WIRTSCHAFTWIRTSCHAFT E-MOBILITÄT
Foto: Dirk Bruniecki
62 FOCUS 45/2019
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TÄTI LI
(^) - SERIE
FOCUS
Das Karlsruher Start-up Ineratec baut Anlagen,
die Kohlendioxid in Sprit umwandeln
Prima Klima dank
CO 2 -Reaktoren?
J
ede Sekunde bläst die
Menschheit mehr als
1,3 Tonnen Kohlendi-
oxid in die Luft. Glet-
scher schmelzen, der
Meeresspiegel steigt.
Die Menschen pusten unver-
drossen Treibhausgas in die
Atmosphäre, während die Na-
tur mit der Synthese neuer
Rohstoffe nicht nachkommt.
Wie wäre es, wenn man den
Prozess einfach umkehrte und
Fabrikanlagen den Job von
Pflanzen übernähmen? Das
Karlsruher Start-up Ineratec
verspricht genau dies: die Syn-
these von Brennstoffen aus
Kohlendioxid. Die Produktion
neuer Rohstoffe anstelle um-
weltschädlichen Ressourcen-
verbrauchs.
Reaktoren in Containergröße
Das Kunstwort „Ineratec“ leitet
sich von „innovativer Reak-
tortechnologie“ ab. Gemeint
sind Anlagen, in denen CO 2
mit Wasserstoff zu langen
Kohlenstoffketten syntheti-
siert wird. Das Verfahren ist
im Prinzip nicht neu. Schon
in den 1930er-Jahren wurden
flüssige Kohlenwasserstoffe in
industriellem Maßstab nach
dem Fischer-Tropsch-Verfah-
ren hergestellt. Innovativ ist
der Einsatz von Ökostrom in kleinen Reak-
toren, die leicht transportiert werden kön-
nen und mit denen die Produktion dem
Bedarf optimal angepasst werden kann.
Am Ende der Synthese entsteht künst-
licher Sprit. Er lässt sich ohne Weiteres in
jeden herkömmlichen Autotank füllen.
Beim Fahren entsteht zwar CO 2. Aber
eben nur so viel, wie der Atmosphäre
vorher entzogen wurde. Wurde das Ben-
zin mit Ökostrom hergestellt, garantiert
es also Mobilität mit gutem Gewissen.
Gegründet wurde Ineratec 2016 als
Ableger des Karlsruher Instituts für
Technologie (KIT). 2018 kam der High-
tech-Gründerfonds mit einem Investment
im niedrigen Millionenbereich
dazu, erzählt der 29-jährige
Geschäftsführer Philipp Engel-
kamp. Der Fonds hält gut
neun Prozent an dem Unter-
nehmen, das KIT knapp zehn
Prozent. Große Finanzierungs-
runden waren bisher nicht nötig. „Uns
war es wichtig, dass wir von Anfang an
kundenbezogen arbeiten und Umsatz
machen“, sagt Engelkamp. Gut 50 Mit-
arbeiter zähle die Firma jetzt. „2025 wer-
den es deutlich über 500 sein.“
Sämtliche neun Reaktoren, die die
Ineratec-Mannschaft bisher baute,
sind Pilotprojekte, oder sie werden zu
Demonstrationszwecken genutzt. Nun
wird in Karlsruhe die erste Anlage für
den Einsatz im regulären Betrieb mon-
tiert. Den Namen des Kunden will Phi-
lipp Engelkamp nicht nennen. Er komme
aus der Luftverkehrsbranche. Denkbar
ist eine Airline, die herkömmlichem
Kerosin mit Ökostrom synthetisier-
ten Treibstoff beimischen will, um
die Kohlendioxidbilanz zu ver-
bessern.
Richtig abheben könnten die
Umsätze von Ineratec, sollte
Brüssel die sogenannten E-Fuels
als klimaneutralen Benzin-
ersatz anerkennen. Teile der
Autoindustrie hoffen auf eine
entsprechende Gesetzesän-
derung. Dann könnten die
Flottenverbräuche der Her-
steller unter die künftigen
EU-Grenzwerte sinken, selbst
wenn weiterhin herkömmli-
che Fahrzeuge mit Verbren-
nungsmotoren auf den Stra-
ßen fahren.
Aber noch sind entspre-
chende EU-Regelungen in
weiter Ferne. Momentan wer-
den juristische Gutachten er-
stellt, heißt es bei der Deut-
schen Energie-Agentur (Dena).
Denn es gibt viele Vorbe-
halte gegen die E-Fuels. Ihre
Energiebilanz ist ziemlich
bescheiden, haben die Fach-
leute der Denkfabrik Agora
Energiewende errechnet. Das
liegt vor allem an den Unmen-
gen Strom, die zur Synthese
eingesetzt werden müssen.
Ein mit synthetischem Sprit
fahrendes Auto benötige für
die gleiche Strecke indirekt
fünfmal so viel Strom wie
ein Elektroauto, sagen die
Experten.
Der Mix macht’s
„Wir sehen unsere Technolo-
gie nicht als Alternative zur
Elektromobilität“, wendet Engelkamp
ein. Für kurze Strecken seien batterie-
elektrische Pkws eine gute Lösung. Aber
selbst wenn in einigen Jahren jedes zwei-
te Auto mit Akku fahre, blieben immer
noch Millionen Autos mit Verbrennungs-
motor übrig. Für diese seien E-Fuels
genauso gut geeignet, ebenso für den
Flugverkehr.
Der Karlsruher Gründer berichtet von
Solaranlagen im Mittleren Osten und in
Südamerika, die eine Kilowattstunde
Strom für 1,6 bis zwei US-Cent bereit-
stellen könnten. Preise, bei denen der
Wirkungsgrad der E-Fuels keine große
Rolle mehr spielen dürfte.
Grüner Billigstrom aus der Wüste für
deutschen Bio-Sprit? Aus heutiger Sicht
eine gewagte Vorstellung. Aber womög-
lich irgendwann tatsächlich eine reale
Option. n
SUSANNE STEPHAN
Die Ineratec-Chefs
Paolo Piermartini,
Tim Böltken
und Philipp Engel-
kamp (v. l.)