Xenophobie zu fördern. Wenn die Profes-
sorin Susanne Schröter eine Kopftuchkon-
ferenz mit dem Titel »Symbol der Würde
oder der Unterdrückung« organisiert, gibt
es einen Aufschrei. Mit guten Absichten
ins Leben gerufene Formulierungsgebote
schaffen so den Raum für politische Rat-
tenfänger.
SPIEGEL: Sie haben nach dem Attentat auf
die Synagoge in Halle einen Artikel in der
»Welt« geschrieben, in dem Sie Medien
und Politik vorwarfen, zu beschwichtigen
und zu verharmlosen, etwa wenn es um
Flüchtlinge gehe. Der Aufschrei war groß.
War das Ihre Absicht?
Döpfner: Ich habe von einigen professio-
nellen Journalisten sehr viel harte Kritik er-
lebt, auch in den Publikationen des eigenen
Hauses, was ich sehr gut finde. Es zeigt Mut
und Pluralität. Von Nichtprofis gab es so
viel Zustimmung wie selten, quer durch das
Spektrum der Gesellschaft. Die nahmen
mir ab, dass hier einer ernsthaft besorgt ist
darüber, dass in Deutschland nicht genug
gegen Antisemitismus getan wird. Die Pro-
fis fühlten sich irgendwie auf den Schlips
getreten. In gewisser Weise hat die gespal-
tene Reaktion genau meine These bestätigt.
SPIEGEL: Beklatscht wurden Sie auch von
der AfD-Sympathisantin Erika Steinbach.
Döpfner:Auch das muss man aushalten.
Einmal Applaus von der falschen Seite,
und man ist raus, die ganze Argumentation
diskreditiert? Das ist es genau, was ich mei-
ne. So geht es nicht! Das ist Antidebatte.
SPIEGEL: Sie glauben, Politik und Journa-
listen scheuen die Debatte?
Döpfner:Ich glaube, es ist nicht gesund,
wenn sich die veröffentlichte Meinung zu
weit vom Meinungsbild der Gesamtbevöl-
kerung unterscheidet. Verstärkend wirkt das
Phänomen, dass die parteipolitischen Prä-
ferenzen von Journalisten in Deutschland
nicht den gesellschaftlichen Durchschnitt wi-
derspiegeln. Journalisten sind mehrheitlich
im rot-grünen Spektrum verortet. Es braucht
wieder mehr Pluralismus. Mehr Unterschie-
de in der demokratischen Mitte. Damit es
weniger Polarisierung an den Rändern gibt.
SPIEGEL:Ihre These lautet: Mehr Krawall
in der Mitte, also in Politik und Medien, be-
friedet die Ränder. Die USA belegen das Ge-
genteil: Zwischen Fox News und CNN, zwi-
schen Demokraten und Republikanern lie-
gen weltanschauliche Gräben – die gesell-
schaftliche Polarisierung hat das doch ver-
stärkt als gemindert. Wenn wir Ihnen folgen,
landen wir doch eher bei dem Mo dell. Soll-
ten wir nicht vielmehr sagen: Der Krach der
Ränder organisiert sich von allein, aber die
großen Medien müssen die Verständigung
über Gemeinsamkeiten organisieren?
Döpfner:Ich würde eher sagen, sie müssen
kultivierten Streit in der Sache ermögli-
chen. Unserer Branche rufe ich in memori-
am Willy Brandt zu: mehr Nonkonformis-
mus wagen!
SPIEGEL: Wo zum Beispiel?
Döpfner:In der Klimapolitik. Die junge
Generation hat als zentrale Zukunftsfrage
die Zerstörung unseres Planeten und die
dramatische Klimaerwärmung erkannt, zu
Recht. Aber ich glaube, dass wir aufpassen
müssen, nicht im Zuge dieser Bewegung
wieder eine neue Form von Toleranz-,
Freiheits- und Demokratievergessenheit
zu befördern. Es beunruhigt mich, wenn
Aktivisten sagen, dieses Anliegen ist so
wichtig, dass es mit den Mitteln der De-
mokratie nicht zu lösen ist, wir brauchen
autoritäre Reformen für einen guten
Zweck. Viel Schreckliches begann im Na-
men einer guten Absicht.
SPIEGEL: Aber genau die Diskussion wird
doch am Beispiel Extinction Rebellion ge-
rade geführt. Da wird diskutiert, ob die
Bewegung Züge einer Sekte aufweist, ob
das eine neue Ökodiktatur ist.
Döpfner:Na, dann ist doch gut. Wenn Sie
meinen, dass hier genug Mut und Nonkon-
formismus bei Politikern und Journalisten
bewiesen wird. Aber warum sagen 41 Pro-
zent in den neuen Bundesländern, dass sie
heute nicht mehr Meinungsfreiheit haben
als früher? Warum sagen denn 58 Prozent
der Ostdeutschen laut einer »Zeit«-Umfra-
ge, dass sie sich heute vor Staatswillkür
nicht besser geschützt fühlen als zu DDR-
Zeiten? Das ist objektiv Unsinn.
SPIEGEL: Eine Antwort haben Sie doch
selbst gegeben: weil das Gefühl trügt.
Döpfner:Aber das sind doch alarmierende
Zahlen, die man nicht einfach abtun kann.
Was läuft da in der Gesellschaft falsch? Of-
fenkundig haben die Eliten versagt, da fin-
det eine Entkopplung statt. Ich versuche
zuallererst selbstkritisch zu sein und mei-
ner eigenen Branche, die ich so liebe, den
Spiegel vorzuhalten. Meine Mutter sagt im-
mer: Kritik ist die höchste Form der Liebe.
SPIEGEL: Kann es sein, dass es womöglich
weniger um Meinungsfreiheit geht als um
das Aushalten von Widerstand? Ich kann
heute alles sagen, erwarte aber auch, dass
dies unwidersprochen bleibt.
Döpfner:Ja, das stimmt, und das könnte
ein deutsches Mentalitätsproblem sein.
SPIEGEL: Was ist daran deutsch?
Döpfner:Wir neigen dazu, entweder ängst -
lich konsensual zu bleiben und dem ande-
ren recht zu geben, obwohl wir gar nicht
finden, dass er recht hat – oder wir gehen
auf die persönliche Ebene und werden be-
leidigend, persönlich oder sogar gewaltfan -
tastisch. Die Trennung von Sachebene und
persönlicher Ebene fällt uns schwer. Im an-
gelsächsischen Raum ist das gelernt. Da
gibt es schon Debattierkurse in der Schule.
SPIEGEL: In der »Bild«-Zeitung wurden
vor gut einer Woche teils israelkritische
Politiker und Journalisten als Förderer des
Antisemitismus an den Pranger gestellt.
Das war doch der Versuch, Menschen aus
der Debatte zu werfen: Du bist draußen!
Döpfner:Wie bitte? Wenn etwa Claudia
Roth freudestrahlend eine einladende Ges-
te in Richtung des iranischen Parlaments-
präsidenten macht, einem Holocaust-Rela-
tivierer, oder den Botschafter eines Staates,
der die Vernichtung Israels als Ziel verfolgt,
lachend mit »gimme five« abklatscht, dann
unterstützt sie damit indirekt Antisemitis-
mus. Denn sie relativiert ihn. Wenn eine
Grünenpolitikerin, die überhaupt keinen
Grund hat, einen Termin mit diesen Men-
schen zu machen, es dennoch tut, dann ist
es die Aufgabe von unabhängigen Journa-
listen, darauf hinzuweisen, dass sie damit
Antisemiten verharmlost und den Um-
stand, dass Iran Frauen- und Schwulenrech-
te mit Füßen tritt. Ich verstehe nicht, wa-
rum man kritisiert, dass wir das kritisieren.
Und dann sagt ein Grüner anschließend,
er werde mit »Bild« nicht mehr sprechen.
Wer ist da eigentlich intolerant?
SPIEGEL: Es ging nicht nur um Roth, es
war der kampagnenartige Versuch, eine
Gruppe von Leuten außerhalb dessen zu
stellen, was noch demokratischer Konsens
in Deutschland ist.
Döpfner:Sorry, auch die indirekte Ver-
harmlosung oder Relativierung von Anti-
semitismus ist für mich außerhalb des de-
mokratischen Konsenses.
SPIEGEL:Sie beklagen eine Verengung des
Meinungsklimas und tragen selbst dazu bei.
Döpfner:Ich hoffe eher eine Diskussion
zu befördern. Das Gefühl, lasst mich end-
lich mit Antisemitismus in Ruhe, bereitet
mir größte Sorge. Und auch gegen die frei-
willige Unterwerfung Deutschlands unter
das chinesische Diktat beim 5G-Mobilfunk
regt sich kaum Widerstand. Entweder ist
das bestürzende Naivität oder fortgeschrit-
tene Freiheitsvergessenheit.
22 DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019
»Bild«-Kampagne gegen Antisemitismus
»Wer ist da eigentlich intolerant?«
»Einmal Applaus von
der falschen Seite,
und man ist raus. So
geht es nicht!«