Neue Zürcher Zeitung - 06.11.2019

(Michael S) #1

Mittwoch, 6. November 2019 FEUILLETON 35


Der Philos oph Peter Boghossian kritisiert im Gespräch


die neue Orthodoxie an US-Universitäten SEITE 36, 37


Der preisgekrönte Limbic Chair


soll sich positiv auf unsere Emotionen auswirken SEITE 39


Hier bin ich, schau mich an!


Rembrandt hat über achtzig Selbstbildnisse hinterlassen. Und nie das Bild gemalt, das er eigentlich malen wollte.Von Thomas Ribi


Das Licht natürlich, dieFarben! Die
Stirnist in fahlesWeiss getaucht, die fle-
ckig roten Wangenkann man im dämm-
rigen Schein nur erahnen. Ein Bild, wie
mit Dreck und Gold gemalt. Ende fünf-
zig warRembrandt, als das «Selbst-
porträt als Zeuxis» entstand. Zu seiner
Zeit ein alter Mann,und so stellt er sich
auch dar.Verlebtes Gesicht, gefurchte
Stirn. Der gebeugteRücken unter dem
braungolden schimmernden Schal,den
er über dieSchultern geworfen hat,
ist vielleichtKokett erie: Er ist an der
Arbeit, beugt sich über die Staffelei. Im
Halbdunkel erkennt man den Malstock,
den er auf die Leinwand stützt, darüber
zeichnet sich schwach eineFigur ab.
Doch das ist alles nur Staffage. Das Bild
gehört ganz dem Protagonisten,Rem-
brandt selbst. Er wendet sich uns zu,
hält inne und blickt uns in dieAugen,
als wolle er etwas sagen.Aber was?
Lacht er eigentlich? Schwer zu sa-
gen. Irg endwieschon. DieAugenbrauen
sind hochgezogen, spöttisch vielleicht.
Im Blick liegt ein leises Zweifeln,der
Mund ist halb geöffnet, und ja: Um die
Lippen spieltso etwas wie ein Schmun-
zeln. Nur, ist das wirklich einLachen?
Für die meisten Betrachter stehtes aus-
ser Frage:«Was für ein Meisterwerk.
Vielleicht ist es sein letztesWerk aus
1669, und gewiss sein letztesPorträt!
Und er lacht, der alteLöwe!», schrieb
der Kunsthistoriker, der das Bild im
19.Jahrhundert entdeckt hatte und für
einen Sammler kaufte.
Was die Datierung betrifft, lag er
falsch.Das Porträt dürfte früher ent-
standen sein,1662 oder1663, rund sechs
Jahre vorRembrandtsTod. Und sein
letztes Selbstbildnis ist es auch nicht.
Mindestens zwei weitere sind nach ihm
noch entstanden. Doch dass er lacht, der
Meister, das blieb Erkennungszeichen
des Bildes, bis heute. Genau das faszi-
nierteVincentvan Gogh – das «zahn-
loseLachen». «Welcher Genuss für das
Auge», schwärmte er in einem Brief.
DieKunsthistoriker haben dasLa-
chen sanktioniert. Anhand vonVerglei-
chen mit dem Bild eines Schülers von
Rembrandt verstehen sie dasPorträt
von 1662 alsRollenbild, als Selbstbildnis
im Kostüm. Ein Genre, das Rembrandt
liebte. Er stellte sich als nachdenklichen
ApostelPaulus dar oder alsBartholo-
mäus, der demTod geweiht ist.Auf die-
sem Bild zeigt er sich als Zeuxis, der an-
tike griechische Maler, der einer Legende
nach über denAnblick einer hässlichen
altenFrau so belustigt gewesen sein soll,
dass er sich zuTode gelacht habe.


Das, wasman Glück nennt


Wie einer, der bald stirbt vorLachen,
sieht dieser Mann nicht aus. Eher wie
einer, der gelernt hat, dass das Leben
ein Dasein zumTode ist. Einer, der
sich nichts vormachen lässt. Am aller-
wenigsten von einerWelt, von der er zu
viel gesehen hat, um sich täuschen zu
lassen.Rembrandt Harmenszoonvan
Rijn hatte viel gesehen. Er hatte erfah-
ren, dass auf das, was man Glück nennt,
kein Verlass ist. SeineFrau starb früh,
drei Kinder waren nur wenigeWochen
al t geworden. Und dass Geld und Be-
sitz flüchtige Substanzen sind, brauchte
ihm niemand zu sagen: Er war berühmt
geworden, zunächst in Leiden, wo er
1606 zurWelt gekommen war, ab 1634
in Amsterdam. Er hatte gut verdient, das
Leben eines angesehenen, wohlhaben-
den Bürgers geführt.Dann verhedderte
er sich in finanziellen Spekulationen,
häufte Schulden an und verlor alles.
Mit fünfzig wurde er für zahlungs-
unfähig erklärt.Aus seinem stattlichen
Haus mussteer ausziehen. Sein Hab
und Gut wurde versteigert – die Bilder-
sammlung, die Möbel, seineKollektion
von wissenschaftlichen Objekten,Tie-


ren undKuriositäten aus allerWelt. Es
reichte nicht, um die Schulden zu be-
gleichen.Rembrandt musste sich eine
neue Existenz aufbauen. Er liess sich in
einerKunsthandlung anstellen, nahm
Aufträge an, malte, verkaufte Bilder,
unterrichtete Schüler.Aber er sah die
Welt mit anderenAugen. Sah sich sel-
ber nicht mehr so, wie er sich früher ge-
sehen hatte.Vor allem:Auf seinen spä-
ten Bildern schaut er uns anders an.
VierzigJahre bevor das «Selbstporträt
als Zeuxis» entstand, hatteRembrandt
sein erstes Selbstbildnis gemalt:ein selbst-
bewusster junger Mann. Um die Stirn
weht ein wilder Haarschopf und verschat-
tet Augen, deren entschlossener Blick
alles durchdringt. Seither hatte er immer
wieder Selbstbildnisse gemacht.Öfter als
jeder andereKünstler seiner Zeit. Mehr
alsachtzigsinderhalten:Bilder,Zeichnun-
gen,Radierungen.Gelegenheitsskizzen,
Charakterstudien, aber auch viele grosse
FormateinÖl,minuziösausgearbeitet,die
für denVerkauf bestimmt waren.
Unter vermögendenKunstkennern
waren Rembrandts Selbstporträts
offensichtlich beliebt.Vielleicht waren
sie eine Art Ersatz für einPorträt von

sich selber.Rembrandt galt als ausge-
zeichneter Charaktermaler. Ein Zeit-
genosse berichtet, dass er mehr als
genugPorträtaufträge hätte habenkön-
nen. Nur, wer von ihm porträtiert wer-
den wollte, musste Geduld aufbringen.
Zwei, manchmal drei Monate habe man
Modell sitzen müssen.Dazu waren nur
wenigeKunden bereit.

Ich imSpiegel


Rembrandt arbeitete langsam.Langsa-
mer als alle anderen Maler, wie der ita-
lienische Maler undKunsttheoretiker
FilippoBaldinucci1667 bemerkte. Und
das sei seltsam, fügt er hinzu, weil er
doch mit so grossen Pinselzügen male,
mit unverbundenen, wilden Strichen
und Hieben mit dem Pinselschaft. Es sei
schwer zu verstehen, sinniertBaldinucci,
aberRembrandts Bilder entstünden
unter grossem Zögern und viel Mühe.
Sobald eine Malschicht trocken sei, be-
ginne er die Arbeitwiedervon vorn. Un-
zählige Male streiche er mit dem Pinsel
über die gleichen Stellen, dabei würden
die Pigmente zu einem fast fingerdicken
Relief.

Man kann sich das nur schwer vor-
stellen:Wochenlang, manchmal monate-
lang sassRembrandt vor dem gleichen
Bild. Dem Bild, das sich ihm immer wie-
der entzog. Er selber wusste am besten,
was er da tat.Dass er nicht sich selber
malte, wenn er Selbstporträts machte. Er
malte ja nurReflexionen, die der Spie-
gel, dieses trügerische Ding, zurückwarf.
Er fertigte Bilder von Bildern, ein
ums andere Mal.Verzweifelnd darüber,
dass er nie zu dem Bild vorstiess, das er
eigentlich malen wollte: dem unverstell-
ten Abbild des eigenen Gesichts,das
ihm als Einzigem zu sehen verwehrt war.
Er wusste, dass er sich nicht so malen
konnte, wie er wirklich war, und setzte
deshalb alles daran, sich so zu malen, wie
er sich selber erkannte. So, wie er sich er-
schien, wie er sich wahrnahm. Oder wie
er gesehen werden wollte. Immer wieder
von neuem. Immer wieder anders.
Meistens schonungslos ehrlich. Mit
gedunsener Haut, wässrigenAugen, ge-
röteter Nase. Manchmal glaubt man zu
spüren, dass es ihm nicht leichtfiel, sein
Aussehen anzunehmen. Hin und wie-
der blitzt in den traurigenAugen doch
so etwas wie Stolz auf. Manchmal malte

er, als ob erkeine Hoffnung hätte, dann
wieder so, als ob er ein Bild von sich
entwerfen würde, an das er selber nicht
glaubt: in Blick und Haltung das heraus-
fordernde Selbstbewusstsein dessen, der
aus einfachenVerhältnissen zum gefei-
erten Maler geworden war. Oft wirkt er
skeptisch, unsicher, immer wieder fra-
gend, gelegentlich mit einem Blick, aus
dem so etwas wieVerzweiflung spricht.
Dann auf einmal so, als ob er uns um
Verzeihung bitten würde für etwas, von
dem er nurzu gutwusste, dass er es nicht
ändern kann.
Sooft sichRembrandt gemalt hat: So
eigenwillig, wie er es1662 im «Selbst-
bildnis als Zeuxis» tat, hat er sichkein
zweites Mal dargestellt. Maskenhaft, mit
einem selbst für seineVerhältnisse gro-
ben Pinselstrich.Wie Schrunden sind
die Gesichtszüge auf die Leinwand ge-
kratzt. DieFarbe wirft sich auf zu schrof-
fen Hügeln. Nase,Wangen, Mund, Stirn
und Kinn scheinen wie ausTonklümp-
chen gefügt: zerklüftete Landschaf-
ten, erschreckend, selbst das goldene
Licht schafftkeine Wärme. Das Ge-
sicht scheint zu zerfallen, seinAusdruck
ist nicht zu deuten. EinLachen?Wenn,
dann ist es das traurigste, abgründigste
Lachen, das ichkenne.Ein Lachen,das
der Verzweiflung abgerungen ist.

Es gibtkein Entrinnen


Das Wallraf-Richartz-Museum inKöln
macht das «Selbstbildnis als Zeuxis»,
das zur hauseigenen Sammlung gehört,
zum einen Brennpunkt einer wunder-
vollen Sonderausstellung zur 350.Wie-
derkehr von Rembrandts Todestag.
Unter demTitel «InsideRembrandt»
unternimmt sie anhand einerAuswahl
von rund sechzigWerken denVersuch,
Rembrandt aus zweiPerspektiven zu
erklären: aus der inneren Entwicklung
des Künstlers und aus derAuseinan-
dersetzung mit seiner Zeit–dem Hol-
land des17.Jahrhunderts, das geprägt
war von politischen und sozialen Um-
brüchen, einem ungeheuren wirtschaft-
lichenAufschwung und einer Blüte der
Kunst und derWissenschaften.
Zum grossen Gegenstück des «Zeu-
xis» macht dieAusstellung das um 1634
entstandene Bild «Der Gelehrte im Stu-
dierzimmer»ausderPragerNationalgale-
rie. Ein Prunkbild, mit dem der achtund-
zwanzigjährigeRembrandt diePorträt-
studie erstmals ins Grossformatübertrug.
Komposition,Farbgebung und Gestal-
tung derDetails zeugen voneiner stupen-
den Sicherheit – und vom Selbstbewusst-
sein eines Malers, der gerade im Begriff
war, alles zu erreichen, was er sich erhof-
fen konnte.
Der Gelehrte sitzt am Arbeitstisch.
Er ist am Lesen, in einen mitPelz ver-
brämten Mantel aus schwarzem Samt
gekleidet, auf demKopf einrotes Barett,
die eine Hand am Kinn, die andere lo-
cker auf denTisch gelehnt. Sein zum Be-
trachter gewendeter Blick verrät, dass er
weiss, was er will und was er in der Ge-
sellschaft gilt.Fürihn stimmtdie Welt,
so wie sie ist, und er vertraut darauf, dass
sich die Gesetzmässigkeiten, nach denen
sie funktioniert, erschliessen lassen.
Zwischen dem «Gelehrten im Stu-
dierzimmer» und dem «Selbstbildnis als
Zeuxis»liegengut dreissigJahre. Aber
die beiden Bilderkommenaus verschie-
denenWelten.Wer dasLachen des Zeu-
xis einmal gesehen hat, vergisst es nicht.
UndRembrandts Blick kann man nicht
entrinnen. «Hier bin ich, schau mich
an!»,sagt er und duldetkeinenWider-
spruch: «Was du siehst, bist du selbst.»

Die Ausstellung «Inside Rembrandt» im Wall-
raf-Richartz-Museum in Köln ist bis zum


  1. März 2020zu sehen. Zur Ausstellung ist im
    Michael-Imhof-Verlag ein umfangreicher ,reich
    bebil derter Katalog ers chienen (in der Ausstel-
    lung €29.95).


Im Blick liegt ein leises Zweifeln, und um die Lippen spielt so etwas wie ein Schmunzeln.Aber ist das wirklich ein Lachen?Rem-
brandt Harmenszoon van Rijns «Selbstbildnis als Zeuxis», 1662/63. WALLRAF-RICHARTZ-MUSEUM & FONDATION CORBOUD
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