Die Welt Kompakt - 06.11.2019

(Brent) #1
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A PURPOSE

Die elektronische Patientenakte (ePA) wird
viele Verbesserungen für die medizinische
Behandlung bringen, sagt Erik Bodendieck
von der Bundesärztekammer.


Gut ein Jahr vor der geplanten Einführung der
elektronischen Patientenakte ist bei denen,
um die es in erster Linie geht, eine große
Verunsicherung zu spüren. „Es ist nicht zu
übersehen, dass unter den Patienten noch viel
Verwirrung herrscht“, findet Erik Bodendieck,
Vorsitzender des Ausschusses für Telematik
bei der Bundesärztekammer (BÄK). Das
könne er zu einem Teil nachempfinden, sagt
der 53-Jährige, der hauptberuflich in Wurzen
als niedergelassener Hausarzt, Diabetologe,
Sucht- und Palliativmediziner tätig ist. Aber
er ergänzt: „Wirklich in der Sache gerechtfer-
tigt ist diese Skepsis nicht. Die digitale Akte
wird für Patienten und Ärzte viele Vorteile
bringen.“ Vor allen Dingen werde sie die
Behandlung erleichtern und verbessern.


Klar ist: Die Digitalisierung macht auch und
gerade vor der medizinischen Versorgung
keinen Halt. Die elektronische Patientenakte
spielt dabei eine zentrale Rolle, da sie die
fall- und einrichtungsübergreifende Do-
kumentation medizinischer Behandlungen
ermöglicht. „Nach den Vorstellungen der
Ärzteschaft gehören Befunde, Diagnosen,
Röntgenbilder und Ähnliches in die Akte.“
Dadurch, dass Ärzte direkt auf die für die
Behandlung relevanten Informationen zu-
greifen können, soll eine konsistentere und
reibungslosere Versorgung möglich werden.
„Schon heute fragen mich viele Patienten,
warum ich nicht einfach einen Blick in die
Befunde eines anderen Arztes oder eines
Krankenhauses werfen kann, in dem sie
behandelt wurden“, so Bodendieck.


Eigentlich hat Erik Bodendieck einige Hobbys wie
Joggen, Lesen, Reisen oder auch mal mit dem Rad
einfach durch die Gegend fahren. Doch der 53-Jährige,
Sohn eines Arztes und einer Physiotherapeutin, hat
dafür schlicht keine Zeit. Sein Beruf als Arzt und
zahlreiche Ehrenämter rauben ihm fast jede freie Minute.

FAKTEN


„Die digitale Akte wird für Patienten und „Die digitale Akte wird für Patienten und


Ärzte viele Vorteile bringen.“


Was hat man sich unter der Idee
des Smart Hospital vorzustellen?
Das Smart Hospital ist eine
intelligente Steuerungsplattform,
die sich auf den Menschen fokus-
siert – als Patient, als Angehöri-
ger und als Mitarbeiter. Durch die
Digitalisierung verbessern wir die
gesundheitliche Versorgung für
den Menschen, indem das Smart
Hospital ihm schon vor einer
Krankenhauseinweisung dient
und bis weit danach unterstützt.
Gleichzeitig entlasten wir unsere
Mitarbeiter von zeitraubenden
Tätigkeiten. Es bedeutet also ge-
rade nicht die Entmenschlichung
durch Digitalisierung, wie von
vielen befürchtet. Vielmehr nutzen vielen befürchtet. Vielmehr nutzen
wir diese für mehr Behandlungs-
qualität und somit für eine Huma-
nisierung der Medizin.

Gibt es schon konkrete Umset-
zungen?
In der Radiologie arbeiten wir
mit lernenden Algorithmen, um
Lungenerkrankungen besser
zu diagnostizieren oder das
Knochenalter zu bestimmen. Ein
anderes Beispiel ist der Einsatz
des Da-Vinci-Operationsroboters.
Eingriffe sind für unsere Ärzte nun Eingriffe sind für unsere Ärzte nun
weniger anstrengend und für die
Patienten noch präziser.

SMART HOSPITAL
STELLT MENSCHEN
IN DEN MITTELPUNKT

Die Bundesregierung plant aber auch, dass
Abrechnungsdaten der Krankenkassen in
der Akte abgespeichert werden – eine Idee,
die Bodendieck strikt ablehnt. „Abrech-
nungsdaten sind in der Regel nicht aktuell
und geben keinen Einblick in den Gesund-
heitszustand eines Patienten. Sie sind daher
für die Behandlung irrelevant und haben in
einer elektronischen Patientenakte nichts zu
suchen.“ Richtig findet der Experte der BÄK
dagegen, dass Patienten die Möglichkeit ha-
ben sollen, eigene Informationen in die Akte
einzuspeisen. Das könne viele Vorgänge er-
heblich erleichtern. Wenn beispielsweise ein
Diabetes-Patient mit Hilfe einer Smartpho-
ne-App ein Diabetes-Tagebuch führe, müsse
er bisher die Daten ausdrucken und zum
erneuten Erfassen in die Arztpraxis bringen.
In Zukunft werde es möglich sein, die Daten
per Knopfdruck aus der App in die elektro-
nische Patientenakte zu übertragen.

Allerdings wird der behandelnde Arzt nicht
davon ausgehen können, dass er immer
die vollständige Patientenakte vor sich hat.
Denn nach den Vorstellungen des Bundes-
gesundheitsministeriums soll der Patient
darüber entscheiden, wer auf welche Daten
zugreifen kann. So könnte er beispielswei-
se die Einträge über eine psychiatrische
Behandlung vor seinem Urologen verbergen.
„Der Patient muss im Mittelpunkt stehen.
Deshalb muss er Herr über seine Daten sein“,
stellt Bodendieck klar.

Grundsätzlich solle der Hausarzt als kompe-
tenter Ansprechpartner und Begleiter vor
allem multimorbider Patientinnen und Pati-
enten den Überblick über alle Daten haben


  • bei Fachärzten werde das auch durchaus
    anders sein können. Auch wenn die elekt-


ronische Patientenakte die Abläufe deutlich
vereinfachen soll, rechnet Bodendieck zu-
mindest in der Einführungsphase mit einem
Mehraufwand für die Ärzte, vor allem durch
den gesteigerten Beratungsbedarf der Pati-
enten. Doch das werde sich bald legen. Ein
Problem sieht Bodendieck allerdings noch
nicht gelöst: die finanzielle Mehrbelastung
für die Ärzte, zum Beispiel durch Investitio-
nen in die Sicherheit der IT-Systeme.

Die elektronische Patientenakte ist, so glaubt
der BÄK-Experte, lediglich ein Vorge-
schmack auf die digitale Zukunft. „Künst-
liche Intelligenz und lernende Systeme
werden immer mehr an Bedeutung gewin-
nen.“ Er begrüßt diese Entwicklung, denn
sie bietet nach seiner Überzeugung ein
enormes Potenzial, etwa bei der Entwicklung
personalisierter Therapien oder der Früher-
kennung von Krankheiten. Allerdings gebe
es noch eine Reihe von Problemen zu lösen.
Das gelte vor allem für die ethischen Fragen,
die die Digitalisierung aufwirft. Eins aber
ist in Bodendiecks Augen auch sicher: „Die
Interaktion von Mensch zu Mensch wird
immer entscheidend bleiben.“

Text: Armin Fuhrer

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Ein Interview mit Professor Jochen A. Wer-
ner, Ärztlicher Direktor und Vorstandsvor-
sitzender des Universitätsklinikums Essen,
das auf dem Weg zum Smart Hospital ist.

Foto: Frank Lothar Lange

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