D
as Bild der Waage
hat es Facebook an-
getan. Nicht zufällig
hat Mark Zucker-
berg seine geplante Kryptowäh-
rung Libra genannt – denn er
versucht gerade, eine Symbolik
für das gesamte Unternehmen
zu setzen, die gegen das Skan-
dalimage seiner Firma wirken
soll. Keineswegs soll nur die
heftig kritisierte Facebookwäh-
rung dem Anspruch von Balan-
ce und Fairness gerecht wer-
den. Auch das Kernprodukt, das
soziale Netzwerk, das nach ei-
genen Angaben regelmäßig von
derzeit knapp 2,5 Milliarden
Menschen genutzt wird, soll
von der Welt als möglichst neu-
tral wahrgenommen werden.
VON CHRISTIAN MEIER
Dieses Ziel der ausgleichen-
den, gleichsam die Gesellschaft
moderierenden Plattform geht
zurück auf das nie aufgegebene
Selbstbild von Facebook als
einem Infrastrukturanbieter, der
prinzipiell zugänglich und offen
ist für alle, solange sich jeder da-
von an bestimmte Regeln hält,
die die Kalifornier selbst aufge-
stellt haben. Artikel, Kommenta-
re, Fotos und Videos werden
schließlich nicht von Facebook
produziert und eingespeist, son-
dern von den Nutzern, die sich
wiederum durch die Auswahl ih-
rer Freunde und abonnierten
QQQuellen ihr eigenes Netzwerkuellen ihr eigenes Netzwerk
basteln – und damit auch ihr ei-
genes Weltbild konstruieren.
In der Praxis steht dem
Selbstbild der auferlegten Neu-
tralität ein völlig anderes
Fremdbild gegenüber. Face-
book war und ist ein Einfallstor
zur Verbreitung von Hass und
Hetze jeder Art, ein Verstärker
politischer Desinformation und
ein schlecht beziehungsweise
nicht zu kontrollierendes Paral-
leluniversum, das selten zur
Verständigung und häufig zur
Spaltung der Gesellschaft bei-
trägt. Vor diesem Hintergrund
und eingedenk der beschriebe-
nen Eigen- und Fremdwahrneh-
mung von Facebook ist die Ein-
führung eines Nachrichtenan-
gebots als Teil der Plattform
ein so bedeutsames wie auf-
schlussreiches Experiment. Zu-
nächst handelt es sich um einen
Test, in den laut Angaben von
Facebook einige Hunderttau-
send Nutzer in den USA einbe-
zogen sind.
Im Fall von Facebook, einem
Netzwerk, das zur Verbreitung
politischer Botschaften massiv
instrumentalisiert wurde und
darum unter genauer Beobach-
tung steht, ist allerdings schon
die Auswahl der zur Verfügung
stehenden Nachrichtenquellen
ein höchst brisantes Thema.
Das Ziel, einen Journalismus als
Korrektiv zu den im Netz gras-
sierenden Falschinformationen
anzubieten, mit „Informatio-
nen, denen Menschen vertrau-
en können“ (O-Ton Facebook)
wird damit bereits zu einem Ba-
lanceakt. In einem kurzen Vi-
deo hat Facebook schon mal ge-
zeigt, wie das neue Format aus-
sehen wird – und welche Mar-
ken dabei sind. Neben den er-
wartbaren Medien wie „New
York Times“, „Washington
Post“, „Wall Street Journal“
„Time“ und „New Yorker“ so-
wie einer Riege jüngerer Mar-
ken wie „Business Insider“,
„Politico“, „Buzzfeed“ und „Wi-
red“, fiel aufmerksamen Beob-
achtern vor allem Fox News
auf, der Präsident Trump sehr
lange sehr zugeneigte Nach-
richtensender. Für die Abbil-
dung des medialen politischen
Spektrums gehört Fox News
allerdings fast zwingend dazu.
Weniger eindeutig ist dies im
Fall von „Breitbart“, das im be-
sten Fall als rechtspopulistisch
bezeichnet werden kann, das
Kritiker aber auch mal als
„rechtsextrem“ etikettieren.
Bedeutet diese Inklusion
nun, wie amerikanische Kritiker
nahelegen, dass Mark Zucker-
berg ein rechter Republikaner
ist? Kaum. Bereits vor drei Jah-
ren feuerte Facebook ein Team
von Redakteuren, die viel disku-
tierte Artikel auf der Plattform
ausgesucht hatten und angeb-
lich viele Beiträge mit konserva-
tivem Einschlag links liegen lie-
ßen. Danach übernahmen Algo-
rithmen die Auswahl. Bei dem
neuen Nachrichtenüberblick
wird es eine Kombination von
Empfehlungen von echten Re-
dakteuren („Die Stories von
heute“) und Maschinen („Emp-
fohlen für Dich“) geben.
Nein, viel wahrscheinlicher
ist, dass es Zuckerberg nicht um
politischen Einfluss oder Mei-
nungsmache geht, sondern
allein um die Rückgewinnung
der Deutungshoheit über seine
Plattform. Um das Narrativ, das
bei Facebook alle Nutzer ihre
Meinung äußern können und in
der Auswahl ihrer Quellen
auch« nicht bevormundet wer-
den. Dieses Ziel ist freilich kein
Selbstzweck oder mit dem heh-
ren Anspruch verbunden, die
Demokratie zu retten. Sondern
kühle Kalkulation. Es geht dar-
um, die Zahl der Nutzer zu hal-
ten oder gar auszubauen und
diesen Menschen mit einem
Nachrichtenangebot zu signali-
sieren, dass es keine Vorbehalte
gegenüber jedweder Meinung
gibt, die sich im rechtlich zuläs-
sigen Rahmen verorten lässt.
Ganz im Sinne der Werbever-
marktung, die trotz aller Skan-
dale floriert.
So gesehen ist ein eigenes
Nachrichtenangebot nicht nur
ein Service, der die Dauer der
Nutzung verlängern soll, die
unter den amerikanischen Nut-
zern zuletzt um durchschnitt-
lich 30 Sekunden auf 37 Minu-
ten am Tag sank (immer noch
sehr eindrucksvoll). Es ist auch
mehr als ein Wink mit dem
Zaunpfahl in Richtung der
Suchmaschine Google, die für
die Nutzung von Inhalten keine
Lizenzgebühren bezahlt – denn
zumindest einer Reihe von Me-
dienmarken will Facebook nun
offenbar Geld für die Aufnahme
in seine Nachrichten zahlen.
Facebook News ist mehr: der
erneute Versuch, die Medien-
welt in sich aufzusaugen und
sich damit selbst zu immunisie-
ren. Echte Neutralität kann es
aber weder im wahren Leben
noch in einem sozialen Netz-
werk geben.
Wie
neutral
kann
wirklich
sein?
Das weltgrößte
soziale Netzwerk
plant ein eigenes
Angebot für
Nachrichten – und
will als
unparteiische
Plattform
wahrgenommen
werden
GETTY IMAGES
/ MARTIN BARRAUD
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