah-
ren Anfänger als vermeintliche „Topspeaker“ vor-
gestellt, „die aus meiner Sicht nicht mal ansatzwei-
se diesen Begriff verdient haben.“ Sicherlich sei die
Auswahl „noch nicht perfekt“, dafür könne man si-
cher sein, dass sich niemand in die Liste einkaufen
könne. Der Markt sei inzwischen völlig aufgebla-
sen, sagt Haider und lebe „von Inszenierungswahn
und Superlativismus“.
Ob Besserung in Sicht sei? Haider zeigt sich in
bewährter Speaker-Manier extrem optimistisch:
„Zielgruppen sind immer nur kurzfristig dumm“.
Mittel- und langfristig komme die Realität immer
ans Licht. Hoffentlich gilt das auch für Scheinwer-
ferlicht.

dpa,


400 000


DOLLAR
erhielt Ex-US-Präsident
Barack Obama 2017 für einen
Konferenzauftritt.

Anja Wechsler,


Facebook,


75 000


EURO
kostet Verkaufscoach
Dirk Kreuter laut Website als
Keynote-Speaker für einen Tag.

GC Images/Getty Images,


100 000


DOLLAR
veranschlagt der Internetunter-
nehmer Gary Vaynerchuk für eine
Rede. Sein Thema: Erfolg.

10 000


EURO
hat Trainer Hermann Scherer
zuletzt für einen 90-Minuten-Vor-
trag in Rechnung gestellt.

Quellen: Felix Plötz: „Traumberuf: Keynote Speaker“, eigene Recherche.


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