Süddeutsche Zeitung - 02.11.2019

(Barré) #1
von hans kratzer

München– Alsdas Land Bayern noch
weitgehend agrarisch strukturiert war,
stand der Namenstag in seiner höchsten
Blüte. Im Jahr 1987 erzählte die aus der
Salzburger Gegend stammende Bergbäu-
erin Barbara Passrugger dem Sozialhisto-
riker Michael Mitterauer, sie habe sieben
Geschwister gehabt. Ihr Bruder Georg ha-
be den Namen vom Großvater bekom-
men, Johann sei nach dem Vater benannt
worden, Stefan nach dem Taufpaten,
Franz Josef nach dem Kaiser, Anna nach
der Mutter und Florian nach dem Feuer-
patron, denn der Vater sei überzeugt ge-
wesen, wo ein Florian im Haus sei, da
brenne es nie. Den Namen der Schwester
Aloisia habe der Pfarrer gewollt, und ihr
eigener Name Barbara stamme von der
Taufpatin. Diese Worte belegen eindeu-
tig, welch eine Bedeutung der Namens-
tag hatte. Kein Wunder, dass es einst viel
schlimmer war, der Oma nicht zum Na-
menstag zu gratulieren als ihren Geburts-
tag zu vergessen. Geburtstage besaßen
keinen hohen Wert: „Erinnere mich bloß
nicht“, lamentierten die Omas, „jetzt bin
ich wieder um ein Jahr älter.“ An den Na-
menstagen wurden dagegen opulente
Feste gefeiert, und populäre Namenstage
wie Josefi waren sogar halbe Feiertage.
Das weiß auch der frühere Nationaltor-
wart Sepp Maier aus Anzing bei Mün-
chen. In einem Interview sagte er vor kur-
zem: „Groß gefeiert habe ich meinen Ge-
burtstag noch nie. Was wir, als ich Kind
war, gefeiert haben, war der Namenstag.
Das war bei uns im katholischen Bayern
viel mehr wert.“ Auch im November ste-
hen große Namenstage auf dem Kalen-
der (Hubertus, Leonhard, Martin, Cäcilia,
Katharina, Andreas), aber es ist nicht zu
übersehen, dass sie schwer an Bedeutung
eingebüßt haben. Zumindest im städti-
schen und im nichtkatholischen Milieu
findet der Namenstag, über Jahrhunder-
te hinweg eine gesellschaftliche Instituti-
on, kaum Beachtung.
Michael Ritter, Brauchtumsexperte
beim Landesverein für Heimatpflege, er-
kennt momentan „geradezu eine Umkeh-
rung dessen, was früher war“. Der Bedeu-
tungsverlust des Namenstages gehe ein-
her mit dem Schwinden der religiösen
Verwurzelung, sagt er. „Die Menschen
hatten früher einen stärkeren Bezug zu
den Heiligen, deshalb war der Namens-
tag viel mehr im Bewusstsein.“ Gedenkta-
ge wie Josefi (19. März), Johanni (24. Ju-
ni), Sankt Anna (26. Juli) oder Mariä Ge-
burt (8. September) wurden sogar statt ei-
ner Datumsbenennung verwendet. Tobi-
as Appl, Bezirksheimatpfleger der Ober-
pfalz, kennt noch alte Menschen, die ge-
wisse Ereignisse mit „14 Tage nach Jose-
fi“ oder „um Michaeli herum“ einordnen.
Einer der wenigen Gedenktage, die
noch richtig mit einer Person verbunden
werden, sei der Martinstag am 11. Novem-
ber, sagt Michael Ritter. Auch den Niko-
laustag (6. Dezember) rechnet er dazu,
mit solchen Tagen seien schöne Geschich-
ten verknüpft. Allerdings werde der Niko-
laus mit dem Weihnachtsmann ver-
mengt, einem weltlichen Gabenbringer.
Deshalb werde der Nikolaus heute mehr
als Märchenfigur wahrgenommen denn
als Heiliger im christlichen Sinn.
Interessant ist, wie schnell sich die Auf-
lösung der Namenstagstradition voll-
zieht. In der Folge 3 der in den frühen
80er Jahren gedrehten BR-Kultserie „Mo-
naco Franze“ wird der Namenstag der
Frau des Franze (Spatzl) noch mit vielen
Gästen gefeiert, und das mitten in der
Stadt München. Bernhard Lübbers, der

Leiter der Staatlichen Bibliothek in Re-
gensburg, erinnert sich, er habe 1999 in
Dublin eine Wohnung vor allem deshalb
bekommen, weil er sich mit den Namens-
tagen auskenne. Dem Vermieter habe er
erzählt, dass der den gleichen Vornamen
wie er habe, Bernhard von Clairvaux. „Da
ging ihm das Herz auf, das war ihm im-
mens wichtig.“
Sozialgeschichtliche Studien zeigen,
dass sich die Namensgebung in Europa
über lange Zeit hinweg an den Ahnen und
den Heiligen orientierte. „Sie waren jene
Bezugspersonen, an denen sich zu Be-
ginn des Lebens durch die Übertragung
des Namens eine erste Einordnung des
Menschen in sein soziales Umfeld orien-
tierte“, schreibt Michael Mitterauer in sei-
nem 1993 erschienenen Standardwerk
„Ahnen und Heilige“.

Laut Mitterauer lässt sich die Benen-
nung nach Ahnen über zweieinhalb Jahr-
tausende hinweg nachweisen. Die Na-
mensgebung nach Heiligen reicht bis in
die Spätantike zurück. Der 407 gestorbe-
ne Kirchenlehrer Johannes Chrysosto-
mos gab bereits den Rat, Kinder „nach
heiligen Männern zu benennen, die
durch Tugend hervorragten“. Später tru-
gen besonders die Franziskaner und die
Jesuiten zur Verbreitung von Heiligenna-
men in der Bevölkerung bei.
Christliche Namen sind zwar immer
noch beliebt, aber es sind nicht mehr pri-
mär die christlichen Patrone, an denen
sich die Namenswahl orientiert. Dass der
Schutzheilige für eine Familie von Nut-
zen sein könne, gehört in eine überkom-
men Vorstellungswelt. Die Zuflucht zum
heiligen Florian als Namenspatron wur-
de durch Blitzableiter und Brandscha-
densversicherung deutlich abge-
schwächt. Aber nicht nur die Motive der
Namensgebung haben sich verändert.
„Hinter der Revolution der Namensge-
bung stehen revolutionäre Prozesse der
gesellschaftlichen Veränderung“,
schreibt Mitterauer. Wer gibt in großstäd-
tischem Milieu seinen Kindern noch sys-
tematisch die Namen von Vorfahren, Ver-
wandten oder Heiligen im strengen Sin-
ne? Wer wählt den Erstnamen des Kindes
nach dem Taufpaten? Vornamen sind
nicht mehr gesellschaftlich verbindlich.
Die Praxis hat sich individualisiert.
Die Kabarettistin Monika Gruber be-
klagt den Bedeutungsverlust der Na-
menstage. Es gebe eben keinen heiligen
Kevin und keine heilige Mandy. „Ich glau-
be ja, dass sich manche Menschen den Na-
men für ihr Haustier besser überlegen als
den Namen für ihr Kind“, spöttelt sie. Auf-
sehen erregte 2015 ein Vater aus Passau,
der bei der Namensgebung seiner Töch-
ter den Idolen des FC Bayern huldigte.
Die älteste Tochter bekam den Namen
Dante, die zweite Tochter heißt unter an-
derem Arjen, nach dem Spieler Robben.

Monika Gruber glaubt,
dass mancheMenschen
sich den Namen für ihren
Hund besser überlegen
als für ihr Kind

Stephansposching– Nach der Havarie ei-
nes Schiffes ist die Donau bei Stephanspo-
sching im niederbayerischen Landkreis
Deggendorf am Freitag gesperrt worden.
Nach Polizeiangaben war gegen 3.40 Uhr
ein Güterschiff mit einer Fahrwasserton-
ne kollidiert. Dem Kapitän des mit etwa
850 Tonnen Malz beladenen Schiffs war
bereits am 22. Oktober die Weiterfahrt
durch das Wasser- und Schifffahrtsamt
verboten worden, nachdem das Schiff
auf Grund gelaufen war. Seitdem war es
außerhalb der Fahrrinne verankert gewe-
sen. Vermutlich aufgrund des steigenden
Pegels habe sich das Schiff in der Nacht
zu Freitag aus der Verankerung gelöst
und sei nach 100 Metern mit der Wasser-
standstonne zusammengestoßen, teilte
ein Polizeisprecher mit. Die Tonne ver-
keilte sich dabei mit dem Ruderblatt und
der Ankerkette. Erst gegen Mittag konnte
sie gelöst und der Schiffsverkehr wieder
freigegeben werden. Das Güterschiff
fuhr in den Hafen Deggendorf und blieb
offenbar unbeschädigt. dpa

München– Unter Bayerns Asylhelfern,
von denen sich viele bereits seit 2015 oder
sogar noch früher um die im Freistaat le-
benden Flüchtlinge kümmern, wächst
der Unmut über „eine ganze Reihe von
Ausländerbehörden“. Diese entschieden
oft „äußerst restriktiv“ – und das, ob-
wohl Innenminister Joachim Herrmann
(CSU) im März eine Lockerung bei der Ge-
nehmigung von Ausbildungs- und Be-
schäftigungserlaubnissen „in neuen Voll-
zugshinweisen festgelegt“ habe, wie Ju-
lia von Seiche als eine der Organisatorin-
nen des bevorstehenden Ostbayerischen
Asylgipfels am Freitag erklärte. Viele Hel-
fer sehen sich dadurch massiv in ihrer eh-
renamtlichen Arbeit behindert.
Auf insgesamt drei Asylgipfeln soll die-
ses Thema nun diskutiert werden. Den
Anfang macht am Samstag der siebte
Oberbayerische Asylgipfel, der in der
Münchner Benediktinerabtei St. Bonifaz
stattfindet. Zur Sprache kommt dort
auch, welche Auswirkungen das „Geord-
nete-Rückkehr-Gesetz“ für die hier le-
benden Flüchtlinge hat. Eine Woche spä-
ter – am Samstag, 9. November – finden
in Passau der „Ostbayerische Asylgipfel“
sowie in Nürnberg der „Fränkische Asyl-
gipfel“ statt. In Passau werden Vertreter
des Bayerischen Landesamtes für Asyl
und Rückführungen ihre Arbeit vorstel-
len und sodann auf Fragen der Asylhelfer
eingehen. Ein weiteres Thema ist die Pro-
blematik der Identitätsklärung. Höhe-
punkt des Nürnberger Asylgipfels wird ei-
ne Podiumsdiskussion sein, bei der unter
anderem Klaus Stadler seine Erfahrun-
gen als Kapitän des Rettungsschiffs Sea-
Eye einbringt. Das Thema lautet: „Nach
uns die Sintflut?!“. dm


Nürnberg– Im Nürnberger Dokumenta-
tionszentrum Reichsparteitagsgelände
ist bis zum 23. Februar die Ausstellung
„Blutiger Boden. Die Tatorte des NSU“ zu
sehen. Die Fotografin Regina Schmeken
hat die Orte der Verbrechen dokumen-
tiert. Zehn Menschen ermordete die
rechtsextreme Terrorgruppe „National-
sozialistischer Untergrund“, erst bei der
Selbstenttarnung des Trios 2011 wurden
die Zusammenhänge klar. Welchen Scha-
den das Vertrauen in den Rechtsstaat
durch die Ermittlungspannen bei der Auf-
klärung der Morde genommen hat, dazu


findet am Dienstag, 5. November, um
18.30 Uhr ein Podiumsgespräch statt. Die
Fotografin, der Schriftsteller Feridun Zai-
moglu und SZ-Gerichtsreporterin Annet-
te Ramelsberger diskutieren unter dem
Titel „Der Rechtsstaat in Gefahr. Die Auf-
klärung der NSU-Morde wirft Fragen
auf“. Es moderiert Martina Mittenhuber,
die Leiterin des Menschenrechtsbüros
Nürnberg. Der Eintritt ist frei, eine An-
meldung per Mail an dokumentations-
[email protected] wird emp-
fohlen. Die Diskussion wird in Gebärden-
sprache übersetzt. Am Sonntag, 8. De-
zember, um 16 Uhr, führt Regina Schme-
ken selbst durch die Ausstellung. sz


München – Möglicherweise krebsför-
dernde Chemikalien belasten an mehr Or-
ten in Bayern als bislang angenommen
den Boden oder das Grundwasser. Dies
geht aus der Antwort einer parlamentari-
schen Anfrage der SPD-Landtagsfrakti-
on an das Umweltministerium hervor.
Demnach sind neben Industriestandor-
ten und Bundeswehrstützpunkten auch
aktive wie ehemalige Gebiete des US-Mili-
tärs von der Belastung mit per- und poly-
fluorierten Chemikalien (PFC) betroffen.
Ebenfalls nachgewiesen wurde PFC in
den Flüssen Maisach und Moosach, wie
das Umweltministerium in seiner Ant-
wort mitteilte. Insgesamt sind 25 Stand-
orte bekannt, teilweise soll aber deren
Umgebung belastet sein.
PFC ist ein schwer abbaubarer Stoff
und steht im Verdacht, krebsfördernd zu
sein. Neben Hoden- und Nierenkrebs
wurde laut Umweltbundesamt unter an-
derem ein Zusammenhang zu Erkrankun-
gen des Darms und der Schilddrüse nach-
gewiesen. Außerdem stünden einige PFC
im Verdacht, die Fruchtbarkeit negativ zu
beeinflussen. Über den Boden können
die Chemikalien auch in das Grundwas-
ser und in Lebensmittel gelangen, bis sie
schließlich im Körper landen.

Aus Angst vor der giftigen Chemikalie
auf dem Gelände des Militärflugplatzes
Manching im Landkreis Pfaffenhofen an
der Ilm hatte die dortige Kommune Klage
gegen die Bundesrepublik Deutschland
eingereicht. Bei dieser Klage geht es expli-
zit um Schadenersatzansprüche wegen
PFC-Belastung. Im Juni hatten Behörden
zudem davor gewarnt, Fische aus den um-
liegenden Gewässern des Flughafens zu
essen.
Die Landtags-SPD fordert nun Grenz-
werte für PFC in Lebensmitteln. Bisher
gebe es zwar Empfehlungen der EU, wie
viel der Chemikalien pro Woche maximal
aufgenommen werden dürften, es sei
aber schwer, aus den gefundenen Men-
gen in Böden und Wasser genaue Rück-
schlüsse auf Lebensmittel zu ziehen, sag-
te SPD-Verbraucherschützer Florian von
Brunn. Er sieht daher die Staatsregierung
in der Pflicht und fordert eine flächende-
ckende Überprüfung von PFC-Werten in
Lebensmitteln. Das zuständige Umwelt-
ministerium betonte auf Anfrage, dass be-
reits seit dem Jahr 2006 spezielle Proben
im Land genommen würden, um mögli-
che Gefahren schnell zu entdecken. dpa

Die Ausstellung „Blutiger Boden. Die
Tatorte des NSU“ ist bis zum 23. Febru-
ar zu sehen. FOTO: REGINA SCHMEKEN


Es geschah um


Michaeli herum


Namenstage waren bis vor wenigen Jahren
wichtiger als die Geburtstage. Sie dienten
sogar als Datumsbenennung.
Geblieben sind nur der Nikolaus und Martin

Donau nach


Havarie gesperrt


Asylhelfer kritisieren


Ausländerbehörden


Der Klassiker für alle, die es ganz genau
wissen wollen: der lithurgische Kalender zum
Abreißen. Der heilige Josef (links) wird am 19.März
geehrt, die heilige Anna (rechts) am 26.Juli.
FOTOS: SEBASTIAN BECK, IMAGO, SZ

Diskussionsrunde


zu NSU-Morden


Sorgen über


PFC-Belastung


Mehr Orte von giftiger Chemikalie
betroffen als angenommen

SPD fordert flächendeckende
Überprüfung von Lebensmitteln

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