Süddeutsche Zeitung - 09.11.2019 - 10.11.2019

(Greg DeLong) #1
von bernhard blöchl

E


r ist mit Platin-Platten deko-
riert und schämt sich nicht, auf
der Straße zu spielen, um über
die Runden zu kommen. Er
macht Theater-, Film-, Jazz-
und Popmusik, komponiert regelmäßig
für dieFantastischen Vier, doch seine Exis-
tenzängste, die wird er nie los. Am Stadt-
theater Ingolstadt steht er derzeit als Ben-
volio in Mareike Mikats „Romeo und Ju-
lia“ im Rampenlicht, als Schauspieler, der
auch die musikalische Leitung hat, aber
noch lieber bastelt er an neuen Songs, al-
lein unter der Erde, im Kellerstudio.
Enik ist ein Mann der scheinbaren Wi-
dersprüche, ein radikaler Künstler, konse-
quent im Sinne der totalen Hingabe. Da
gibt es kaum Kompromisse, wenig Auf-
fangnetze. Der 39-Jährige formuliert das
so: „Diesen Luxus, sich im Alltag treiben
lassen zu dürfen, den haben nur ganz we-
nige Menschen. Dann passiert wirklich Le-
ben. Dann passieren die magischen Sa-
chen.“ Sich treiben lassen in guten wie in
schlechten Zeiten, das ist sein Credo, seit
vielen Jahren schon. Gerade sind wieder
gute Tage, soeben ist Eniks viertes Soloal-
bum erschienen, vielleicht sein bestes,
weil intuitivstes.
Enik heißt eigentlich Dominik Schäfer.
Er ist eines der größten Talente, das die
Münchner Subkultur hervorgebracht und
die Stadt noch nicht vertrieben hat. Ein
markantes Gesicht des Undergrounds,
das noch immer zu wenige kennen. Seine
erste EP „Without A Bark“ ist bereits vor
16 Jahren erschienen, sein gefeiertes De-
büt „The Seasons In Between“ vor 13 Jah-
ren, damals noch beim Majorlabel Emi.

In Frankreich laufen die Stücke seiner
neuen, erneut englischsprachigen Platte
„The Deepest Space Of Now“ in vielen Ra-
dios, in München dagegen nur vereinzelt,
auf „Puls“ zum Beispiel. Das könnte an
der Liebe der Franzosen zu Electronica lie-
gen, zur entspannten Verquickung von In-
die-Pop und Songwriting sowie der Lust
am traumwandlerischen Experiment.
Seltsam ist das Verhältnis des Allrounders
zu seiner Stadt trotzdem. Einer Stadt, in
der er lebt, seit er mit zehn hierher kam.
Geboren wurde er 1980 in Dachau, aufge-
wachsen ist er „rund um den Ammersee,
und zwar kompliziert“, wie er vage be-
schreibt. „Meine Eltern haben sich ge-
trennt, da war ich sechs.“ Die Schule hat er
früh Schule sein lassen. Radikal eben.
In Jahren wie diesen ist in München ja
oft die Rede von Zwischennutzung. Man
kann sagen: Enik verkörpert die ewige
Zwischennutzung. Beim Gespräch in ei-
nem israelischen Lokal in Haidhausen
sagt er den prägenden Satz: „Als Künstler
in München rennst du immer der Abriss-
birne davon.“ Bei ihm ist das mehr als ein
Spruch. Denn der Sänger, Musiker und
Produzent arbeitete bereits in vielen Stu-
dios auf Zeit: in einem Keller auf dem Do-
magkgelände, „unten drin“ im Pathos
Transport Theater, in der Blumenstraße
über der Registratur, in einer Zwischen-
nutzung an der Maximilianstraße, im Op-
timol und, seit eineinhalb Jahren, in ei-
nem Hinterhofkeller in Haidhausen. Die
meisten dieser Orte gibt es nicht mehr.
Was bleibt, sind die Geschichten. „Das Do-
magk war ja die größte Künstlerkolonie
Europas, mit zeitweise bis zu 500 Künst-
lern“, schwärmt Enik. „Das hat München
überhaupt nicht mitbekommen.“
Einschneidend war auch die Zeit auf
dem Optimolgelände hinterm Ostbahn-
hof. Dort war er acht Jahre lang. Dort sind
Teile des neuen Albums entstanden (veröf-
fentlicht auf dem neuen, eigenen Label
Brave & Dizzy Records). Eines Tages, als

das Ende des Areals zwar feststand, Enik
aber noch eine Fristverlängerung ausge-
handelt hatte, wie er erzählt, passierte das
Unfassbare: „Ich kam nichts ahnend auf
das Gelände, und das Dach von meinem
Studio war abgerissen! Es hat da reinge-
schneit. Das war so ein surreales Bild, dass
du erst mal lachen musst.“ Zum Lachen ist
das eigentlich nicht. Symptomatisch für
München aber durchaus. „Da muss poli-
tisch ein Mechanismus her“, fordert Enik.
„Wenn einer so ein Gelände plattmacht,
muss er an irgendeiner Stelle einen Platz
für Kulturschaffende schaffen. Sonst soll-
te das nicht genehmigt werden.“
Freischaffende Künstler mit großen
Träumen sind halt doch eher Außenseiter,
Randfiguren der Gesellschaft. Davon han-
delt auch sein neues Album, das ihn drei
Jahre lang beschäftigt hat. Musikalisch
schlägt es den Bogen zurück zum Debüt,
hinein ins Experimentelle, hinein in die
Tiefe. Da gluckern die Beats, da dröhnt
der Bass, da zirpt die Gitarre, da schmei-
cheln die Streicher. Eine traumwandle-
risch abgründige Melange aus Rebellion
und Kante, Melancholie und Chaos. Dazu
Eniks Stimme, die klingt, als hätten David
Bowie, Nick Cave und Tom Waits ihren ge-
meinsamen bayerischen Adoptivsohn bei
Vollmond unterrichtet. Die Platten dazwi-
schen, „Chainsaw Buddha“ (2007) und
„I Sold My Moon Boots To A Girl From
Greece” (2011) waren mehr Songwriter-
schule, mehr Indie-Rock. Alles sehr ambi-
tioniert, ihm selbst im Nachhinein zu am-
bitioniert. In den neuen Songs singt er et-

wa von einem mittellosen und leicht ver-
rückten Künstler, der im Reinen ist mit
sich („Strawberry Clover“). Autobiografi-
sche Züge? „Es gibt vielleicht Tendenzen
dahin“, sagt er und erklärt seine Empathie
für Randfiguren. „Mein Freundeskreis be-
steht zum Großteil aus solchen Men-
schen.“ Menschen, die anecken und unbe-

rechenbar sind. So wie seine Musik. „Mir
wurde schon liebevoll gesagt, ich wäre ein
Grattlersammler.“ Enik lacht. Und erzählt
von Nikki Holzhauser. Ein Mann, der ihn
einst in einem Café angesprochen habe.
„Er hat mir Nacktfotos von sich gezeigt,
die Andy Warhol geschossen hat. Der hat
Videoaufnahmen, die er in der Art Factory
gemacht hat, von Jimi Hendrix, die keiner
kennt auf der Welt.“ Anekdote oder wahr,
Holzhauser ziert das Cover von Eniks drit-
tem Album. Mit nacktem Oberkörper und
Hund, lollileckend.
Im Team zu arbeiten, das mag Enik
sehr. Seit Jahren komponiert er für die
Fantas, zuletzt „Weitermachen“ und „Af-
fen mit Waffen“ vom Album „Captain Fan-
tastic“. Für Kooperationen wie diese gab’s
Gold und Platin, auch für ihn. Auch „The
Deepest Space Of Now“ ist mit Freunden
entstanden, unter anderen mit den Musi-
kern Lorenz Baumer und Henning Sie-
verts, dem Rapper Tes Uno und dem Mün-
cher Kneipenchor. „Ich wollte, dass mehr
Seelchen darin schwimmen“, sagt Enik.
Seit sechs Jahren hat er ein neues Stand-
bein: die Theatermusik, die er als „größt-
möglichen Kompromiss“ bezeichnet. Ber-
lin, München, Mainz, Augsburg, Ingol-
stadt, die Liste der Engagements als Kom-
ponist, musikalischer Leiter und, ab und
an, als Schauspieler wird länger. Eines
aber bleibt: „Ich strauchle und stürze“,
sagt Enik, „und dann steh ich wieder auf“.
Jetzt schreibt er erst einmal einen Roman.
Künstlerische Visionen sind stärker als je-
de Abrissbirne.

Enik alias Dominik Schäfer.
FOTO: MYRIAD

München– Münchner, die Abschied neh-
men wollen von dem Lichtkünstler Ingo
Maurer, sind herzlich dazu eingeladen,
an der Trauerfeier teilzunehmen, die am
Sonntag, 10. November, 11 Uhr im Resi-
denztheater gehalten wird. Das teilte sein
Münchner Atelier mit. Der Designer ist
am 21. Oktober im Alter von 87 Jahren ge-
storben. Eine seiner letzten großen Arbei-
ten hängt im Wintergarten des Theaters,
die Lichtskulptur „Silver Cloud“. Zur Fei-
er kommen Familie, Freunde und Ge-
schäftspartner aus aller Welt, und es sind
noch mehrere hundert Plätze frei für alle,
die ihn schätzten. her

München– Kann das gut gehen? Sind wir
nicht alle so konditioniert, dass wir uns
nach Zuordnung, nach Orientierung, nach
Auf- und Erklärung sehnen? Besuchen wir
nicht das Museum, um zu lernen, uns berei-
chern zu lassen, vielleicht auch, um unser
Wissen zu überprüfen, ja bestenfalls zu be-
stätigen? Wir Bildungsbürger? Und dann
kommt da diese Ausstellung in der Pinako-
thek der Moderne daher und lässt uns al-
lein. Überlässt uns unseren Gefühlen, unse-
rer Neugier und Irritation, unserer Suche
und Sorge, unseren Zweifeln und Ängsten.
Keine Erlösung. Nirgends. Denn alles, was
hier zu sehen ist, ist nackt. Ohne Name. Oh-
ne Titel. Ohne Hilfe für uns.
Wir stehen da und sind im übertrage-
nen Sinne nackt. Kein schneller Blick zur
Seite, der uns hilft, die Konversation kennt-
nisreich anzustoßen oder souverän fortzu-
führen. Können wir dieses Bild „gut“ fin-
den, jenes „nichtssagend“? Am Ende ist
das eine hochgelobt, das andere als
schrecklicher Schund verschrieen? Und
wir haben uns geoutet, als Nichts-Wisser,
als subjektiv geleitetes Individuum, des-
sen Empfindung vor der Kunstgeschichte
nicht bestehen kann.
Aber genau darum geht es in dieser Aus-
stellung „Feelings“ in der Pinakothek der
Moderne: Um unsere Empfindung, um die


Emotion, die ein Kunstwerk bei uns aus-
löst. Und um das zu erreichen, haben die
Kuratoren Bernhard Schwenk und Nicola
Graef jegliche Beschriftung vermieden.
Das ist neu, das ist unerhört, das ist – ei-
gentlich alt. Denn in frühen Zeiten gab es
keine Etiketten in den Museen, nur Num-
mern, die man anhand von Katalogen oder
Wandplänen zuordnen konnte. Die Be-
schriftung der Werke kam erst viel später
hinzu, wie die Ausstellung „Schilder einer
Ausstellung“ im vergangenen Sommer in
der Berliner Gemäldegalerie gezeigt hat.

Nun kann man gewiss davon ausgehen,
dass all die Gemälde, Skulpturen und In-
stallationen, die Fotografien und Videos,
die hier zu sehen sind, nicht der Kategorie
Schund, sondern der der Kunst zuzuord-
nen sind. Dennoch, wenn man sich unter
den Besuchern umsieht und umhört, be-
merkt man eine gewisse Verunsicherung
und wie sehr das Ausstellungskonzept die
Besucher spaltet. Die einen finden es groß-
artig und plaudern wie befreit darüber,
was sie von einem Werk halten, die ande-

ren werden gar nicht mehr fertig, sich zu
echauffieren. In jedem Fall haben die Aus-
stellungsmacher ein Ziel erreicht: Kalt
lässt diese Ausstellung niemanden.
Die Liste der Gefühle, die einzelne
Kunstwerke auslösen, ist lang und logi-
scherweise so verschieden, wie Menschen
emotional unterschiedlich reagieren.
Doch bei aller individuellen Subjektivität
lässt sich wohl sagen, dass viele Arbeiten
eher negative Stimmungen auslösen. So
wirkt Alexandra Ranners Videoarbeit
„Flur“ extrem bedrückend, es bedarf aller-
dings einiger Minuten des Verweilens.
Doch dann packt die Szenerie, die Aus-
druck unendlicher Vereinsamung ist, den
Betrachter und lässt ihn kaum noch los.
Auch Tadeusz Kantors Installation „Die
tote Klasse“ verstört, ebenso wie Nikita Ka-
dans Porzellanteller mit eingebrannten
Folterszenen. Mehr als verstörend – auch
wenn man noch nicht weiß, was dort darge-
stellt ist – wirkt Miwa Ogasawaras im Rich-
ter-Stil verwaschenes Gemälde „Grau“.
Das Wissen um den Bildinhalt – die ermor-
deten Goebbels-Kinder – bestätigt das Ge-
fühl des Verstörtseins. Leicht zu entschlüs-
seln und zutiefst schockierend ist Artur
Zmijewskis provokantes Video „80064“
über einen Auschwitz-Überlebenden, den
er in ein Tattoo-Studio schleppt.

Künstlerische Horror- und Gruseleffek-
te schaffen Gregory Crewdson mit dem Fo-
to „Family Dinner“ oder auch Nathalie
Djurberg und Hans Berg mit ihrem Anima-
tionsfilm „Turn into me“. Die Installation
„Modern Moses“ von Elmgreen & Dragset
stellt gewissermaßen den Gipfel einer Rei-
he von Arbeiten dar, die den Betrachter in
einen tiefen, kalten emotionalen Abgrund
zu stoßen vermögen. Eher erheiternd wir-
ken hingegen Richard Prince’ Serie „Cow-
boys and Girlfriends“ oder Tracey Emins
Video „Why I never became a dancer“.
Doch eine Emotion, die schon Aristote-
les als eine der stärksten menschlichen Re-
gungen beschrieb, kommt etwas zu kurz in
dieser Ausstellung, in der es nur um Gefüh-
le geht: Das ist das Lachen. Wo es auch nur
ansatzweise hervorgerufen wird, bleibt es
einem im Halse stecken.
Die Ausstellung, die eine Kooperation
der Pinakothek der Moderne mit der
Sammlung Goetz ist, wird sich im Zuge der
langen Laufzeit (bis Herbst nächsten Jah-
res) immer wieder wandeln. Vielleicht wird
dann auch das Lachen zu seinem Recht ge-
langen. evelyn vogel

Feelings. Kunst und Emotion, Pinakothek der Mo-
derne, Barer Str. 40, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr,
bis4.Oktober 2020

Man tönte auf der Pressekonferenz von ei-
ner „Fan-Meile“ – wie bei der Fußball-
Weltmeisterschaft; und vom Papst, der
auch schon da war. Also von Dingen, die
vielen Deutschen heilig sind. Und ja, „Hal-
li hallo“, tatsächlich, „Das große Volks-
Rock’n’Roller Fan-Festival mit Andreas
Gabalier“ im August 2020 auf der Riemer
Messe-Freifläche ist ein Wunder. Man
wundert sich, wie leicht so etwas geht.
Wie es von den Drahtziehern erzählt wur-
de, war es nämlich so oder ähnlich: Im Eh-
rengastbereich des Olympiastadions sa-
ßen heuer im August beim ausverkauf-
ten Gabalier-Gig der Grazer Konzertver-
anstalter Klaus Leutgeb und Münchens
Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärt-
ner beisammen. Man plane Großes und
brauche viel Platz dafür, prahlte der

Schlager-Exporteur. „Haben wir“, brüste-
te sich der CSU-Politiker. Vier Fäuste für
ein „Hulapalu“! Woraufhin seit nun drei
Monaten referatsübergreifend städti-
sche Angestellte sowie Messemitarbeiter
den Boden für das „Mega-Konzert“ (so
das stadteigene Portal http://www.muen-
chen.de) mit dem „Ausnahmekünstler“
(so Baumgärtner) beackern. Dass die „En-
tertainment Group“ um den einstigen
Sturm-Graz-Vizechef und Nachtclub-Be-
treiber Leutgeb sich hierzulande noch
nicht groß bewiesen hat (die vier Stadion-
konzerte stemmte Manfred Hertlein),
schien man dabei zu vernachlässigen.
Für Baumgärtner zählt der wirtschaftli-
che und touristische Nutzen: So könne
sich München als Destination für derlei
Groß-Events beweisen, erklärte der
Wiesn-Chef, dem ein Trachtenfasching
offenbar noch nicht Beweis genug ist.
Einige, die die Stadt seit Jahren um Er-
laubnis und Hilfe für ihre Open-Air-
Ideen ersuchen, finden das gerade gar
nicht so „mega“. Deshalb fragt David
Süß, Betreiber des Clubs Harry Klein, Vor-
sitzender des Verbands der Münchner
Kulturveranstalter und Grünen-Stadt-
ratskandidat, ob diese geballte Kompe-
tenz der Stadtverwaltung auch andere
nutzen können. Ob etwa private Kollekti-
ve ebenfalls die – wenn nicht gerade Bau-
maschinenmesse ist – als Park- und Floh-
markt-Platz genutzte Sonderfreifläche
der Messe in Anspruch nehmen dürfen.
„Oder scheitern die an Auflagen, Kosten,
Zugängen oder Bekanntschaften?“
Man muss den Lederhosen-Rocker
nicht mögen, sollte ihm aber dankbar
sein. Sein Halligalli vor erhofften 170 000
Dirndlträgerinnen ist der Haferlschuh in
der Tür vielleicht auch zu anderen bisher
pop-kulturell brach liegenden Arenen
wie dem Giesinger Stadion. Wenn alles
mit rechten Dingen zugeht, müssten nun
auch hiesige kleine wie große Veranstal-
ter leichtes Spiel haben. Das ist wunder-
bar und schön. michael zirnstein

München– Seit gut 20 Jahren gibt es das
Theater Undsofort, es hat in dieser Zeit
schon einige Theaterräume gesehen.
Erst den zu Beginn wunderschönen in
der Hans-Sachs-Straße, dann den Keller
in der Kurfürstenstraße, dann folgten
zwei Jahre Diaspora, in denen wundersa-
merweise das Stammpublikum nicht ver-
loren ging, sondern munter Reisen zu
fünf, sechs verschiedenen Spielstätten,
die dem Theater jeweils eine temporäre
Bleibe gaben, mitmachte. Mitunter wirk-
ten die Unbill, der Heiko Dietz’ Theater
und die angegliederte Theaterschule un-
terworfen waren, völlig absurd. Ein ag-
gressives Bio-Lokal, ein überfluteter Kel-
ler, Asbest – fast ein guter Stoff für eine
Verschwörungstheorie.
Nun hat das Theater Undsofort eine
neue Bleibe mit großer Zukunft. Die liegt
zwar in einem Viertel, in das man offen-
bar nur zum Schlafen heimfährt, sie ist
aber dennoch gut erreichbar: U-Bahnsta-
tion Partnachplatz, von dort viereinhalb
Minuten zu Fuß. Und die Adresse klingt
sehr hübsch: Hinterbärenbadstraße 2.
Vor der Eröffnung hatten die Anwoh-
ner noch ein bisschen Angst, was an der
vorangegangenen Nutzung des freiste-
henden Pavillons lag. Ursprünglich war
hier ein Drogeriemarkt drin, im letzten
halben Jahr jedoch ein Döner-Lokal ohne
die dafür erforderliche Lizenz, zu dem im
Keller eine noch etwas weniger legitime
Shisha-Bar gehörte, in der, dem Verneh-
men nach, gelegentlich semierotische
Nachtveranstaltungen stattfanden. Doch
nach der Eröffnung waren die Sendlinger
Bewohner erst einmal beruhigt, weil The-
aterleute gar nicht laut sein müssen.
Nun sitzt man in den Plüschsesseln
des alten Arri-Kinos, hat ungeheuer viel
Platz und schaut sich die „Theorie einer
Verschwörung“ an. Heiko Dietz hat das
Stück geschrieben und selbst inszeniert.
Vor zwei Jahren stieß er im Internet auf ei-
ne Nachricht vom Fund mehrerer Lei-
chen in einem verlassenen Pavillon auf
dem Expo-Gelände in Hannover, die kur-
ze Zeit später wieder verschwunden war.
Also dachte er sich eine Geschichte dazu
aus: Sieben Menschen und ein Wach-
mann sollen, abgeschirmt von der Außen-
welt, für den Verfassungsschutz ein Pro-
jekt entwickeln, das nach den NSU-Mor-
den die Behörde wieder in besseres Licht
rücken und ihre Bedeutung hervorkeh-
ren soll. Erst etwas spröde, dann jedoch
immer spannender entwirft Dietz ein
Stück über Verschwörungstheorie mit
den faktenhuberischen Mitteln der Ver-
schwörungstheorie, bis man kaum mehr
weiß, was ist Wahrheit, könnte Wahrheit
sein, ist blühende Fantasie. Das Ende ist
dann krass, ebenso wie die Lektüre des
Programmheftes. Respekt! Läuft noch
bis 7. Dezember. egbert tholl


Die Subkultur hat ein Gesicht


Enik isteiner der radikalsten Münchner Künstler, wenigen bekannt, mit Platin dekoriert, oft vertrieben


von der Abrissbirne. Wie kreativ das Multitalent dennoch bleibt, zeigt sein neues Album


Die einen finden das Konzept
großartig, die anderen
echauffieren sich

Allein mit den eigenen Gefühlen


Die Pinakothek der Moderne zeigt mit „Feelings“ eine Ausstellung ganz ohne Beschriftung. Sie fordert die Besucher auf, rein emotional zu reagieren


Mit Puppen inszenierte Tadeusz Kantor 1975 die berührende Arbeit „Die tote
Klasse“. FOTO: BAYERISCHE STAATSGEMÄLDE-SAMMLUNGEN, SIBYLLE FORSTER/TADEUSZ KANTORR

Frank Piotraschke, Petra Wintersteller-
Dietz, Sarah Dorsel und Thomas Koch
beim Erfinden. FOTO: HEINZ KONRAD


Trauerfeier für


Ingo Maurer


„Als Künstler in München
rennst du immer der
Abrissbirne davon.“
Der Songwriter und
Produzent Enik hat gelernt,
flexibel zu bleiben. Auch,
wenn er sich manchmal am
liebsten verstecken möchte.
FOTO: MYRIAD

Vier Fäuste für


ein Hulapalu


Münchner Veranstalter staunen,
was die Stadt Gabalier ermöglicht

Ein Krimi


mit Wahrheit


Das Theater Undsofort spielt
in seiner schönen, neuen Bleibe

„Mir wurde schon
liebevoll gesagt, ich wäre
ein Grattlersammler.“

DAS IST SCHÖN


R20 KULTUR – Samstag/Sonntag, 9./10. November 2019, Nr. 259 DEFGH

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