Neue Zürcher Zeitung - 08.11.2019

(Steven Felgate) #1

28 SCHWEIZ Freitag, 8.November 2019


INTERNATIONALE AUSGABE


Bombardier rührt die Werbetrommel für den Pannenzug


Der Fernverkehrszug Dosto ist laut dem Hersteller inzwischen zuverlässiger und pünktlicher unterwegs


DAVID VONPLON


Elf Monate ist es her, seit die SBB den
neuenFernverkehrszug namens Dosto
auf ihrem Schienennetz eingeführt
haben.Was folgte, war eine fast endlose
Serie vonPannen,Pech undPeinlic h-
keiten. Sobald es den Anschein hatte,
als ob der Problemzug nun endlich bes-
ser inFahrt käme, folgte jeweils der
nächsteRückschlag. Noch im Septem-
ber zeigte sich, dass die Zuverlässigkeit
des Doppelstöckers trotz anderslauten-
den Ankündigungen der SBBauf tie-
fem Niveauver harrte.


Störungsursachen eliminiert


Nun jedoch sollen dieFortschritte des
vermeintlichen Flaggschiffs der SBB-
Flotte tatsächlich nachhaltig sein.Das
zumindest betonte dieFührungscrew
des Herstellers Bombardier Schweiz
am Mittwoch in Zürich. «Der Dosto
ist zwarkeine eierlegendeWollmilch-
sau.Aber er istein sehr flexibler und
innovativer Zug», sagte der Geschäfts-
führer StéphaneWettstein. Man habe
in den letztenWochen und Monaten
alles unternommen, um die zahlreichen


Mängel des Zuges zu beheben. Mittler-
weile sei vielerreicht. 75 Prozentder
technischen Störungsursachen seien eli-
miniert worden. Sowohl die Zuverläs-
sigkeit der Züge, welche der SBB der-
zeit zurVerfügungstehen, wie auch die
Pünktlichkeit und derFahrkomfort hät-
tengesteigertwerdenkönnen.
Im Schienenverkehr wird die tech-
nische Zuverlässigkeit der einzelnen
Zugtypen jeweils anhand der zurück-
gelegten mittleren Distanzzwischen
zwei Störungen gemessen. Noch im
Dezember vergangenenJahres lag die-
ser Wert beim Dosto unter 1000 Kilo-
metern. Mittlerweilehat sichdie Be-
triebsstabilität um denFaktor sieben
verbessert, die entsprechende Marke
lag im Oktober bei knapp 7000 Kilo-
metern. Gegenüber demVormonat ver-
doppelte sich derWert beinahe. Da-
bei war laut Bombardier gut ein Drit-
tel der Störungsereignisse nicht durch
das Fahrzeugbedingt.
Der Aufwärtstrend in Sachen Zuver-
lässigkeit beim Dosto hinkt allerdings
immer noch hinter der ursprünglichen
Vorgabe der SBB her:Das Bahnunter-
nehmen hatte ursprünglich geplant,den
neuen Doppelstöcker bis Ende Jahr

uneingeschränkt im Intercity-Verkehr
einzusetzen. Dies allerdings hätte eine
mittlere störungsfreie Distanz von 8000
Kilometern vorausgesetzt – dieses Ziel
wurde verfehlt.Auch zeigt sich,dass an-
dereZugtypen wie der IC2000 nach
wie vor deutlich bessereWerte haben.
DerDurchschnitt des gesamtenPerso-
nenverkehrs der SBB liegt bei 11 000
Kilometern.
Der Bombardier-Chef Wettstein
rechnet damit, dass die Betriebsstabilität
im Frühjahr nächstenJahresgross genug
sein wird, damit der Dosto auch auf der
Paradestrecke St. Gallen–Genf (IC1)
zum Einsatzkommen kann. Bisher hat
Bombardier 25 Züge an die SBB ausge-
liefert. Dies entspricht laut Bombardier
der Planung der SBB für denFahrplan-
wechsel 2019.Bis imJuni 2021solldie
gesamte Flotte dann gemäss Lieferplan
auf insgesamt 62 Züge erweitert werden.
Wettstein betonte dabei, dass dieAus-
lieferungrechtzeitig erfolgen werde.
Weil der Dosto mittlerweile weni-
ger störungsanfällig ist, wirkt sich dies
auch positiv auf die Pünktlichkeit aus:
So kamen im Oktober im Einsatzgebiet
in der Nordwest-und in der Ostschweiz
97 P rozent der Zügerechtzeitig bezie-

hungsweise mit nicht mehr als drei
MinutenVerspätung an.Ausgewertet
wurden dabei sämtliche1800 Inter-
regio-und Intercity-Fahrten des Dosto.
Die Pünktlichkeit war damitauf diesen
Linien gar grösser alsanderswo. Laut
Bombardier kann der Dosto-Triebzug
dank einer guten BeschleunigungVer-
spätungen leichter aufholen.

Weniger Schwanken


Zum schlechtenRuf des Dosto trug
ebenfalls bei, dass es im Oberdeck des
Zuges stark rüttelte und schwankte.
VielenPassagieren wurde im «Schüt-
telzug» vor allem bei tiefen Geschwin-
digkeiten übel.Auch dieses Problem
soll nun dank einer im September
installierten Software weitgehend be-
hoben sein. «Heute ist das Schwanken
vergleichbar mit jenem in einem Dop-
pelstockzug desTyps IC2000», betont
Wettstein. DieReduktion der im obe-
renTeil des Zugs spürbaren Schwin-
gungen seiauch messbar.Wer trotzdem
auf Nummersicher gehen wolle, solle
im Unterdeck Platz nehmen.
Wettstein glaubt trotz der breiten
Kritik nach wie vor daran, dass aus

demPannenzug noch ein Erfolgspro-
jekt wird. Der Nutzen für die SBB
und diePassagiere werde über dreissig
Jahre gemessen und nicht über die Zeit
der Einführungsphase.Auch derRoll-
materialherstellerräumt allerdings ein,
dass man Lehrgeld habe bezahlen müs-
sen. Bombardier hat sich vorgenom-
men, in Zukunft offensiver zu infor-
mieren, und hat eineWebsite namens
swissdosto.ch lanciert. Unter dem Slo-
gan «Der Zug für die Schweiz»wer-
den auf der Site laufend aktualisierte
Informationen zur Einführung und zum
Betrieb des Zuges auf dem Schweizer
Schienennetz geliefert.

VersöhnlicheTöneder SBB


Auch die SBB schlagen auf Anfrage
versöhnlicheTöne an. «Die gemeinsam
erzieltenFortschritte sind erfreulich»,
sagt derKonzernsprecherReto Schärli.
Man wolle den Dosto auf der IC1-Stre-
cke von St. Gallen nach Genf einset-
zen, sobald genügend betriebstaugli-
che Fahrzeuge verfügbar seien.Einen
Terminkönne mangegenwärtig aller-
dings nicht nennen. Priorität habe die
Inbetriebsetzung der Flotte.

Firmengelder für Frauenfussball abgezweigt

Der langjährige Finanzchefvon Rimuss gibt vor Gericht zu, mit Geld aus der Firmenkasse den FC Neunkirch unterstützt zu haben


DANIEL MEIER, SCHAFFHAUSEN


Die Fussballerinnen des FC Neunkirch
aus dem Kanton Schaffhausen hatten
2017 für eine Sensationgeso rgt. Zu-
nächst gewannen die Spielerinnen des
Dorfklubs den Cup-Final gegen den FC
Zür ich, kurz daraufwurden sie Schwei-
zer Meisterinnen.Doch bald kamen
Zweifel an demFussballmärchen auf.
Fast zeitgleich mit demTriumph geriet
der Sportchef desTeams inVerdacht.
Bei seinem Arbeitgeber, der Firma
Rimuss, soll er hohe Summen abge-
zweigt und damit den steilenAufstieg
der Fussballerinnen finanziert haben.
Dies wird nun durch den zuständi-
gen StaatsanwaltRoland Flüeler voll-
umfänglich bestätigt. Der Prozess hat
am Mittwochmorgen am Kantons-
gericht Schaffhausenbegonnen. In der
Anklageschrift wirdBeat S. der mehr-
fachen ungetreuen Geschäftsbesorgung
mit Bereicherungsabsicht und Urkun-
denfälschung sowie der Anstiftung zu
Gehilfenschaft beschuldigt. Der Scha-
den zulasten der FirmaRimuss aus
Hallau (SH) wird mit 1,973 Millionen
Franken beziffert.


«Ich wusste, der Crashkommt»


Das Geld sei «grösstenteils für die erste
Frauenmannschaft des FC Neunkirch»
verwendet worden. Einen kleinenTeil
soll der Beschuldigte aber auch für
sich selbst und für seine Kindergenutzt
haben. Staatsanwalt Flüeler forderte
eineFreiheitsstrafe von dreiJahren und
sechs Monaten. DerVerteidiger plä-
dierte auf zweiJahre, was einen beding-
ten Strafvollzug ermöglichen würde. Das
Urteil wird amFreitagmorgen eröffnet.
Vor Gericht bestätigte der 58-jäh-
rige Angeklagtedie Vorwürfe weitest-
gehend. «Ich habe grosseFehler ge-
macht, und das bereue ich zutiefst»,
sagte er. Im Rückblick sei klar, dass
er bereits 2013 hätte den Stecker zie-
hen müssen. Doch dann seien die sport-
lichen Erfolge gekommen und dieEr-
wartungen gestiegen. Er habe immer
daran geglaubt, dass er alles zurück-
zah len könne. Noch wenige Monate,
bevor alles aufflog, führte BeatS. laut
eigenen Angaben Gespräche mit einem
Investor. Daraus wurde nichts. «Da
wusste ich, der Crashkommt. Ab dann
ging es mir besser.»
StaatsanwaltFlüeler zeichnete das
Bildeines Mannes, der versucht, immer
höhereFehlbeträge zu verstecken, wo-
bei derAufwand mit jedemJahr grösser


wird. Beat S. war fast dr eissigJahre lang
für den Getränkeproduzenten Rimuss
tätig, zuletzt alsFinanzchef und Ge-
schäftsleitungsmitglied.In dieserFunk-
tion hatte er weitreichende Befugnisse.
Laut Anklage begann der Beschuldigte
2011 damit, Geld zumFrauenteam des
FC Neunkirch umzuleiten. Dort war er
nebenamtlich zunächstals Trainer,spä-
ter als Sportchef tätig.

Kreditlimiteverdoppelt


Die Rimuss- undWeinkellereiRahm
AG,bekannt durch ihrenKindersekt,
war zwar Sponsor des FC Neunkirch.
Wie sich nun zeigt, zahlte dieFirma
aber weit mehr,als dieVerantwortlichen
wussten. Gemäss Staatsanwalt gelang es
dem Angeklagten, den Spielerinnen ver-
schiedene Leistungen aufFirmenkosten
zukommen zu lassen. Unter anderem
kam Rimuss für dieWohnungsmiete
und die Krankenkassenprämien von
Fussballerinnen auf. Zudem arbeiteten
einige derFrauenTeilzeit für Rimuss.

Ihnen seien mehr Arbeitsstunden be-
zahlt worden, als sie effektiv geleistet
hätten, schreibt die Anklage.
Bei seinen Machenschaften soll
der Angeklagte unter anderem einen
Kontokorrentkredit eingesetzt haben.
Laut Vereinbarung mit Rimuss wäre es
ihm erlaubt gewesen, in dessenRah-
men bis zu 100000 Franken für sei-
nen eigenen Bedarf zu beziehen. Doch
in derFolge soll diese Limite perma-
nent überschritten worden sein.Als
die Revisionsstelle von Rimuss 2012
offenbar kurz davorstand, dies zu ent-
decken, habe der Beschuldigte die Kre-
ditlimite verdoppelt – und die dazu not-
wendige Unterschrift desVerwaltungs-
ratspräsidenten in elektronischerForm
einkopiert.Auch dies bestätigte BeatS.
vor Gericht, er erklärte aber, dass so-
wohl dieRevisionsstelle als auch die
Geschäftsleitung den Stand auf dem
fraglichenKonto jederzeit hätten ein-
sehenkönnen.
Gemäss Darstellung des Staats-
anwalts wuchsen dieAusstände immer

weiter. So wurden für mehrere Rimuss-
Mitarbeiter zu vieleArbeitsstunden
verbucht. Die fiktiven Lohnzahlungen
lan dete n jedoch nicht bei den jewei-
ligen Angestellten, sondern auf dem
Konto des Beschuldigten. Beieinem
dieser Mitarbeiter handelte es sich um
seinen Sohn.Als im Herbst 20 14 der
Fehlbetrag auf gegen einehalbe Mil-
lionFranken angewachsen war, «ent-
schloss sich der Beschuldigte, gegen-
über Rimuss die vollständigeRück-
zahlung des Kredits vorzutäuschen»,
wie Staatsanwalt Flüeler vor Gericht
sagte. Konkret soll der Angeklagte
dreiDarlehensverträgegefälscht und
aufwendige Umbuchungen vorgenom-
men haben.

Doppelrolleeiner Spielerin


An dieser Stelle schreibt der Staats-
anwalt der Mitangeklagten KarinS., 32,
eine wichtigeRolle zu. Sie war Spiele-
rin des FC Neunkirch, ab 2011 arbeitete
sie in der Buchhaltung bei Rimuss.Sie

war BeatS. direkt unterstellt. Für die
Anklage steht fest, dass sie seit ihrem
Ste llen antritt übe r dieVorgängeBe-
scheid wusste. KarinS. soll insbeson-
dere mehrere Dokumente gefälscht
haben, um die Umbuchung derDarle-
hen zu vertuschen.Dabei habe sie ein
anderes Computerprogramm verwen-
det, um den Anschein zu erwecken, die
Buchungsbelege seien mit dem firmen-
internenSystem angefertigt worden.
KarinS. bestätigte vor Gericht, diese
Dokumente erstellt zu haben.«Aber
ich war inkeinen Plan eingeweiht.» Sie
habe lediglich ausgeführt, was der An-
geklagte ihr aufgetragen habe. BeatS.
stützte dieseDarstellung.Ausserihm
habe niemand Bescheid gewusst. Den
Staatsanwalt überzeugte das nicht:«Wie
kommt jemand dazu, Belege anzuferti-
gen, die etwas darstellen, das nicht wahr
ist?» Den KarinS. zuzurechnenden
Schaden beziffert er auf fast 1 Million
Franken. Gefordertwirdeine bedingte
Freiheitsstrafe von einemJahr. Der Ver-
teidiger plädierte aufFreispruch.
Nicht beantwortet wird in der An-
klage dieFrage, wie das Geld kon-
kret verwendet wurde. Offiziell be-
lief sich dasJahresbudget derFrauen-
abteilung des FC Neunkirch aufrund
70 000Franken. Im Kader des Teams
spielten zahlreicheTopspielerinnenaus
demAusland. Deshalb istdavon auszu-
gehen, dass die effektivenKosten weit
höher lagen.

Sich selbst gemeldet


Firmenintern hat BeatS. seinVerhal-
ten im März 2017 selbst gemeldet.Bald
darauf stellte ihn Rimuss frei under-
stattete Anzeige. Dennoch hielt der FC
Neunkirch zunächst am Sportchef sei-
ne s Frauenteams fest. Erst nach dem
Cup-Sieg und dem Meistertitel brach
der Betrieb zusammen. Das Team
wurde aus der höchsten Liga zurück-
gezogen.Wenige Monate späterver-
kaufte dieFamilieRahm dieTraditions-
firma Rimuss. Als einen der Gründe
nannte sie damals den Betrugsfall im
eigenenHaus.
Als Zivilklägerin fordert die einstige
Firma Rimuss vom Angeklagten Scha-
denersatz von gut 2 MillionenFranken.
BeatS. hat die Höhe derForderung an-
erkannt. Ob er dafür aufkommen kann,
ist offen. Mittlerweile ist er in den Kan-
ton Bern umgezogen, wo er eine Stelle
gefu nden hat und ein durchschnittliches
Einkommen erzielt. Gemäss eigenen
Angaben besitzterkein Vermögen.

Die Spielerinnen des FC Neunkirchbejubeln ihren Schweizer-Meister-Titel 2017 im Lipo-Parkin Schaffhausen. SIGGI BUCHER / KEYSTONE
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