Berliner Zeitung - 02.11.2019

(nextflipdebug5) #1

Politik


Berliner Zeitung·Nummer 255·2./3. November 2019 5 *·························································································································································································································································································

„DieKlimabewegungistundemokratisch“


DerHistorikerAndreasRödderüberdieAbsolutheitdesAnspruchsvonFridaysforFuture,dieBlockadenvonExtinctionRebellionundunentschuldigteFehlstunden


D


ieSchüler,diebei Fridays
for Futuredemonstrie-
ren, forderneinen
schnellenKurswechselin
derKlimapolitik.DemokratischeEnt-
scheidungsprozesse verlaufen dage-
genoftlangsam.ImIn terviewspricht
der Historiker Andreas Rödder dar-
über,wiesichmitdiesemZielkonflikt
umgehenlässt,waservonExtinction
RebellionhältundwieerdiePerspek-
tivenfürSchwarz-Grünsieht.


HerrRödder,GretaThunberghatkei-
nen Friedensnobelpreis bekommen.
FindenSiedasschadeoderrichtigso?
DerHypeumGretaThunberghat
unnatürliche Dimensionen ange-
nommen.Deshalbfindeichesheil-
sam, einer 16-jährigen Schülerin
nichtauchnochdenFriedensnobel-
preis zu geben.Dashätte weiter Öl
ins medialeFeuer gegossen.Solche
Formen vonErregungszuständen
tuneinerreflektiertenÖffentlichkeit
nichtgut.


DasZiel vonThunberg und anderen
Fridays-for-Future-Demonstranten
ist, wenn man so will,Bewahrung
unserer Welt. Finden Siesich als be-
kennenderKonservativer darin wie-
der?
Es gibt zweifellos eine Schnitt-
menge zwischenUmweltschützern
und Konservativen, die die Schöp-
fung bewahren wollen.Daskönnen
SieschonbeidenAnfängenderAnti-
Atomkraft-Bewegung nachvollzie-
hen. Dieersten Demonstranten ge-
gen das geplanteKernkraftwer kin
Wyhl in Baden waren nichtAuto-
nome wie hinterher inBrokdorf,
sondernbadischeWinzer .Esg ibt
alsoimmerschoneinekonservative
Strömung in derUmweltbewegung,
diesichabervonallenanderendort
aucherheblichunterscheidet.


Wodurchgenau?
DieVorstellungder Bewahrung
der Schöpfung aus christlich-kon-
servativen Gründengehtimmerein-
hermitdembiblischenSatz:„Macht
euchdieErdeUntertan.“ Diekonser-
vativen Umweltschützerverbinden
mit ihremEngagement immer zu-
gleich auch dieNutzung derNatur.
Linke Ökoaktivisten sehen diesen
Aspekt nicht.Sieverfallen vielmehr
einer ökologischen Romantik, die
unter dem Schlagwort„Zurück zur
Natur“aucheinenProtestgegendie
moderneIndustriegesellschaftbein-
haltet.

Thunbergund andereDemonstran-
tenfüreinekonsequentereKlimapo-
litik sagen, schnelle Änderungen
seien imKampf gegen den Klima-
wandelunabdingbar.Demokratieist
aber oft langsam.Gibt es hier einen
grundlegendenWiderspruch?
Ja,ich sehe sogar einen eklatan-
tenWiderspruch, es gibt einenZiel-
konflikt zwischen Klimaschutz und
Demokratie.Die Klimaaktivistener-
heben–mitVerweisaufdas,wassie
für objektiveWissenschaften und
unbestreitbareBefunde halten–ei-
nenAnspruchaufWahrheit,densie
mit demKonzept des allgemeinen
Willens des Philosophen Jean-
Jacques Rousseau verbinden. Das
heißt: Sieerheben einen uneinge-
schränktenDeutungsanspruch, das
Gemeinwohl zu kennen.Demokra-
tie besteht aber immer aus dem
Wettbewerbvonunterschiedlichen
Meinungen. Genau hier liegt das
Problem.

DerBefund der großenMenge füh-
renderWissenschaftler ist ja tatsäch-
lich sehr klar.Ist es da nicht logisch,
dassjungeMenschendiePolitikauf-
fordern,schnellzuhandeln?

Ichstecke ja selbst in diesemDi-
lemma. AlsHistoriker bin ich einer-
seits extrem skeptisch gegenüber
wissenschaftlichen Absolutheitsan-
sprüchen. Einen solchenAbsolut-
heitsanspruch hat auch derMarxis-
mus im sowjetischen Kommunis-
muserhoben.AufderanderenSeite
leuchtet mir ein, dass die klimawis-
senschaftlichenAussagenmithoher
Wahrscheinlichkeitrichtigseindürf-
ten. Dasändertaber nichts an mei-
nerAnalysezumZielkonfliktvonDe-
mokratie und Klimaschutz:DieKli-
maaktivisten akzeptieren andere
Meinungennicht, weil sie ihreei-
gene Meinung für wissenschaftlich
alternativloshalten.DieKlimabewe-
gungistundemokratisch.

Lässtsichdas,wasSiealsZielkonflikt
beschreiben,irgendwieauflösen?
Es gibt keinen intellektuell über-
zeugenden Ausweg aus dem be-
schriebenenDilemma. Es täte der
Debatteallerdingsgut,wennallezu-
nächst anerkennen würden, dass es
diesenZielkonfliktgibt.Auseinerli-
beral-konservativen Haltung heraus
sehe ich aber einen pragmatischen
Ausweg: Aufder einenSeite werde
ichweiterdie Absolutheitderklima-
politischen Ansprüche zurückwei-
sen. Aufder anderenSeite halte ich
es für klug, eine möglichst umfang-
reicheKlimapolitikzubetreiben.Im
Nachhinein wäreder Schaden frag-
los am größten,wenn sich dieVor-
hersagen als richtig er weisen, wir
aber nichts oder zu wenig unter-
nommenhaben.

GibteseinvergleichbaresProblemin
derGeschichte?
Umwelthistorisch ist dasMuster
der Klimadebatte exakt jenes,das
wirausden80er-Jahrenumdensau-
renRegenunddasWaldsterbenken-

nen. Auch damals gab es eine wis-
senschaftlicheExpertise ,die als un-
anfechtbargab.SiewurdemitderAt-
titüdekommuniziert:„Esistfünfvor
zwölf.“Oderauch:„Esistschonfünf
nach zwölf.Undwenn wir nicht so-
forthandeln,istalleszuspät.“Inden
Neunzigernzeigte sich dann:Der
Waldistgarnichtgestorben.Dieun-
beantworteteFrage ist nur:Lag das
daran, dass die Prognosen falsch
oder die ergriffenenMaßnahmen
richtigwaren?

Finden Sieeslegitim, wenn Schüler
dem Unterricht fernbleiben,um für
denKlimaschutzzudemonstrieren?
Es ist mehr als legitim, dass die
SchülerihreHaltung zum Klima-
schutzartikulierenundindieÖffent-
lichkeit tragen. Ichhalte es auch für
legitim, dafür begrenzte Regelver-
stöße auszuüben.Werernst genom-
men werden will, muss dann aber
auchdieKonsequenzendafürtragen.
Dasheißt: Dieunentschuldigten
FehlstundengehöreninsZeugnis.

GehtExtinctionRebellion,andersals
die demonstrierenden Schüler,zu
weit?
DieBlockade vonKreuzungen
überschreitet keine Grenzen, die in
der Demokratie nicht auszuhalten
wären. Mein Eindruck ist aber,dass
bei ExtinctionRebellion gewaltsa-
mes Eskalationspotenzialin der Be-
wegung steckt. ExtinctionRebellion
erhebt noch einmal stärker als an-
derefür sich den Anspruch auf
Wahrheit.InderGeschichtehatsich
immerwiedergezeigt,dassdiesmit
immerweitererRadikalisierungein-
hergehen kann. DerStaat muss Ex-
tinctionRebellion also genau im
Augebehalten.

DasGesprächführteTobiasPeter.

Kreativ und umstritten:Performance bei einer Demonstration von Extinction Rebellion.DPA

ZUR PERSON

Andreas Rödder,52, wurde inWissen imWesterwaldgeboren. Er studierte Geschichteund Ger-
manistik in Bonn,Tübingen und Stuttgart. Seinerstes Geldverdiente er mit Orgelspiel. Er habili-
tierte sich2001 mit einer Studie über die politische Kultur der englischen Konservativen im 19.
Jahrhundert.Aufsehen erregte dasCDU-Mitglied mit dem Buch „Konservativ 21.0“, in dem er
sich der Fragewidmet, wieein zeitgemäßer Konservatismusaussehen könnte.

Filternodereinfach


abschalten


RusslandsInternetgesetzfunktioniertnuraufdemPapier


VonStefan Scholl, Moskau

W


enn der Kreml dasweltweite
Internet wirklich abschalte,
warntAlexeiTschuwaschow,würden
alle Google-Dienste,außerdem
Facebook, Instagram und Twitter
ausfallen. „Das Smartphone stellt
dann ein nutzloses Stück Plastik
dar“,sagtederIT-ExpertedemWirt-
schaftsportal forbes.ru.„Aber zuerst
einmalpassiertgarnichts.“
AmFreitagistinRusslanddasGe-
setzüberdas„SouveräneInternet“in
Kraftgetreten.SeineBefürworterver-
sichern,eswerdedierussischenNut-
zervor Cyberattacken undAbschalt-
versuchen aus demAusland schüt-
zen. Kritiker dagegen warnen, es
diene demStaat dazu, missliebige
DatenströmevorallemausdemWes-
tenzukappenunddasvirtuelleRuss-
landzuisolieren.Bisheraberfunktio-
niertdasGesetznuraufdemPapier.
Es befugt dieAufsichtsbehörde
Roskomnadsor,imG efahrenfall das
russische Internet und seineInfor-
mationsströmezentral zu steuern.
Essiehtaußerdemvor,allePunktezu
erfassen, an denen dasrussische
und das globaleNetz Informations-
ströme austauschen. Undesv er-
pflichtetdieProvider,sichmit Filter-
technikauszurüsten,diedenDaten-
verk ehr kontrollieren und nachBe-
darfblockierenkann.
AberdiesesVerfahrenistbisherof-
fenbar nur eingeschränkt einsatzbe-
reit, wie Präsidentenberater Dmitri
Peskowder Nowaja Gaseta gestand:
„TechnischistdasLandnochnichtso
weit.Esistsehrwichtig,dasswirna-
tionaleTechnologienentwickeln,um
unsereInformationsnetzeund -sys-
teme zu schützen.“Siekönnten den
Internetverkehrverlangsamen. Das


sei „derPreis für technologischeSi-
cherheit“.
Laut Wirtschaftsportal rbc.ru
wirdFiltertechnikderFirmaRDP.RU
inden NetzendergrößtensechsMo-
bilfunkanbieter in derUral-Region
getestet.„Aberdasbewegtsichalles
auf der Ebene vonGerüchten“, sagt
AlexanderIssawnin vonder Gesell-
schaftzumSchutzdesInternets .Wie
dieOppositionszeitungNowajaGas-
etaschreibt,hatderEinsatzderFilter
imUralsein Hauptziel,dieBlockade
des missliebigen Messengerkanals
Telegram, glatt verfehlt. Unddie
Nutzer dorthätten mittels eines
Klicks ihr virtuelles privatesNetz-
werk (VPN)aktiviertunddamitauch
weiterhin Zugang auf allevonRos-
komnadsorgesperrtenPortale.

Langsamerundteurer
„Noch stehen nicht einmal die
PfählefürdenStacheldrahtzaunum
das russische Internet“, spottetIs-
sawnin. „Aber das Gesetz ist in
Kraft.“Bürgerrechtlerbefürchtenin-
des,dass die Obrigkeit jetzt, da das
Filternscheitere, das Internet künf-
tig einfach abschalten könnte.Und
das komplett, wie inInguschetien,
woangesichtsvonMassenprotesten
dasmobileNetztagelangausfiel.
VieleNutzeraberglauben,dasIn-
ternet werdeschlechter und teurer
werden. Auch Geschäftsleute kalku-
lierenschonkünftigeVerluste.Zahl-
reiche russische Onlineshops nut-
zenausländischeServer,obA mazon
oder Instagram.Unddie Moskauer
Marketing-Agentur Qmarketing
plant laut forbes.ru, dieProdukti-
ons- undVerkaufsabteilungen mit
nahezuallenMitarbeiternausRuss-
land nachPolen und in die USA zu
verlegen.

Willkommenim


erneuer baren


Zeitalter.


Wirstehenfür sauberen,sicherenund bezahlbarenStrom.
Wirinvesti erenMilliarden inErneuerbare Energien und
Spei cher.Wir habenein klaresZiel: klimaneutral bis 2040.
Willkommenbeider neuenRWE.
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