2 UNTERNEHMEN IM WANDEL DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT SAMSTAG,2.NOVEMBER2019
it für die Zukunftdurch Transformation. Al-
les scheint im Wandel begriffen zu sein – und
das in einem Schwindel erregenden Tempo.
Dabei ist Transformation keine Erfindung
der Neuzeit. Im Gegenteil. Veränderung ist
der Menschheit inhärent; seit Anbeginn befindet sie
sich in einem stetigen Strudel des Wandels – um sich
ändernden Umweltbedingungen anzupassen, sich das
Leben zu erleichtern, oder um sich Vorteile gegenüber
Konkurrenten zu verschaffen. Oft genug aber auch ein-
fffach, um das Überleben zu sichern. ach, um das Überleben zu sichern.
In diesem Sinne hat sich wenig geändert. Was jedoch
die heutige Zeit massiv von jeder bisherigen Epoche un-
terscheidet, ist die Abfolge von Veränderungen. Nichts
geschieht mehr Schritt für Schritt. Stattdessen sorgen
unberechenbare, gleichzeitig ablaufende und sich über-
lagernde Mega-Trends für ein diffuses Gefühl der Unsi-
cherheit. Dazu zählen das Wiedererstarken protektio-
nistischer Staats- und Gesellschaftsstrukturen ebenso
wie zunehmende und unterschiedlich ausgeprägte ex-
tremistische Strömungen, des Weiteren eine dauerhaf-
te und damit bestehende Finanzsysteme untergrabende
Null-Zins-Politik, Klimawandel und – zumindest in
Deutschland – die Abkehr von fossilen Energieträgern.
Mittendrin stehen die Unternehmen, denen die Ori-
entierung zunehmend schwer fällt. Klar ist nur: Wer
sich nicht wandelt, verschwindet vom Markt – eher
fffrüher als später. Dabei ist es egal, ob es „nur“ um einerüher als später. Dabei ist es egal, ob es „nur“ um eine
rein digitale, eine von ökonomischen Zwängen oder
aaaber um eine von einem Wertewandel getriebeneber um eine von einem Wertewandel getriebene
Transformation geht. Etwa wie beim Tabakkonzern
Philip Morris, der seit geraumer Zeit über die Kampa-
gne „Unsmoke“ die Abkehr von der klassischen Zigar-
tette propagiert und neue Produktwelten erschließen
will. Egal, wie die Vorzeichen sind: Man muss es richtig
angehen, sagt Cornelius Baur von der Unternehmens-
beratung McKinsey & Company. Die Masse tut das
nicht, denn rund 70 Prozent scheitern, so der Berater.
Baur spricht von der Gegenwart als einem „brutalen
Umbruch“, welcher in Deutschland zusätzlich durch
eine sich aktuell eintrübende Wirtschaftslage mit so
noch nie gekanntem Druck auf Kernindustrien ver-
stärkt werde. Dem pflichtet Alexander Vollert bei. Der
Deutschland-Chef des Versicherungskonzerns Axa
sagt: „Wir haben es mit exponentieller Veränderung zu
tun.“ Gerade auch in der Finanzbranche hätten sich
VVVeränderungsprozesse extrem beschleunigt. „Siebeneränderungsprozesse extrem beschleunigt. „Sieben
oder acht Jahre, die hat man heute nicht mehr.“
Diese Zeiten werden auch nicht mehr zurückkom-
men. „Wir glauben nicht, dass es diesmal eine schnelle
Erholung so wie 2008/2009 geben wird. Nicht zuletzt
durch latente internationale Handelskonflikte wächst
der Druck auf Unternehmen, aktiv zu werden, noch
mehr“, sagt Baur bezüglich der aktuellen Wirtschafts-
lage. Diesen Druck spüren auch Institutionen und Ver-
bände, darunter die Sparkassen, die eine Säule des
deutschen Finanzsektors darstellen. Besonders die
Null-Zins-Politik macht ihnen zu schaffen. Mit der
werde man wohl auf absehbare Zeit zu tun haben, so
Helmut Schleweis, Präsident des Deutschen Sparkas-
sen- und Giroverbandes. Mit Transformation und
auch den damit verbundenen Unsicherheiten hat er
täglich zu tun – auf Kundenseite ebenso wie im eige-
nen Haus. Die Null-Zins-Politik mache ein radikales
Überdenken bestehender Geschäftsmodelle nötig, um
auch weiterhin der den Sparkassen gesetzlich vorge-
schriebenen Aufgabe nachkommen zu können, näm-
lich breiten Bevölkerungsschichten Möglichkeiten zur
Geldanlage anzubieten, so Schleweis. „Die Fragen ken-
nen wir bereits, an den Antworten arbeiten wir.“
Letztere hat der Energieriese RWE für sich bereits
gefunden. Aus der Not heraus. Nachdem Bundeskanz-
lerin Angela Merkel 2008 unmittelbar nach der Reak-
torkatastrophe im japanischen Fukushima das Ende
der Atom-Zeit in Deutschland und damit die Energie-
wende eingeläutet hatte, war nichts mehr wie zuvor.
Mit wenigen Sätzen wurde das erfolgreiche alte Ge-
schäftsmodell aus Kernenergie und Kohleverstro-
mung auf den Bio-Kompost der Geschichte befördert.
So wie alle traditionellen Energieversorger musste
sich auch RWE neu erfinden. Der Essener Konzern tat
das nicht nur bezüglich der Hinwendung zu den Er-
neuerbaren Energien – 2020 sollen sie bereits 60 Pro-
zent des Umsatzes generieren –, sondern auch beim
Denken und Handeln. Unter anderem, „um uns be-
weglich zu machen beim Personal- und Führungskräf-
tewandel“, so der Vorstandsvorsitzender der RWE AG,
Rolf Martin Schmitz, wurde der Bereich „Corporate
Transformation“ geschaffen. Vielfalt in jeder Bezie-
hung sei die Devise. „Wir wollen sie ausdrücklich.“
Dem gesellschaftlichen Wertewandel hat sich RWE
erfolgreich angepasst. Und man hat etwas richtig ge-
macht, was Cornelius Baur Unternehmen anrät, wenn
sie am Ende eines Transformationsprozesses nicht zu
den gescheiterten 70 Prozent zählen wollen. Für den
Berater ist es unerlässlich, dass ein Vorstand selbst an
den Erfolg bevorstehender Änderungen glaubt und
dies auch vorlebt. „Es braucht eine überzeugende und
mitreißende Change-Story. Gibt es keine Vision für
die Mitarbeiter, verpasst man es, sie mitzunehmen.
Dann kann auch kein Wandel gelingen.“
Baur empfiehlt bei Unternehmen ab einer gewissen
Größenordnung die Einrichtung eines „Transformati-
on Office“ – ganz so wie es RWE getan hat – und die
Einsetzung eines TEO, eines Geschäftsführers für
Transformation, der für eine breit angelegte und nach-
haltige Strategie des Wandels sorgt. Gleichzeitig
mahnt Cornelius Baur eine detaillierte Analyse der Si-
tuation an. Er warnt davor, immer gleich das ganz gro-
ße Besteck auszupacken. „Wenn man schon kleinste
Veränderungen als Transformation bezeichnet, wird
eine echte Transformation irgendwann nicht mehr er-
kannt, von den Mitarbeitern nicht mehr ernst genom-
men. Somit fehlt ihr die nötige Durchschlagskraft.“
Beim produzierenden Gewerbe sieht Victor Nau-
mann von der in Bamberg ansässigen Fraunhofer-Ar-
beitsgruppe Supply Chain Services bislang nur „er-
schreckend wenige Beispiele von Unternehmen, die
sich für disruptive Geschäftsmodelle aufgestellt ha-
ben.“ Eine oft verfolgte Stoßrichtung für Transforma-
tionsprozesse liege in der Ergänzung des reinen Ver-
kaufsgeschäftes durch damit verbundene Dienstleis-
tungen. Hersteller von Produkten wie beispielsweise
Maschinen oder Werkzeugen überlegten zunehmend,
auch damit verbundene Dienstleistungen bis hin zu
deren Betrieb anzubieten. Die Digitalisierung bezeich-
net der Forscher als „geringste Hürde“ einer erfolgrei-
chen Transformation, zumal die deutschen Mittel-
ständler nicht, wie oft behauptet, die Digitalisierung
verschliefen. „Mit solchen immer wieder getätigten
Aussagen tue ich mich sehr schwer. Viele sind wirklich
außerordentlich engagiert.“
Gerade für kleinere und mittlere Firmen erkennt
Naumann zwei große Hindernisse auf dem Weg, sich
neuen Realitäten anzupassen, die in vielen Fällen auch
zum Scheitern führen. Zum einen werde die Komple-
xität unterschätzt, die das ergänzende Servicegeschäft
bis zum Betreiben eigener Produkte beim Kunden mit
sich bringe. „Dafür braucht es häufig ein unglaubliches
Prozess- und Domain-Wissen über den Kunden. Man
muss oft sehr tief einsteigen.“ Zum anderen müsse
man sich Transformation auch ganz einfach leisten
können. Die großen Spieler könnten eigene Abteilun-
gen aufbauen, Mitarbeiter dafür ab- oder sogar einstel-
len. Für die Kleineren käme schon allein das Abstellen
von Mitarbeitern einem Kraftakt gleich, der zusätzlich
zum laufenden Betrieb geschultert werden müsse. Da-
zu kommt die Aufgabe, die Mitarbeiter für neue Wege
und Visionen zu begeistern. Hier stößt Naumann in
dasselbe Horn wie Cornelius Baur von McKinsey. „Der
Mensch ist schwer zu transformieren, wenn er nicht
weiß, was ihn in der neuen Welt erwartet.“
So lassen sich Risiken minimieren
Es ist die Zeit der extremen Veränderungen – weltweit. Unternehmen haben es schwer, dabei Schritt
zu halten. Viele scheitern mit ihren Transformationsprozessen, weil sie die Grundregeln nicht beachten
VON JOCHEN CLEMENS
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