KOLUMNE
FOCUS 45/2019 7
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Liegt im persönlichen
Verzicht die Rettung?
JAN FLEISCHHAUER Illustration von Michael Szyszka
Reporter wissen wollte, warum nahezu sämtliche Com-
putersimulationen das Stocken des globalen Temperatur-
anstiegs zwischen 1998 und 2013 nicht angemessen ab-
gebildet hätten. Shocking! „Ihre Frage ist falsch gestellt“,
fertigte der Chef der Weltorganisation für Meteorologie
den Mann ab, ohne dessen Frage zu beantworten. Jour-
nalisten würden von Klimaforschern gemeinhin als Leute
betrachtet, die das drucken, was man ihnen sagt, lautet
Bojanowskis Fazit.
Überall kann man jetzt lesen, dass sich nur durch eine
radikale Umstellung unserer Lebensgewohnheiten die
Klimakatastrophe verhindern lässt. Doch stimmt das? In
der Geschichte der Menschheit wurde jedenfalls bislang
noch keine Krise abgewendet, weil sich die Menschen am
Riemen rissen. Die protestantische Ethik mag am Erfolg
des Kapitalismus einen gehörigen Anteil haben, bei der
Korrektur seiner Fehler hat sie sich als ziemlich unge-
eignet erwiesen.
Ich habe den Dokumentar gebeten, mir einmal eine Auf-
stellung der größten CO 2 -Quellen herauszusuchen. Der
Verzicht auf den Mallorca-Flug und auf das regelmäßige
Steak sind sicher löbliche Entscheidungen. Der Klima-
rettungseffekt solcher individuellen Notfallpläne wird aller-
dings deutlich überschätzt.
Der Flugverkehr trägt mit etwa 2,5 Prozent zum CO 2 -
Ausstoß bei, Ackerbau und Viehzucht mit etwa sieben Pro-
zent. Es gibt gute Gründe, kein Tier aus Massenhaltung
zu essen – eine entscheidende Verbes serung der CO 2 -Bi-
lanz gehört eher nicht dazu. Die größten CO 2 -Emittenten
sind, in dieser Reihenfolge: die Energiewirtschaft (37 Pro-
zent), die Industrieproduktion (21 Prozent) und der Verkehr
(18 Prozent).
A
uch mit Blick auf die Lastenverteilung stellt sich
die Frage, ob im persönlichen Verzicht die Ret-
tung liegen kann. Es heißt immer, die Armen
seien die ersten Opfer der Klimakrise, aber ein
Einbruch der Weltwirtschaft würde sie noch vor dem stei-
genden Wasser treffen. Es gibt ernst zu nehmende Stim-
men, die dringend dazu raten, lieber die Investitionen
in die Erforschung grüner Technologie hochzufahren,
als den Wohlstandsmotor abzuwürgen. Studien zeigen,
dass man für jeden Dollar, den man in grüne For-
schung investiert, elf Dollar an klimawandelbedingten
Schäden einspart.
Für alle Technik-Skeptiker, die die Dinge lieber selbst
in die Hand nehmen, hätte ich auch einen Tipp, so ist
es nicht. In der „Frankfurter Allgemeinen“ fand sich
Anfang Oktober die Zuschrift eines Lesers aus Oberhau-
sen, der darauf hinwies, dass auf Gemälden niederlän-
discher Meister die Abgebildeten oft lange Mäntel tragen,
auch dann, wenn sie in Gebäuden und Wohnungen dar-
gestellt sind. „Die Kohlendioxidemissionen der privaten
Haushalte in Deutschland verursachen ein Sechstel aller
Kohlendioxidemissionen“, schrieb der Mann. „Diese
Emissionen könnten drastisch gesenkt werden, wenn wir
so heizen würden wie unsere Vorfahren. Ihr Beispiel zeigt,
dass man auch ohne Zentralheizung leben kann.“
Ein Leben ohne Heizung mag radikal erscheinen. Aber
was die private CO 2 -Bilanz angeht, bringt es deutlich
mehr als jeder Flugverzicht. Außerdem wird es in den
nächsten Jahren ja deutlich wärmer, wie man lesen kann.
Also nur Mut!n