Der Spiegel - 02.11.2019

(Brent) #1

Manche Konflikte lassen ein Land über Jahre nicht los, manchmal
über Jahrzehnte. Schon 1989 stritt Frankreich darüber, ob Schüle-
rinnen, die mit Kopftuch zum Unterricht erschienen, das Prinzip
der strikten Trennung von Staat und Religion gefährdeten. Und
tatsächlich dürfen seit 2004 Schüler keine deutlich sichtbaren reli-
giösen Zeichen mehr tragen. Seit einigen Wochen geht es um eine
neue Variante derselben Diskussion: Seitdem eine muslimische
Mutter mit Kopftuch die Schulklasse ihres Sohnes bei einem Aus-
flug begleitet hat, diskutieren die Franzosen, ob man das Tuch in
einem solchen Fall erlauben oder verbieten sollte.
Die Gesetzeslage ist klar: Begleitende Eltern sind kein Lehr-
personal und dürfen Zeichen der religiösen Zugehörigkeit tragen.
Der rechtsnationale »Rassemblement National« von Marine Le
Pen wie auch die konservativen Republikaner fordern, das Tuch
müsse weg. Die Debatte spaltet das Land wie die Regierung. Der
Bildungsminister bezeichnete das Kopftuch als »unerwünscht«,


die Regierungssprecherin widerspricht. Am Dienstag stimmte
der Senat für einen Gesetzentwurf gegen das Tuch bei Begleit-
personen, nun wird die Nationalversammlung darüber dis -
kutieren. Dort hat Emmanuel Macrons Partei die Mehrheit, der
Präsident lehnt ein Verbot ab. Es wäre ein »enormer Fehler«,
einer Mutter, die ihr Kind zur Schule bringe, zu sagen: »Sie sind
nicht willkommen.«
Es ist ein Kampf um Symbole, den Frankreich in einem sen -
siblen Moment führt. Anfang Oktober tötete ein islamistischer
Polizeibeamter in Paris vier seiner Kollegen – und gerade ver -
übte ein 84-Jähriger in Bayonne einen blutigen Anschlag auf
eine Moschee. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass
sich zu den Werten der Republik auch bekennen kann, wer Kopf-
tuch, Kippa oder Kreuz trägt. Das Prinzip der Trennung von
Staat und Religion wurde zuletzt in Frankreich aber vor allem
herangezogen, wenn es um den Islam ging. Britta Sandberg

Analyse

Die Angst vor der Religion


Das Kopftuch entzweit wieder einmal Frankreich – angeblich geht es um die Republik, in Wahrheit um den Islam.

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Ausland


Baghdadi dürfte nicht ahnen, dass der Countdown längst begonnen hat. ‣S. 82

DER SPIEGEL Nr. 45 / 2. 11. 2019

Mehrere Feuersbrünste wüten in Kalifornien und bedrohen sogar Los Angeles. Diese Feuerwehrmänner
versuchen, die Brände einzudämmen, indem sie vorsorglich Unterholz anzünden. Die Wälder sind
ausgedörrt, die trockenen Winde so stark wie kaum je zuvor – beides auch eine Folge des Klimawandels.
Als Vorsichtsmaßnahme wurde der Strom für Millionen Menschen in Kalifornien abgestellt.

ERIC THAYER / NYT / REDUX / LAIF
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