Frankfurter Allgemeine Zeitung - 30.10.2019

(Joyce) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Medien MITTWOCH, 30. OKTOBER 2019·NR. 252·SEITE 13


Deutschland war noch nie ein Einheits-
land. Dafür sorgte schon die konfessionelle
Spaltung, die das Land entscheidend präg-
te. Dazu kam der Föderalismus. Als 1989
die Mauer fiel, versuchten die neu entste-
henden Bundesländer, an ihre alten Tradi-
tionen anzuknüpfen. Den Sachsen fiel das
leichter als den Nachbarn in Sachsen-An-
halt. Je besser es gelang, umso weniger
spielte die untergegangene DDR noch eine
Rolle. Eine junge Generation wuchs heran,
die wirtschaftliche Situation verbesserte


sich. Der Satz von der „Mauer in den Köp-
fen“ geriet allmählich in Vergessenheit.
Heute muss man schon um die fünfzig
sein, um die deutsche Teilung als prägende
biographische Erfahrung zu verstehen. Die
Filmemacherin Birgit Wärnke ist Jahrgang
1979 und gebürtige Brandenburgerin, so
sagt sie es in ihrem Film „Einheitsland –
Oder doch nicht?“ Sie nennt sich nicht ge-
bürtige „DDR-Bürgerin“, obwohl sie dort
eine „glückliche Kindheit“ verbrachte. Ihre
Biographie ist geprägt von den Umbruch-
jahren. Nach der Schule der Umzug nach
Hamburg zum Studium. Ende der Neunzi-
ger galt die Herkunft aus den neuen Län-
dern noch als Makel, deshalb bemühte sie
sich, „den Wessie zu adaptieren“. Vor die-
sem Hintergrund entstand der Film. Die
Autorin porträtiert Menschen ihrer Eltern-
generation: einen Campingplatz-Betreiber

auf Rügen oder einen früheren Manager ei-
nes DDR-Betriebs, der im Westen Karriere
machte; ihre Lehrerin aus Brandenburg
und einen vom Westen freigekauften politi-
schen Gefangenen, der nach der Wende
auf Usedom ein Hotel übernahm. Es wird
deutlich, was diese Generation bis heute
prägt. Die Lehrerin schildert ihre Hoffnun-
gen und Ängste aus der Wendezeit. Wie sie
als früheres SED-Mitglied damit mehr ver-
band als die Übernahme des westlichen
Modells. Ganz anders die Erfahrung des
freigekauften Usedomer Hoteliers. Für ihn
war die Ankunft im Westen die Befreiung.
Das ist interessant, beantwortet aber die
Ausgangsfrage der Autorin nicht: „Irgendet-
was“ habe sich zwischen West und Ost
„wieder auseinander entwickelt“
Die Antwort bekommen die Zuschauer
gegen Ende des Films. Der Hotelier ist ein

„Wendegewinner“, darin sind er und die
Autorin sich einig. Sie streift mit ihm
durch seinen 250 Hektar großen Wald
und blickt durchs Fernglas. Dabei schlei-
chen beide um den heißen Brei herum. Es
geht um die Bedeutung von Tradition, es
geht um Befürchtungen wegen der Ein-
wanderung „kulturfremder Menschen“.
Das sei „AfD-Sprech“, sagt sie. Der Hote-
lier ist Mitglied der AfD. Endlich ausge-
sprochen, dominieren die Schlagworte.
Sie nennt die AfD eine in Teilen „homo-
phobe, rassistische und rechte Partei“. Er
will sich mit solchen „politisch-korrekten
und propagandistischen Argumenten gar
nicht erst auseinandersetzen“. Hier gera-
ten Weltbilder aneinander, wobei es im
Grunde nur um einen Punkt geht: den po-
litischen Großkonflikt um die Migrations-
politik, der nichts mit der DDR oder dem

alten Westdeutschland zu tun hat. Mit
identischen Biographien kann man die
Entwicklung kontrovers beurteilen. Weil
das im linksliberalen Milieu der Autorin
nicht akzeptiert wird, sucht man nach Er-
klärungen. Warum es Menschen gibt, die
etwas anders sehen als sie selbst, und im
Osten noch mehr als im Westen. So wur-
de wieder Thema, was vor fünf Jahren
fast als überwunden galt: die Spaltung zwi-
schen Ost und West. Die Autorin gibt sich
am Schluss versöhnlich und plädiert für
das „Akzeptieren unterschiedlicher Sicht-
weisen“. Es stellt sich nur die Frage, was
akzeptiert wird und wer damit seine Pro-
bleme hat. Ein Einheitsland war Deutsch-
land nie. Der Film von Birgit Wärnke
lohnt sich. FRANK LÜBBERDING
Einheitsland – Oder doch nicht? läuft heute Abend
um 21 Uhr im NDR Fernsehen.

I

hre Haltung ist ebenso unmissver-
ständlich wie der Ernst ihres Anlie-
gens: „Wir sind stolz, hier zu arbeiten.“
So beginnt ein Brief an Mark Zucker-
berg und seine Chefetage, der in den
vergangenen zwei Wochen im firmen-
internen Kommunikationsprogramm
„Facebook Workplace“ des größten so-
zialen Netzwerks zu finden war. Mehr
als zweihundertfünfzig Mitarbeiter, be-
richtet die „New York Times“, sollen
den Brief unterzeichnet und — nach der
Versicherung ihrer Verbundenheit mit
dem Unternehmen — deutliche Kritik
geäußert haben. Verglichen mit der Di-
mension, die Proteste bei anderen IT-
Giganten wie Amazon oder Google an-
genommen haben, mutet die Zahl bei
etwa fünfunddreißigtausend Beschäf-
tigten gering an. Aber hier geht es
nicht um die Verbesserung von Arbeits-
bedingungen oder den Umgang des Un-
ternehmens mit Vorwürfen sexueller
Belästigung, sondern um ein Anliegen,
das nach Ansicht der Unterzeichner öf-
fentlich gemacht werden muss, „bevor
es zu spät ist“. Schließlich nennen die
Unterzeichner Facebook „ihr Unter-
nehmen“ und sind stolz darauf, für
eine Plattform zu arbeiten, die viel da-
für getan hat, Menschen Gehör zu ver-
schaffen. Es geht ihnen um den Um-
gang Facebooks mit der Werbung von
Politikern, in der Lügen verbreitet wer-
den. So etwas erlaube ihnen, „unsere
Plattform als Waffe einzusetzen, in-
dem sie auf Leute zielen, die glauben,
von Politikern veröffentlichte Inhalte
seien vertrauenswürdig“. Vor knapp
zwei Wochen hatte Mark Zuckerberg
bei einem Auftritt in der Georgetown-
Universität verteidigt, Politikern das
Plazieren irreführender Werbung zu ge-
statten, nachdem der amerikanische
Präsident Donald Trump in einer sol-
chen Werbebotschaft auf Facebook sei-
nen möglichen Herausforderer bei der
Wahl im kommenden Jahr, den demo-
kratischen Politiker Joe Biden, ohne
jede Grundlage der Korruption bezich-
tigt hatte. Mitte September hatte
Trump Zuckerberg im Oval Office emp-
fangen, in einer Zeit, in der Facebook
wegen möglicher Kartellrechtsverstö-
ße ebenso im politischen Fokus stand
wie wegen angeblicher Voreingenom-
menheit konservativen Inhalten gegen-
über. Trump hatte das Treffen anschlie-
ßend auf Twitter „gut“ genannt. Jetzt
schlagen die Facebook-Mitarbeiter für
politische Werbung vor, gleiche Vorga-
ben wie für andere Werbung gelten zu
lassen, sie klar zu kennzeichnen, das
Tracking der Nutzer einzuschränken
und eine Höchstgrenze für ihre Aus-
spielung festzulegen. Ihr Brief endet so
unmissverständlich, wie er beginnt:
„Noch ist dies unser Unternehmen“,
schreiben sie — in einer Zeit, in der sich
viele Nutzer von Facebook abwenden,
weil es nicht mehr ihr soziales Netz-
werk ist. kue

In Ihrem neuen Spiel „Death Stranding“
stapft ein bärtiger Mann namens Sam,
modelliert nach dem Star der Serie „Fear
the Walking Dead“, Norman Reedus,
durch rauhes Gelände. Er liefert Dinge
von Ort zu Ort. Er muss auf den Zustand
seiner Schuhe achten, auf das Gewicht sei-
ner Lasten, auf zeitverschlingenden Re-
gen, auf in der Luft schwebende Schatten,
ein Baby und die eigene Balance. Sie ha-
ben mal gesagt, Sie wollten den Menschen
etwas geben, indem Sie Spiele erschaffen.
Was gibt dieses Spiel den Menschen?


Videospiele sind nun über vierzig Jahre
alt. Sie verbinden die Welt über das Inter-
net. Und trotzdem dreschen die Leute vor-
nehmlich aufeinander ein oder verpassen
sich virtuelle Kopfschüsse. Sicher, das
kann Spaß machen, ich verstehe das.
Aber das kann es ja nicht gewesen sein.


Sondern?


Lassen Sie uns ein paar hundert Jahre in
der Zeit zurückgehen, als man noch durch
Briefe in Verbindung stand. Nehmen Sie
ein Paar in Kriegszeiten. Ein Soldat
schreibt aus dem Feld an seine Frau. Es gibt
keine Echtzeit-Fernkommunikation für die
beiden. Er weiß nicht, ob der Brief seine
Frau je erreicht. Aber er glaubt fest daran.
Sie bekommt den Brief vier Monate später.
Da ist er vielleicht schon tot. Das weiß sie
nicht. Es gibt eine Zeitverzögerung im Aus-
tausch. Doch beide erschaffen den Partner
im Denken, wenn sie schreiben, weil sie
nichts vom aktuellen Zustand ihres Part-
ners wissen. Es ist eine Kommunikation
zwischen zwei verschiedenen Zeiten, der
Vergangenheit mit der Gegenwart. Und ge-
nau das wollte ich in meinem Spiel in Kom-
bination mit dem Internet benutzen. Ich
wollte, dass die spielenden Menschen nicht
nur im Kampf oder im Wettstreit verbun-
den sind. Ich wollte, dass sie dieses Verbun-
densein anders erleben können.


Wie äußert sich das im Spiel?


Es gibt beispielsweise die Möglichkeit,
eine Leiter mit sich zu tragen. Sie hilft ei-
nem beim Überqueren von Flüssen. Man
stellt sie auf und balanciert hinüber. Man
denkt dabei erst mal an sich. Das liegt in
der Natur des Spiels. Man muss ja sehen,
wie man weiterkommt. Das Entscheidende
ist, dass nun andere Spieler, wenn sie mit
dem Internet verbunden sind, diese Leiter
benutzen können. An der Leiter wird der
Name des Spielers angezeigt, der sie hinter-
lassen hat. Wenn nun ein anderer kommt
und mit Hilfe der Leiter übersetzt, wird er
sich gegebenenfalls bedanken und ein
„Like“ hinterlassen. Viele werden kom-
men, viele werden sich bedanken. Das wird
demjenigen auffallen, der die Leiter aufge-
stellt hat. Von nun an wird er anders über
das Aufstellen von Leitern denken und viel-
leicht überlegen, wem er seinen Weg noch
erleichtern kann. Er wird anders spielen.


Sie wollen zur Solidarität erziehen?


Es kommt stark darauf an, was in einem
Spiel belohnt wird. Das Miteinander oder
das Gegeneinander. Wichtiger ist: Auch
wenn der Spieler auf den ersten Blick auf
sich allein gestellt ist, gibt es diese Art ver-
setzter Kommunikation mit anderen. Es
ist meine Verbeugung vor einer Zeit, in der
man auf diese Weise miteinander kommu-
nizieren musste. Hier ist dieses Miteinan-
der dann auch zu einem gewissen Teil un-
abhängig von Sprache und Herkunft.


Es klingt nach einer Art virtuellem Gar-
ten mit Gärtnern, die durch ihr räumli-
ches und zeitliches Versetztsein unsicht-
bar füreinander sind. Aber durch das
Bündeln der singulären Anstrengungen
wächst er zu einem großen Ganzen.


Nein. Was sich verändert, ist ja nicht
die Umgebung, sondern sind die Verbin-
dungen der Einzelnen. Es geht um die Er-
kenntnis, dass es, obwohl man auf sich al-
lein gestellt ist, viele Mitstreiter gibt, die
ähnliche Probleme haben. Man kann da-
durch ahnen, wo so etwas wie Gesell-
schaft beginnt. Aber ich will es auch nicht
überhöhen, ich will, dass die Menschen
spielen und „Likes“ bekommen.


Wenn man die ersten Kapitel spielt,
stellt sich ein Gefühl der Einsamkeit ein.
Ein anderer großer japanischer Entwick-
ler, Fumito Ueda, schöpft daraus und
aus der Verbindung zweier Figuren eben-
falls bewegende Spielmomente. Würden
Sie sagen, diese Einsamkeit ist ein ent-
scheidendes Element der japanischen
Art und Weise, Videospiele zu denken?


Ich glaube nicht, dass es etwas speziell
Japanisches ist. Vielleicht ist Herr Ueda
einfach nur genau so einsam wie ich. Ich
leide seit jeher sehr schnell unter Einsam-
keit, darum habe ich angefangen, Dinge
zu erschaffen.


Muss man diese Einsamkeit in sich tra-
gen, um diese Art von Spielen auf einer
weiteren Ebene zu verstehen?


Zunächst wirkt es, als müsse man die
Welt von „Death Stranding“ ganz allein
retten, keiner hilft dir. Sam ist anfangs
auch nicht motiviert. Er tut es eher aus


Pflichtgefühl und wird nur von seinem
„Bridge-Baby“ begleitet, zu dem er keine
Beziehung aufbauen darf, weil es nur ein
Werkzeug zum Aufspüren des Unsichtba-
ren ist, so wie ein Kanarienvogel im Berg-
werk. Ein Teil der Angst, die das Spiel ent-
facht, entspringt dieser Einsamkeit. So ist
es ja auch manchmal im wahren Leben.
Man denkt: Ich bin allein, ich habe keine
wirklichen Freunde, wie soll ich bloß wei-
termachen? Mit einem ähnlichen Gefühl
werden manche Leute auch spielen. Doch
dann werden sie Schritt für Schritt erken-
nen, wie viele andere die Einsamkeit des
Spiels und dessen Mühen mit ihnen tei-
len. Auf diese Weise werden das Fremde
und Unbekannte miteinander verbunden.

Wann hatten Sie diese Erkenntnis?
Ich war schon früh ein ziemlicher Nerd.
Ich liebte Filme, Bücher, Science-Fiction
und Games. Doch ich hatte niemanden
um mich, mit dem ich all das teilen konn-
te. Dann ging ich zum ersten Mal zur Co-
mic-Messe „Comic Con“. Plötzlich waren
da nur Leute wie ich, und ich dachte:
Schau an, ich bin doch nicht so allein.

Was muss ein Videospiel eigentlich heut-
zutage können?
Ein Videospiel wird geschaffen, um
von jemandem erlebt zu werden. Es soll
unterhalten. Der Unterschied zu anderen
Künsten ist sein Grad an Interaktivität.
Ich hoffe und sehe, dass man unsere Spie-
le künftig nicht nur einfach so wegspielt,
während man sich von der Geschichte be-
rieseln lässt, sondern dass Interaktivität
bedeutet, sich das Medium zu eigen zu ma-
chen, selbst mit Hilfe des Spiels kreativ zu
werden und etwas zu erschaffen. Wenn
das gelingt, wäre es gut.

Die Leute sollen ihren Teil zum Ganzen
beitragen, damit es wächst.
Immer wenn ich Filme sah, Romane las
oder Musik hörte, wollte ich das auch ma-
chen, es erweitern, neu formen. Meine
Spiele enthalten all diese Werke. Sie sind
sehr sichtbar. Wenn ich ein Spiel ankündi-
ge, entwickele und in die Welt entlasse,
dann ist all das auch Teil all dieser oft ver-

gangenen kreativen Prozesse anderer. Mit
guten Spielen ist es genauso: Sie werden
zur Wurzel eines kreativen Prozesses.
Nehmen sie Cosplay (A. d. R.: das auf-
wendige Nachschneidern von Kostümen
von Videospiel- oder Serienfiguren), das
kommt dieser Idee schon recht nahe.

„Death Stranding“ wurde unter Einsatz
von sozialen Medien mit enigmatischem
Videoschnipsel-Bombast angekündigt.
Es wirkt wie ein überdimensioniertes
Rätsel. Gibt es aus Entwickler-Perspekti-
ve eine finale Antwort darauf?
Klar, ich weiß, wohin es führen soll.
Aber es ist kein Programm, das Antwor-
ten generieren soll. Es ist wie Mathe. Oft
ist die Antwort nicht entscheidend, son-
dern der Weg dahin. Ich will, dass Men-
schen miteinander in Verbindung treten.
Ich sage nicht, was richtig oder falsch ist.
Auch das Spiel zeigt nicht vordergründig,
welche Verbindungen richtig oder falsch
sind. Es ist keine Klassenarbeit. Die Leu-
te sollen selbst denken, ausprobieren. Je
nachdem, was sie getan haben, wird das

Spiel ihnen die Konsequenzen ihrer Ent-
scheidungen auch langfristig vor Augen
führen. Bestenfalls können Spieler, die
diese Konsequenzen gespürt haben, die
Erfahrung in ihren Alltag integrieren.

Interaktivität wird stets als Schlüsselun-
terschied zu anderen Medien hervorgeho-
ben. Der Autor Steven Poole hat ange-
merkt, Interaktivität bei Spielen müsse
im übertragenen Sinne heißen, dass man
während des letzten Akts von Hamlet da-
zwischenrufen kann: „Achtung, der De-
gen ist vergiftet.“ Schon würde es eine
neue Geschichte werden, und in einer Er-
zählung würden Hunderte stecken. Wie
viele mögliche Geschichten stecken in
„Death Stranding“?
„Death Stranding“ ist nicht in diesem
Sinne interaktiv. In linearen Spielen gibt es
meist einen vorgezeichneten Weg, an be-
stimmten Stellen trifft man auf Endgegner.
Hundert Spieler spielen mehr oder minder
auf die gleiche Weise. „Death Stranding“
ist ein „Open World“-Spiel, in dem sich der
Spieler relativ frei bewegen kann. Das Ziel
ist immer, den besten, den eigenen Weg zu
finden. Man kann Berge erklimmen, Steil-
wände entlangklettern, Flüsse überqueren
oder ausgetrampelten Pfaden folgen. Über
Länge und Gefahren entscheidet der Spie-
ler. Das ist die Art von Interaktivität, die
das Spiel bietet. Es kann passieren, dass
man die Fußspuren eines anderen Spielers
auch in seiner Version sieht und ihnen
folgt. Oder aber man setzt seine eigenen
Schritte, denen dann andere folgen kön-
nen. Bei vielen Videospiel-Erzählungen
werden in letzter Zeit verschiedene Enden
angeboten. Das mag ich gar nicht. Ein Dra-
ma bedeutet ja, dass es eine Art Schicksal
gibt, einen Punkt, auf den die Geschichte
unabänderlich zuläuft. Genau das lässt uns
das Drama ja überhaupt erst fühlen.

Zurzeit beschäftigen sich vor allem Seri-
en in der hundertsten Abwandlung mit
dem Weltende und postapokalyptischen
Szenarien. In „Death Stranding“ ist die
globale Zerstörung nicht so sichtbar. Ich
frage mich aber: Fühlen wir uns auf eine
bizarre Art immer noch so sicher, dass

uns auch die hundertste Version des
Jüngsten Gerichts keine Angst macht,
obwohl es fünf vor zwölf ist?
Ich bin während des Kalten Krieges auf-
gewachsen. Amerika und Russland belau-
erten sich mit ihrem Nukleararsenal. Ich
war ein Kind und dachte, es werde irgend-
wann wirklich zu diesem gewaltigen Atom-
krieg kommen. Das machte mir große
Angst. Es wurde auch nicht besser durch
die ganzen Riesenmonster-Filme, die zu
dieser Zeit in Japan beliebt waren. Natür-
lich hat sich heute einiges geändert. Aber
diese Urangst vor etwas Gewaltigem, das
wir nicht unter Kontrolle haben, ist seit je
her die gleiche. Verstärkend kommt hinzu,
dass wir nicht wissen, wann und wie es so
weit sein wird. Es kann ein Meteoritenein-
schlag sein, es kann das politische System
sein, das kollabiert, oder ein Krieg, der aus-
bricht. Diese Angst begleitet uns alle.

Woher kommt die nicht enden wollende
Lust, sich das immer wieder anzusehen?
Es gibt im Großen wie im Kleinen das
Verlangen, den Status quo umzustürzen,
die Welt, wie sie ist, entzweizubrechen,
um sie neu erstehen zu lassen. Ich glaube,
das dieser Drang in jedem Menschen
wohnt, egal wie gut es ihm geht. Das ist
ein Grund, warum die Erzählung des gro-
ßen Untergangs immer noch attraktiver
ist als die der Erlösung.

Ich würde mir zwischendurch schon ab
und an etwas Erbauliches wünschen.
Als ich Kind war, waren die Unter-
gangsphantasien andere: eine Invasion
von Außerirdischen, die finale Bombe, so
etwas. In heutigen Stoffen geschieht der
Umsturz plötzlich und oft ohne erkennba-
ren Grund – fast beiläufig. In „Fear the
Walking Dead“ müssen die Menschen in
einer Welt voller Zombies zurechtkom-
men. Der Drang zu zerstören kann sich
hier nur limitiert entfalten, weil die Ver-
bliebenen ums Überleben kämpfen müs-
sen. Der Mensch hat es nicht mehr in der
Hand. Die Zerstörung ist ihm abgenom-
men worden. Das ist ein Unterschied. Das
große Aufbäumen, das Zurückschlagen
finden hier nicht mehr statt. Es gilt zu ler-
nen, mit der neuen Welt zu leben. Ihnen
wird auffallen, dass es in „Death Stran-
ding“ nicht aussieht wie in „Mad Max“,
eher wie auf Island. Ich wollte nicht, dass
die Menschen sich unwohl fühlen in einer
Umgebung, der man schon ansieht, dass
es hier stets um Leben und Tod geht. Ich
wollte eine neugeborene Erde zeigen und
die Möglichkeiten ihrer Schönheit.

Etwas, das bei alten Medien längst nicht
mehr auf diese Art debattiert wird, beim
Diskutieren über Videospiele aber stets
noch mitschwingt, ist der leistungsgesell-
schaftliche Aspekt ihrer Nützlichkeit.
Müssen Videospiele nützlich sein?
Nun es gibt solche, die nützlich sind,
und solche, die es weniger sind. Das ist in
vielen Künsten der Fall. Und immer
hängt es vom Künstler ab. Aber wäre alles
nur noch nützlich, wäre es zum Fürchten.
Es muss eine Balance geben.

Sie sagten einst, ein Grund, warum Ja-
pan eine herausragende Videospielkul-
tur habe, sei, was man bei Ihnen „Omo-
tenashi“ nennt. Man könnte es mit einer
Art alltäglicher, professioneller und mit-
denkender Gastfreundschaft übersetzen.
Können Sie das einmal erklären?
Ehrlich gesagt, laufen uns andere Län-
der darin gerade den Rang ab. Aber: Einst
kam die Nintendo-Spielkonsole aus Ja-
pan und verbreitete sich weltweit. Und
die jungen Spieler verstanden den Geist
von „Omotenashi“ zu der Zeit durch die
Spiele auf der Konsole.

Ich fürchte, die Leser haben jetzt noch
immer keine rechte Vorstellung davon.
Verstehe. Also ein Beispiel. In Japan ge-
hen sie essen und brauchen kein Trink-
geld zu geben. Diese Kultur gibt es bei
uns nicht. In Japan wird man von Kindes-
beinen an im Geist des Omotenashi erzo-
gen. Das heißt, man gerät bestenfalls
nicht in die Situation, nur etwas zu erhal-
ten oder Höflichkeit zu erfahren, weil
man etwas dafür gibt. Das ist ein wesentli-
cher Unterschied zwischen Amerika und
Japan. Auch Videospiele gehören zur
Dienstleistungsindustrie. Wenn dem Spie-
ler also etwas nicht gefällt, dann sollte
der Entwickler versuchen, ihm zu helfen.
In diesem Geist hat man uns zumindest er-
zogen. Eine Zeitlang hat das in Sachen Zu-
gänglichkeit von Spielen in Japan gut
funktioniert. Doch mittlerweile hat der
Westen das auch verstanden, weil die Ent-
wickler mit japanischen Spielen aufge-
wachsen sind. Unseren jüngeren Entwick-
lern scheint das Gefühl für Omotenashi
allerdings zu fehlen.
Also geht es darum, den Spieler willkom-
men zu heißen, ohne daran zu denken,
was der Spieler für einen tut.
Genau. Und jetzt amüsieren Sie sich
mit „Death Stranding“. Obwohl, es wird
hart werden. Es ist, wie den Fuji zu bestei-
gen.
Das Gespräch führte Axel Weidemann.

Der Saarländische Rundfunk (SR) hat
dasWirtschaftsplanjahr 2018 mit ei-
nem Überschuss im Finanzplan von 1,
Millionen Euro abgeschlossen. Aufwen-
dungen von 124,2 Millionen Euro stan-
den Erträgen in Höhe von 127,6 Millio-
nen Euro gegenüber. Das teilte der SR
am Montag mit. Das Ergebnis sei auf-
grund weiterer Einsparungen möglich
gewesen. Der Verzicht auf die Produkti-
on eines SR-Tatortes und die Umset-
zung des bereits 2017 initiierten Zehn-
Punkte-Sparprogramms seien für das
SR-Publikum und die Mitarbeiterschaft
bitter, sagte Intendant Thomas Kleist.
Die Beitragseinnahmen im Saarland sei-
en weiterhin unterdurchschnittlich.
Nach den Ergebnissen des aktuellen Ver-
fahrens der Kommission zur Ermittlung
des Finanzbedarfs der Rundfunkanstal-
ten (KEF) seien weitere Einschnitte zu
befürchten, betonte Kleist. epd/F.A.Z.

Ein Gespräch mit dem Spieleentwickler Hideo Kojima
Bevor es zu spät ist

Facebook-Mitarbeiter fordern
Vorgaben für politische Werbung

Foto Picture Alliance


Hideo Kojima wird 1963 in Tokio
geboren. Er wächst in Kobe auf,
wo er früh beginnt, Kurzgeschich-
ten zu schreiben und Acht-Milli-
meter-Filme zu drehen. Eigentlich
will er Regisseur werden, bewirbt
sich dann aber 1986 bei der japa-
nischen Spieleschmiede „Kona-
mi“. Ein Jahr später bringt er das
erste Spiel jener Reihe heraus, die
ihn später weltberühmt machen
sollte: „Metal Gear“. 2011 wird er
Vizepräsident von „Konami“,
2015 überwirft er sich mit dessen
Führung und scheidet aus dem Un-
ternehmen aus. Kurz darauf grün-
det er sein eigenes Studio „Kojima
Productions“. Vier Jahre lang ar-
beiten er und sein Team an „De-
ath Stranding“. Am 8. November
kommt es auf den Markt. F.A.Z.

Die Macher der Serie „Game of Thro-
nes“ haben ein geplantes „Star Wars“
-Projekt für den Streamingdienst Net-
flix überraschend abgesagt. Als Grund
nannten sie amerikanischen Medien ih-
ren vollen Terminkalender. Die Dreh-
buchautoren David Benioff und Daniel
B. Weiss hatten vor wenigen Monaten
einen Deal mit Netflix an Land gezo-
gen. In einem Statement der beiden, aus
dem mehrere Medien am Dienstag zi-
tierten, hieß es: „Wir lieben Star Wars.“
Die Filme von George Lucas hätten ihr
Leben geformt. „Wir werden uns dieser
Saga, die alles verändert hat, immer ver-
pflichtet fühlen.“ Im Februar 2018 hat-
ten die Studios Lucasfilm und Disney
eine neue Trilogie der Sternenkrieger-
Saga angekündigt, unabhängig von der
Geschichte um Luke Skywalker. Be-
nioff und Weiss sollten auch dafür neue
Figuren und Welten erschaffen. Die bei-
den hatten für die Fantasy-Saga „Game
of Thrones“ in den vergangenen Jahren
mehrere Emmys gewonnen. Im Dezem-
ber kommt der insgesamt neunte Film
aus dem „Star Wars“-Universum, „Der
Aufstieg Skywalkers“, in die Kinos, der
die dritte Trilogie abschließt. Mehrere
Ableger sind bereits geplant, darunter
auch Serien auf dem neuen Disney-
Streamingdienst. dpa/F.A.Z.

Bittere Einsparung
SR befürchtet weitere Einschnitte

Schau an, ich bin

doch nicht so allein

Seine Spiele sollen großes Kino sein: Ursprünglich wollte der Entwickler Hideo Kojima Filmregisseur werden.


Keine Einheit!


Ein NDR-Film fragt nach


Gegensätzen in Ost und West


„Star Wars“-Serie
Weiss und Benioff gehen von Bord

Für die Videospielszene ist Hideo Kojima so etwas wie die


Mischung aus Spielberg und Coppola. Fans warteten Jahre auf


sein neuesWerk „Death Stranding“.Hier spricht er über Urängste,


Einsamkeit – und warum er keine multiplen Enden mag.

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