48 SPORT Donnerstag, 14. November 2019
Ständig Zweiter, trotzdemder Liebling –
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Novak Djokovic bleibt auch als dominierender
Tennisspieler ein Aussenseiter –das treibt ihn an SEITE 47
«Der Verband kann warten»
Soll Vladimir Petkovics Vertrag als Nationalcoach verlängert werden? «Stand heute: ja», sagt Benjamin Huggel
AmFreitag gegen Georgien und am
Montag gegen Gibraltar muss die
Schweizer Fussballnationalmannschaft
gewinnen. Einverstanden?
Absolut, ja. Die Schweizer brauchen die
Punkte für die direkte EM-Qualifikation.
Siege gegen Georgien und Gibraltar ge-
hören zum Anspruch desTeams und ent-
sprechen auch dem, was die Öffentlich-
keit erwartet.
Geben die letzten Spiele Anlass zur
Sorge, ob das den Schweizern gelingt?
Nein, im Prinzip nicht. Sie hatten zu-
letzt immer dann Mühe, wenn der Geg-
ner aufsässig war, hartnäckig und bissig,
manchmal auch amRande der Unfair-
ness wie zuletzt in Irland.Damitkönnen
die Schweizer nichtgut umgehen.
In der WM-Qualifikation hatten die
Schweizer gegen alle spielerisch schwä-
cheren Gegner gewonnen. Haben sie
diese Qualität verloren?
Nein, das ist zu negativ. Das Positive seit
der WM ist, dass sie verschiedeneSys-
teme entwickelt haben und diese auch
spielenkönnen.Das machen sie gut.
Will man das Haar in der Suppe suchen,
stimmt das: Ist der Gegner unangenehm
und wehrt sich mit bescheidenen Mit-
teln, dann haben sie Mühe.
Vor dem gegnerischen Tor fehlen syste-
matische Lösungen.
Das sehe ich ähnlich, aberTorezu er-
zielen, das ist das Schwierigste.Die
Schweizer wollen das Spiel bestimmen,
in unterschiedlichenSystemen. Deshalb
spielen sie oft gegen zwei Abwehrketten
undhaben Mühe,die Chancen zu nut-
zen. Aber sie kreieren Chancen.
In diesem Herbst gab es wieder Neben-
geräusche. Es fing an mit der Absenz
von Shaqiri.Wie sehr nervt das die
Mannschaft?
Das nervt die Spieler, sie werden auf
Shaqiri angesprochen, der gar nicht da
ist. Man weiss nicht genau, was stimmt
und was wirklich los ist. Ich weiss nicht,
was internkommuniziert worden ist.
Aber extern.Petkovic sagte,sein Verhält-
nis zu Shaqiri könnte besser sein, sprach
von mentalen Problemen. Geht das?
Mit einer solchenAussage wird einFass
geöffnet, das sich nicht mehr schliessen
lässt.Was sind mentale Probleme? Aber
das betrifft vor allem die Öffentlichkeit,
ich glaube nicht, dass die Spieler dem
die gleiche Beachtung geschenkt haben.
Fragt man in einem solchenFall als
Teamkollege nicht nach, ruft Shaqiri an
und fragt, wie es geht undwas los ist?
Doch, davon gehe ich aus.Aber als Spie-
ler hat man zwei oder drei andere,mit
denen man ein so engesVerhältnis hat,
dass man sich sorgt und telefoniert.
War Petkovic nicht fahrlässig in seiner
Ansprache nach aussen?
KeineFrage, das hätte er besser lösen
können.Petkovic undTami haben das
hinterher auch erkannt.
Nun kommt Granit Xhaka mit dem Ruck-
sack nach den Pfiffen gegen ihn und der
Absetzung als Captain von Arsenal. Ist
das ein gefährlicher Einfluss aufsTeam?
Das ist möglich, aber ich glaube nicht,
dass dies derFall sein wird.
Weshalb?
Zuerst: Es ist schlimm, wenn man von
den eigenenFans ausgepfiffen wird.
Das verstehen viele nicht.Jeder Spie-
ler versucht, für seinTeam alles zu ge-
ben. Xhaka hat jeden drittenTag ein
Spiel, derKörper meldet sich, es ist an-
strengend, er ist geradeVater geworden
und sieht seineFamilie wenig. Klar ver-
dient er viel Geld, aber in einem solchen
Momentbricht bei jedem Spieler inner-
lich etwas weg.
Darf er sich die Geste gegen das eigene
Publikum leisten?
Ich binkein Moralapostel.
Nicht unter Gesichtspunkten des An-
standes – sondern unter dem Aspekt
der Professionalität. Er schadet sich, der
Mannschaft, dem Klub.
Dasweiss er selbst am besten. Aber ich
habeVerständnis dafür.Wir sind Men-
schen. In so einem Moment überlegt
niemand. Xhaka ist vollAdrenalin und
reagiert. Ich fand es gut, wie er sich er-
klärt hat.Und es ist verzeihlich, wenn
mal etwas geschieht, was unter profes-
sionellen Gesichtspunkten nicht passie-
ren sollte.
Fällt von dieser Affäre um Xhaka ein
Schatten aufs Nationalteam?
Nein. Für ihn sind die beiden Spiele eine
Chance. Er hatte Zeit, sichetwasauszu-
ruhen. Petkovic hat ihm denRücken ge-
stärkt. Er kann sich jetzt eine gute Stim-
mung holen in der Nationalmannschaft,
das kann beiden nützen.
Solche Geschichten helfen nicht, das
Image zu verbessern. DieAussendar-
stellung ist schwach, das Ansehen leidet.
Das stelle ich auch fest. Ich höreÄhnli-
ches in meinem Umfeld immer wieder.
Das tut mir ein wenig leid für die Spie-
ler, denn sie qualifizieren sich für jedes
Turnier. Sie erreichen viel.
Weshalb ist dieAuswahl nicht beliebter?
Das frage ich michauch. Fussballer haben
generell ein schlechtes Image.Ich spiele
ein wenig Eishockey.Was ich dort von den
anderen jeweilszuhören bekomme: Die
fallen immer hin, jammern, nörgeln, ver-
dienen viel Geld.Ist dasNeid?Fussball
ist der beliebteste Sport in der Schweiz.
Und die Nationalmannschaft soll nicht
nur gut sein, sondern auch noch sympa-
thisch.Das verstehe ich nur teilweise.
Liegt es an derDoppeladler-Affäre? Seit
der WM2018 bleibt dasVerhältnis der
Schweiz zum Nationalteam kühl.
Wir haben diesesThema mit den rich-
tigen und den anderen Schweizern seit
Jahren.Das wird auch in Zukunft blei-
ben.Vielleicht sind wir als Gesellschaft
einfach noch nicht so weit. Es gibtdie
Hymnen-Diskussion, sie ist lächerlich.
KeineFrage,dieDoppeladler-Affäre
wurde von allenkommunikativ misera-
bel gelöst. Ich sage nicht, dass der Dop-
peladler eine gute Aktion war, auch
wenn ich sie verstehe. Denn die Spieler
spielen für die Schweiz, nicht für ihre
Herkunftsländer. Der Doppeladler ist
keine Schweizer Geste. Das ist vorbei,
derVerband hat Lehren gezogen.
Gilt dasauch für denTrainer?
Petkovic wirkt auf mich eher zurück-
haltender, verschlossener. Nur:Was
bringt es ihm in der öffentlichenWahr-
nehmung, wenn er mehr preisgibt?Das
ist seine Güterabwägung.Er gibt In-
formationen weiter, die im Zweifelsfall
gegen ihn verwendet werdenkönnen.
Mag sein.Aber hat derTrainer nicht die
Aufgabe, das Team über dasFachliche
hinaus positiv zu repräsentieren?
Petkovics ersteAufgabe ist es, mit dem
Team gute Resultate zu liefern.Das
macht er hervorragend und ist die Haupt-
aufgabe.Die repräsentativenAufgaben
haben aus meiner Sicht zweite Priorität.
Wie beurteilen Sie ihn in dieser Hinsicht?
Das könnte er besser machen. Erkönnte
mehr über seine Ideen sprechen, auch mit
uns Experten und mitJournalisten.Damit
gewänne er mehrVerständnis für sich und
könnte er auch gewisse Entscheide erklä-
ren, ohne Geheimnisse zu verraten.
Nach der EM endetPetkovicsVertrag.
Soll derVerband verlängern?
SchwierigeFrage. Damit baut man jetzt
in der Öffentlichkeit Druckaufund sug-
geriert, dass man mit der Antwort nicht
warten kann. Ich glaube aber, dass der
Verband warten kann.
Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Ob
früher oder später, ein Entscheid wird
getroffen werden.Wie würden Sie ent-
scheiden?
Wenn wir davon ausgehen, dass die
Schweiz an die EM fährt, dann haben
die Spieler bereits klar Stellung bezogen
fürPetkovic. Das ist ein starkes Zeichen.
Käme derVerband zum Schluss, nach
der EM mit einem neuen Coach weiter-
zumachen, hätte man an der EM aber
die Diskussion überPetkovic als «lame
duck». Dabei ginge die Mannschaft ver-
gessen. Die Spieler sind in der Pflicht
und wollen mehr erreichenals denAch-
telfinal. Egal, werTr ainer ist.
Würden Sie also nichtweitermachen mit
Petkovic?
Stand heute, würde ich denVertrag ver-
längern.Petkovic entwickelt dasTeam,
er liefert dieResultate. Das würde ich
höher gewichten als seinekommunika-
tivenMankos. Man müsstePetkovic ver-
pflichten, sich mehr zu öffnen, Nähe zu-
zulassen, vielleicht eine gewisseWärme
auszustrahlen. Ich sehe Anzeichen, dass
er sich darum bemüht, der neue Direk-
tor PierluigiTami spielt dabei eine posi-
tive Rolle. Aber: Die Verlängerung
müsste unbedingt verknüpft sein mit der
Verbesserung derAussendarstellung.
Interview: StephanRamming
VladimirPetkovic (links) und Granit Xhaka, der Spieler mit dem Rucksacknachden Pfiffen gegenihn. ENNIO LEANZA/KEYSTONE
«Man müsste
Petkovic ver-
pflichten, sich
mehr zu öffnen.»
Benjamin Huggel
Ehemaliger
KEYSTONE Nationalspieler
EM-Qualifikation, Gruppe D
Freitag, 15. November Montag, 18. November
Schweiz - Georgien 20:45 Gibraltar - Schweiz 20:45
- Dänemark 6/12 4. Georgien 7/8
- Irland 7/12 5. Gibraltar 6/0
- Schweiz 6/11
Die restlichen Spiele.15. November: Dänemark - Gibraltar. – 18. Novem-
ber: Irland - Dänemark.
SRF-Experte
ram.·SeitJanuar 20 18 begleitet Ben-
jamin Huggel als Experte des Schwei-
zerFernsehens die Schweizer National-
mannschaft. Der ehemaligeMittelfeld-
spieler absolvierte 2003 und 2010 für die
Nationalmannschaft 41Länderspiele.
Huggel gab nach der WM in Südafrika
denRücktritt. Mit dem FCBasel holte
er sieben Meistertitel, fünf Cup-Siege
und spielte in der Champions League.
Huggel ist 38-jährig und lebt mit seiner
Familie in der Nähe vonBasel. Neben
der Tätigkeit als SRF-Experte hält Hug-
gelVorträge und führt eine Coaching-
Agentur.
Kehrt Colin
Kaepernick in
die NFL zurück?
Der nach einem Protes t verbannte
Spieler präsentiert sich den Teams
ANDREASBABST
Es ist fast dreiJahre her,dass Colin Kae-
pernick das letzte Mal als professionel-
ler American-Football-Spieler auf dem
Feld stand. Seither ist er verbannt aus
der NationalFootball League (NFL).
Kaepernick ist jener Quarterback, der
sich hinkniete während der National-
hymne, um gegen die Ungleichbehand-
lung von Schwarzen in den USA zu pro-
testieren. Kaepernick löste damit eine
Kontroverse aus und erzürnte den Prä-
sidentenDonaldTr ump.
Jetztkönnte Kaepernick zurückkeh-
ren in dieNFL. Zumindestgibt es Hoff-
nung für den 32-Jährigen.
Die NFL-Teams haben von der Liga
eine Einladung bekommen,amSamstag
nach Atlanta zureisen. Dort wird sich
Kaepernick denTeamvertretern prä-
sentieren, erst in einemTr aining, dann
in Interviews. Wer nicht dabei sein kann,
erhältVideosvon beidem. So berichtete
am Dienstag ESPN.
Laut der «NewYorkTimes» bekam
auch Kaepernick eine Einladung, er
musste innert zweier Stunden bestä-
tigen, dass er amTr aining teilnehmen
wird. Die NFL soll auf denTermin
am Samstag bestanden haben, ob-
wohl Kaepernicks Umfeld wohl ver-
sucht hatte, denTermin um ein paar
Tage zu verschieben.Auf den Diens-
tag zum Beispiel, wenn nicht die meis-
ten der 32 NFL-Teams mitten in den
Vorbereitungen stecken für die Spiele
am Sonntag oder aufReisen sindzum
Auswärtsspiel.
Kaepernicks Umfeld soll von der
NFL eine Liste allerTr aining-Teil-
nehmer verlangt haben; man will prü-
fen, ob es sich nur um ein PR-Manö-
ver seitens der Liga handelt oder ob
tatsächlich Entscheidungsträger wie
Coaches oder Generalmanagers dem
Quarterback beimTr aining zuschauen
werden.
Kaepernick selber twitterte am
Dienstag, er sei seit dreiJahren bereit
und inForm, «ich kann es nicht abwar-
ten,die Tr ainer und Manager am Sams-
tag zu sehen».
Eskönnte Kaepernicks letzte Ge-
legenheit sein, in die Liga zurückzukeh-
ren, er isteinFree-Agent, die Klubskön-
nen ihn verpflichten. Bevor er wegen
seines Protests berühmt wurde, führte
Kaepernick die San Francisco 49ers
2013 in die Super Bowl, dort verlor das
Team allerdings gegen dieBaltimore
Ravens. 20 17 liess er seinenVertrag mit
den 49ers auslaufen. Seither ist Kaeper-
nickohne Arbeit.
KürzlichmachteseinAgentpublik,
dass der Quarterback imFrühling 20 17
kurz einThema war bei den Seattle
Seahawks, die einen Ersatz-Quarter-
back suchten. DieVerpflichtung kam
nicht zustande. Im Herbst 20 17 klagte
Kaepernick gegen die Liga,sie ver-
hindere,dass er wiederFootball spie-
lenkönne.DieParteieneinigten sich
AnfangJahr aussergerichtlich, die ge-
nauen Bedingungen wurden nichtbe-
kannt. ImAugust,einen Monatvor
NFL-Saisonbeginn, hatte Kaepernick
einVideo von sich selber beim Ge-
wichthebengetwittert, dazu schrieb er:
«5 Uhr morgens.5Tage dieWoche. Seit
3 Jahren.»
«5 Uhr morgens.
5 Tage dieWo che.
Seit 3 Jahren.»
Colin Kaepernick
Arbeitsloser
IMAGO NFL-Quarterback