Focus - 02.11.2019

(Barré) #1

WISSEN TITEL


Foto: Rolf Lang

78 FOCUS 45/2019


dunklen Gefühlsloch holen und ihnen
oft das Leben retten, verzweifeln Ärzte
und Betroffene an manchem Krankheits-
verlauf.
Für viele Patienten bedeuten die psy-
choimmunologischen Einsichten eine
Riesenchance auf Heilung. Dass For-
scher und Mediziner langsam erken-
nen, wie auch der Körper die Seele krank
machen kann, helfe der gesamten Psy-
chiatrie aus einer Sackgasse, meint der
Neurowissenschaftler Edward Bullmore
von der Universität Cambridge. Lange
Zeit für sicher gehaltene Annahmen wie
jene, Depressionen würden ganz simpel
durch einen Mangel an dem „Glücks-
hormon“ Serotonin ausgelöst, hätten sich
als falsch erwiesen. Auf dieser Grund-
lage entwickelte Medikamente wie das
um 1980 überschwänglich gefeierte
Prozac (in Deutschland Fluctin) seien
weit hinter den Erwartungen zurück-
geblieben.
So argumentiert Bullmore in seinem
2018 auf Deutsch erschienenen Buch
„Die entzündete Seele“ (Verlag Gold-
mann). Auf Erkenntnisse wie jene der For-
scher Steiner, Gold und Tebartz van Elst
gestützt, verficht er letztlich eine „ganz-
heitliche“ Medizin, die die Trennung von
Körper und Geist überwindet.

Das Ziel sind präzisere Diagnosen
Johann Steiner, der Hirnforscher in Mag-
deburg, sieht die Vorteile der Psychoim-
munologie eher nüchtern und pragma-
tisch. Er sagt: „Ich will dazu beitragen,
dass Psychiater ihre Diagnosen so sorg-
fältig wie möglich stellen.“
Spiele sich die Krankheit ausschließ-
lich im Kopf ab, müsse man sie entspre-
chend behandeln, mit Psychopharmaka
etwa oder psychotherapeutisch. Werde
aber das Gehirn aus dem Immunsystem
attackiert, sollten Arzt und Patient die
Therapie rasch anpassen, also Antibio-
tika, Blutwäsche oder antientzündliche
Medikamente einsetzen. So werde auch
die Psychiatrie „präziser“, die Behand-
lung besser auf den einzelnen Patienten
abgestimmt, hofft Steiner.
Die Seele sei „ein weites Land“, schrieb
der österreichische Arzt und Dramatiker
Arthur Schnitzler zu jener Zeit vor gut
100 Jahren, als Sigmund Freud mit sei-
nen psychoanalytischen Einsichten in
Wien und darüber hinaus Furore machte.
Offenbar reicht sie weit über das Gehirn
mit seinen 86 Milliarden Nervenzellen
hinaus.n

» Bei sportlicher Belastung werden Immun-
botenstoffe produziert, die Entzündungs-
prozessen im Körper entgegenwirken «
Manfred Schedlowski, Universitätsklinikum Essen

Wie man das Immunsystem in Schuss hält


Die heilende Kraft der Bewegung
Regelmäßige körperliche Belastung und Sport
sollten eigentlich ärztlich verschrieben werden,
schreibt der Essener Medizinpsychologe und
Immunsystemforscher Manfred Sched-
lowski in dem soeben erschienenen
Band „Placebo 2.0. Die Macht der
Erwartung“ (Verlag Rüffer & Rub).
Fordert der Mensch seine
Muskeln, produzieren sie
Signalproteine, die Entzün-
dungsprozessen im Körper
entgegenwirken.
Freundschaften machen stark
Soziale Unterstützung bezeichnet Schedlowski als
„Resilienzfaktor“. Wer Kontakte im Freundeskreis
und in der Verwandtschaft sucht und pflegt, erhöht
seine Widerstandsfähigkeit gegen Krankheits-
erreger. In Versuchen zeigte sich zum Beispiel, dass
sozial gut eingebundene Menschen Erkältungen
schneller überstehen als einsamere Zeitgenossen.
Wenn der Stress den Körper stresst
Anforderungen zu bewältigen gehört zum
Leben und trainiert auch Körper und Geist, aber
chronischer Stress schwächt das Immunsystem.
Damit sind über Wochen und Monate anhaltende
Belastungen gemeint, etwa ständige Demütigungen
am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, sich Tag
und Nacht um einen pflegebedürftigen Menschen
zu kümmern. Die beiden Beispiele zeigen auch, dass
man negativem Stress oft nicht so einfach ent-
kommen kann. Medizinpsychologe Schedlowski rät,
Pausen einzulegen und begleitende Entspannungs-
techniken, Meditation oder auch Yoga zu lernen.
Impfungen schützen auch indirekt
Eine kleine Minderheit glaubt noch immer, dass
sogenannte Kinderkrankheiten den Nachwuchs
stark machen. Aber vor allem Impfungen trainieren

das Immunsystem. Infektionen
schwächen es eher. Das
zeigt unter anderem
eine soeben im
Wissenschaftsjournal
„Science“ erschienene
Studie. Im Blut von 77 un-
geimpften niederländischen
Kindern, die sich mit dem Masern-
virus infiziert hatten, entdeckten die
Forscher nach der Ansteckung weniger
Antikörper gegen andere Erreger als zuvor.
Die Infektion eliminierte offenbar bis zu 73 Pro-
zent der bereits erworbenen Abwehrkräfte.
Außerdem zeigten Laboranalysen, dass das Immun-
system nach einer Maserninfektion auf Monate und
Jahre hinaus ermattet bleibt.
Den Einfluss der Alltagsgifte verringern
Umweltgifte setzen dem Immunsystem zu. Nicht
allen entkommt der Mensch. Wer sich aber mög-
lichst oft in der frischen Luft aufhält, mehrere Tage
pro Woche keinen Alkohol trinkt und aufs Rauchen
verzichtet, kann die Belastung deutlich reduzieren.
Frisch und vielfältig essen
Oft wird für „Immundiäten“ ohne ausreichende
Grundlage geworben. Zweifellos erfüllen Vitamine
und Mineralstoffe wichtige Funktionen im Körper,
zu denen die Fähigkeit zur Bildung von Immunzellen
zählt. Bei einer ausgewogenen Ernährung, die
frisches Gemüse und Obst einschließt, kommen sie
normalerweise nicht zu kurz. Eine Sonderrolle hat
das Vitamin D, das sich vor allem dann bildet, wenn
die Haut der Sonne ausgesetzt ist – ein Grund mehr,
auch im Winter täglich ins Freie zu gehen.
Die wichtigste Maßnahme ...
... ist in der bald beginnenden Grippesaison häufiges
Händewaschen. Vor allem die tückischen Influenza-
viren können das Immunsystem überrumpeln.

Das menschliche Abwehrsystem will trainiert sein, aber nicht auf Dauer
überfordert. Einige Expertentipps, damit die Balance gelingt

Hochfl exibles Wärmepfl aster


Gezielte Schmerzlinderung


Therapeutische Tiefenwärme


Für Rücken & Nacken


NEU
Aus Ihrer Apotheke

Spiral-W


ärm


e-


Te


ch


n


ol


o


g


ie


Mehr Bewegung.


Weniger Schmerz.


Dank hochfl exibler Wärme-Pads.


Pfl aster-Technologie von
Free download pdf