Die Welt - 02.11.2019

(Brent) #1

C


em Özdemir, 53, ist Mit-
glied des Bundestages,
Vorsitzender des Aus-
schusses für Verkehr und
digitale Infrastruktur so-
wie stellvertretendes Mitglied im Aus-
wärtigen Ausschuss. Und Fußballfan.
Seit ihn ein Freund in der Kindheit mit
ins Stadion nahm, ist der Schwabe An-
hänger des VfB Stuttgart. Özdemirs El-
tern kamen in den 60er-Jahren aus der
Türkei als Gastarbeiter nach Deutsch-
land. Er ist gelernter Erzieher und war
zehn Jahre Bundesvorsitzender seiner
Partei.

VON JULIEN WOLFF

WELT:Herr Özdemir, im deutschen
Amateurfußball wurden in den ver-
gangenen Wochen mehrfach Schieds-
richter krankenhausreif geprügelt
und mit Mord bedroht. Inwiefern
spiegelt der Sport hier ein gesell-
schaftliches Problem wieder?
CEM ÖZDEMIR:Es sind dramatische
Zustände. Der Streik der Berliner
Schiedsrichter am vergangenen Wo-
chenende ist für mich die richtige Reak-
tion. Es braucht jetzt klare Ansagen, so
wie bisher kann es auf keinen Fall wei-
tergehen. Der Breitensport spiegelt die
Gesellschaft wider. Hier zeigt sich, wie
wir generell miteinander umgehen und
welche Wertschätzung wir füreinander
haben. Und da geht es leider in die fal-
sche Richtung. Die Verrohung der Spra-
che und die Bereitschaft zur Gewalt zei-
gen sich auch in den sozialen Medien.
Als Politiker kennen wir das. Mit dem
Einzug der AfD sind Hass und Aggres-
sionen leider in unseren Parlamenten
Alltag geworden. Und die Förderung
von Islamismus und Ultranationalis-
mus unter Erdogan in Ankara wirkt sich
hierzulande auch sehr negativ aus, lei-
der. Sich damit auseinanderzusetzen
gehört jetzt leider zu unserer Arbeitsbe-
schreibung. Aber auf dem Sportplatz?
Geht’s noch? Die Schiedsrichter sind
ehrenamtlich tätig und opfern ihre Wo-
chenenden. Sie ermöglichen den Spiel-
betrieb damit überhaupt erst. Wer ih-
nen droht oder gar gewalttätig wird, hat

im Sport nichts verloren. Ohne Schieds-
richterinnen und Schiedsrichter geht es
nicht, so einfach ist das. Wer das Spiel
liebt, muss den Schiedsrichter respek-
tieren.

Haben die Sportverbände und die Po-
litik dieses Problem zu lange unter-
schätzt?
Ich bin ein Fan von klaren Ansagen, auf
dem Spielfeld und außerhalb. Politik
und Sportfunktionäre müssen sich
schon ankreiden, sich ab und zu etwas
zu sehr vom Spitzensport begeistern zu
lassen. Und den Breitensport vor Ort
dabei aus dem Blickwinkel verloren zu
haben.

Was sehen Sie als Lösung für das Ge-
waltproblem?

Manchmal muss Respekt über harte
Sanktionen erkämpft werden. Ich bin
beim FC PlayFair! engagiert, einem Ver-
ein für Integrität im Fußball. Dort ha-
ben wir uns mit dem ehemaligen Top-
schiedsrichter Urs Meier ein Konzept
überlegt und hoffen, dass der DFB mit-
zieht. Wir brauchen jetzt eine große
Kampagne, von den Profis bis in den
Amateurbereich. Ein weiterer Punkt:
Wenn der Schiri in der Bundesliga Wo-
chenende für Wochenende von Trainer
und Spielern zum Deppen erklärt wird,
ist das wenig hilfreich. Wir versagen
den Schiedsrichtern viel zu sehr den
Respekt, und das hat fatale Wirkung auf
das Klima auf den Amateurplätzen. Wir
müssen daran arbeiten, wie der Schieds-
richter wahrgenommen wird, und an
der Prävention im Jugendbereich. Spie-
ler, Trainer, Fans und Medien müssen
umdenken. Es fängt mit kleinen Gesten
an. Ich war früher Handballtorwart, da
haben wir dem Schiedsrichter nach dem
Spiel die Hand gegeben. Das sollte im
Fußball wieder eine Selbstverständlich-
keit werden. Im Bundesligastadion mit
Rasenheizung genauso wie auf dem
asphaltierten Bolzplatz um die Ecke.

Viele Amateurfußballer haben zuletzt
den Militärgruß türkischer National-
spieler nachgeahmt und die Kritik da-
ran oftmals nicht nachvollziehen kön-
nen. Wie erklären Sie sich das?
Die Spieler jubeln mit ihrer Geste einer
Armee zu, die schrecklichste Kriegsver-
brechen begeht. Einer Armee, an deren
Seite barbarische Islamisten kämpfen,
die Frauen vergewaltigen und stolz Vi-
deos posten, auf denen zu sehen ist, wie
sie Menschen foltern. Viele von denen
in Deutschland, die so jubeln, wissen
das nicht. Sie schauen sich die Propa-
gandavideos aus Ankara an und glauben
das, was sie darin sehen und hören. Das
führt dazu, dass sie sich mit Erdogan
identifizieren. Und glauben, sein Groß-
sprech führt dazu, dass sie alle innerlich
aufgerichtet werden und Vertreter einer
Supermacht sind. Das wird bald in sich
zusammenbrechen, wie man an den
jüngsten Kommunalwahlen in der Tür-
kei gesehen hat.

Befürchten Sie, dass Amateurfußbal-
ler weiter so jubeln?
Wir müssen um Herz und Verstand
dieser jungen Leute werben und ihnen
klarmachen, dass sie sich hier in
Deutschland einbringen sollen und
dass sie in unserer Nationalmann-
schaft willkommen sind, völlig egal,
woher ihre Eltern stammen. Und
gleichzeitig müssen wir ihnen klarma-
chen, dass solch ein Jubel Konsequen-
zen hat. Das hat auf dem Fußballplatz
nichts verloren. Das ist Missbrauch des
Sports für Propaganda, das muss sank-
tioniert werden.

Sie sind Fan des VfB Stuttgart. Was
fasziniert Sie eigentlich so am Fuß-
ball?
Sich als Fan mit seinem Klub zu freuen
und mitzuleiden, das ist etwas ganz Be-
sonderes. Als Jugendlicher bin ich mit
einem Freund nach Neapel gepilgert
und habe Diego Maradona spielen se-
hen. 1978 war ich mit meiner Klasse der
Realschule in München, wir haben das
Derby zwischen 1860 und dem FC Bay-
ern angeschaut. Gerd Müller in seiner
letzten Bayern-Saison, mit Vollbart.
Und Sepp Maier im Tor. Oder die Auf-
stiegssaison des VfB 1977 mit Jürgen
Sundermann als Trainer, genannt
„Wundermann“. Das sind wunderbare
Erlebnisse, an die ich mein ganzes Le-
ben lang gern denken werde.

Sie sagten kürzlich, der neue VfB-Vor-
standsvorsitzende Thomas Hitzlsper-
ger erfülle die Sehnsucht der Stutt-
garter Fans nach Werten.
Ich habe den Eindruck, dass Werte für
Fans sehr wichtig sind, Thomas Hitzl-
sperger sehr offen ist und ein Vermitt-
ler sein kann. Meine Hoffnung ist, dass
er diejenigen zurückholen kann, die sich
in den vergangenen Jahren etwas vom
VfB entfernt haben. Ich hätte mir vor-
stellen können, dass man erst den Prä-
sidenten wählt und dieser über die Be-
setzungen der Führungsposten dann
mitentscheidet. Jetzt ist es anders ge-
kommen. Thomas Hitzlsperger muss im
Prinzip die Arbeit für zwei machen, die
Erwartungen sind riesig, es ist ein har-

ter Job. Ich drücke ihm die Daumen. Er
bringt alles mit, was es braucht.

Im Dezember wählen die Mitglieder
den Präsidenten. Klublegende Guido
Buchwald wollte kandidieren, ist jetzt
aber nicht dabei und klagt, der VfB
wolle keine Fachleute mit eigener
Meinung, stattdessen nur Jasager. Hat
der Klub ein Strukturproblem?
Es lässt sich nicht leugnen, wenn man an
die Schlagzeilen der vergangenen Mona-
te denkt und sieht, in welcher Liga wir
trotz der wirtschaftlichen Stärke und
Tradition des Klubs derzeit spielen. Da
haben sich einige in der Vergangenheit
nicht gerade mit Ruhm bekleckert und
von falscher Stelle Einfluss genommen.
Mir dauern diese unruhigen Zeiten schon
viel zu lang an. Wir brauchen Ruhe und
Einigkeit im Verein, mit der Präsident-
schaftswahl wird das hoffentlich kom-
men. Ich kenne von den Kandidierenden
Claus Vogt, er hat den FC PlayFair! ge-
gründet. Ich kann mir vorstellen, dass
man einen wie ihn beim VfB gut gebrau-
chen kann. Er ist VfBler durch und durch,
hat einen gesundem Wertekompass und
ffführt ein erfolgreiches Unternehmen. Daührt ein erfolgreiches Unternehmen. Da
ich die anderen Kandidaten nicht kenne,
kann ich leider nichts zu ihnen sagen.
Hoffentlich ist es eine Wahl, die den Ver-
ein einigt und nach vorne bringt.

Haben Sie überlegt, selbst für die
Wahl zu kandidieren?
Ich habe als Politiker einen Fulltime-
Job und leide nicht an Langeweile. Ge-
nerell stehe ich bereit, wann immer ich
dem VfB in anderer Weise helfen kann.
Einmal VfBler, immer VfBler.

Über was würden Sie sich im neuen
Jahr mehr freuen: Gute Zahlen für Ih-
re Partei oder den Aufstieg des VfB?
(lacht)Das eine schließt das andere zum
Glück ja nicht aus. Der Aufstieg sollte
schon gelingen, denn ein Verein wie der
VfB gehört in die Bundesliga. Und wie
der VfB wollen wir natürlich als Grüne
auch oben mitspielen. Das Land braucht
in Zeiten der Klimakrise und vieler in-
ternationaler Konflikte eine andere
Bundesregierung.

„RESPEKT üüüber Sanktionen erkämpfen“ber Sanktionen erkämpfen“


Cem Özdemir sieht


in der Gewalt gegen


Schiedsrichter im


Amateurfußball ein


gesellschaftliches


Problem gespiegelt.


Der Grünen-Politiker


nimmt hier auch die


Spieler und Trainer


der Bundesliga in die


Pflicht. Und fordert


drastische Strafen


gegen die Täter


Seit der Kindheit VfB-Fan:
Grünen-Politiker Cem Özde-
mir mit Vereinsschal im
Stadion in Stuttgart

PICTURE ALLIANCE / DPA/ MARIJAN MURAT

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02.11.19 Samstag, 2. November 2019DWBE-HP


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DIE WELT SAMSTAG,2.NOVEMBER2019 SEITE 20

SPORT


SPORTREDAKTION: TELEFON: 030 – 2591 71950|FAX: 030 – 2591 71958|E-MAIL: [email protected]|INTERNET: WELT.DE/SPORT


RUGBY

Neuseeland gewinnt


bei der WM Bronze


Titelverteidiger Neuseeland hat bei
der Rugby-WM in Japan das Spiel
um Platz drei gegen Wales mit 40:
für sich entschieden und damit die
Bronzemedaille gewonnen. Die „All
Blacks“ waren als großer Favorit ins
Turnier gegangen, im Halbfinale
aber an England gescheitert. Die
Engländer spielen im Finale heute
in Yokohama gegen Südafrika um
den Titel. ProSiebenMaxx überträgt
das Spiel ab 10.00 Uhr live.

OLYMPIA

Marathon wird


wohl verlegt


Der Weg für die Verlegung der
olympischen Geher- und Marathon-
wettbewerbe von Tokio ins kühlere
Sapporo ist frei. Die Ausrichterstadt
der Sommerspiele 2020 werde ent-
sprechende Pläne des Internationa-
len Olympischen Komitees IOC
„nicht behindern“, sagte Tokios
Gouverneurin Yuriko Koike. Sie
betonte jedoch, dass sie nicht glück-
lich mit der Entscheidung sei.

HANDBALL

Qualifikationsturnier


findet in Berlin statt


Der Deutsche Handballbund richtet
2020 eines der drei Qualifikations-
turniere für Olympia 2020 aus.
Gespielt wird vom 17. bis zum 19.
April 2020 in der Berliner Max-
Schmeling-Halle, die deutsche Män-
nernationalmannschaft würde dann
gegen zwei europäische Teams und
einen Afrika-Vertreter um ein To-
kio-Ticket kämpfen.

FOOTBALL

4 9ers setzen ihre


Siegesserie fort


Der deutsche Football-Profi Mark
Nzeocha eilt in der NFL mit den
San Francisco 49ers weiter von Sieg
zu Sieg. Das Team bezwang die
Arizona Cardinals 28:25 und liegt
mit acht Siegen aus acht Partien
klar auf Play-off-Kurs. Erst zum
zweiten Mal in ihrer Geschichte
haben die 49ers zur Halbzeit der
regulären Saison eine weiße Weste.
Der Startrekord des Klubs aus dem
Jahr 1990 liegt bei zehn Erfolgen.

RAD

Deutsche Vierer


brechen Rekorde


Die deutschen Verfolgermannschaf-
ten haben beim Auftakt in die Welt-
cupsaison im Bahnradsport in
Minsk deutsche Rekorde aufgestellt.
Zunächst verbesserte der Frauen-
vierer mit Franziska Brauße
(Öschelbronn), Lisa Klein (Erfurt),
Lisa Brennauer (Durach) und Gud-
run Stock (München) die Bestmarke
um fast eine Sekunde auf 4:15,
Minuten. Das Männerquartett mit
Felix Groß (Leipzig), Nils Schomber
(Neuss), Theo Reinhardt (Berlin)
und Domenic Weinstein verbesserte
seine Bestmarke um 0,791 Sekunden
auf 3:53,183 Minuten. Die Frauen
fuhren gestern um Gold, die Män-
ner um Bronze, beide Rennen fan-
den nach Redaktionsschluss statt.

FUSSBALL

FC Bayern spielt


mit Trauerflor


Der FC Bayern wird heute in der
Bundesliga bei Eintracht Frankfurt
mit Trauerflor auflaufen. Sie geden-
ken dem langjährigen Vizepräsiden-
ten Rudolf Schels, der im Alter von
70 Jahren gestorben ist. Der Unter-
nehmer aus Regensburg war seit
2009 im Verwaltungsbeirat des
Vereins und fungierte von 2012 bis
2016 als Vizepräsident.

KOMPAKT


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