Handelsblatt - 31.10.2019

(Michael S) #1

„Tschüss, Facebook – es


ist Zeit für etwas Neues.“


Jimmy Wales, Gründer Wikipedia,
will ein eigenes soziales Netzwerk
aufbauen.

„Das Beste der Party


ist vorbei.“


Frank Witter, Finanzvorstand
Volkswagen, zur Autokonjunktur

B


ayers Finanzvorstand Wolfgang Nickl betont im-
mer wieder gerne, dass er die Aktie seines Ar-
beitgebers für ein tolles Investment hält. Das

muss er schon kraft seines Amtes so sagen. Aber seine


Aussage wäre auch objektiv gesehen richtig, wenn man


sich bei Bayer einmal das unheilvolle Thema Glyphosat


wegdenkt. Wie würde Bayer dann derzeit an der Börse


stehen? Inmitten der konjunkturellen Trübsal, die In-


dustriekonzernen wie BASF und Covestro kräftge Ge-


winneinbrüche einbrockt, könnte Bayer mit seiner Aus-


richtung auf das konjunkturrobuste Pharma- und


Agrargschäft als defensiver starker Wert glänzen, wo-


möglich ein Fels in der Brandung sein.


Denn rein operativ gesehen ist der Konzern auf ei-


nem guten Weg, wie die Ergebnisse des dritten Quartals


zeigen. Der Konzern kann weiterhin auf sein stabiles


Geschäft mit rezeptpflichtigen Medikamenten bauen.


Das Agrargeschäft hat die wetterbedingte Delle aus dem


ersten Halbjahr weggesteckt. Die Signale stehen nicht


schlecht, dass die Kombination mit Monsanto die ge-


wünschten hohen Ergebnisbeiträge bringt.


Im lange kränkelnden Geschäft mit rezeptfreien Mit-
teln deuten die jüngsten Kennzahlen darauf, dass die
Division den Turnaround schafft. Bayer-Chef Werner
Baumann kann also einige Erfolge auf den zahlreichen
Baustellen des Unternehmens verzeichnen. Das ver-
schafft ihm Luft gegenüber Kritikern und Rückhalt in
der eigenen Organisation.
An der Börse bringt all dies dem Konzern am Mitt-
woch gerade mal einen Zuwachs von knapp unter zwei
Prozent. An einem solchen Tag wird deutlich, wie stark
die Risiken durch die Glyphosat-Verfahren in den USA
den Aktienkurs bremsen. Die Lösung dieses Problems
bleibt die größte Herausforderung für den Bayer-Chef,
an der sich wohl auch seine Zukunft entscheidet.
Die Frage ist: Wie viel Geld kann und will Bayer auf
den Tisch legen, um die Glyphosat-Probleme loszuwer-
den? Man kann dafür einfache Rechenspiele anstellen:
Hält der Konzern den derzeitigen Aufwärtstrend, dürfte
der Plan aufgehen, nachdem er bis 2022 frei verfügbare
Mittel von 23 Milliarden Euro erwirtschaftet. Dazu kom-
men acht Milliarden Euro aus Teilverkäufen. Zwölf Milli-
arden Euro braucht der Konzern in diesem Zeitraum
für die Dividende, rund neun Milliarden für den Schul-
denabbau. Der Rest von zehn Milliarden Euro zeigt den
Spielraum, den Bayer für eine Vergleichszahlung relativ
problemlos aufwenden könnte.
Es ist eine bittere Rechnung, denn der Konzern könn-
te das Geld viel besser nutzen, um etwa seine Pharma-
pipeline weiter zu verstärken. Aber um an der Börse
wieder zu glänzen, muss Bayer erst den Ballast der Gly-
phosat-Verfahren abwerfen.

Bayer


Ballast Glyphosat


Bayer muss den Rechtsfall um
den Unkrautvernichter lösen,
um an der Börse wieder
glänzen zu können,
analysiert Bert Fröndhoff.

Der Autor ist Teamleiter Industrie.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]

Bayer-Chef


Baumann


kann einige


Erfolge auf


den zahl-


reichen


Baustellen


verzeichnen.


dpa, Bloomberg, ddp/INTERTOPICS/Empics/PBG

Miele


Mut auf


beiden Seiten


N


un liegen die Fakten auf
dem Tisch. Nach fast einem
Jahr stellt das 120 Jahre alte
Familienunternehmen Miele sein
nach eigenen Angaben größtes
Wachstums- und Innovationspro-
gramm in der Firmengeschichte vor


  • erstmals mit den Ratschlägen der
    Strategieberatung McKinsey. Und
    wie von den Gewerkschaften be-
    fürchtet bedeutet das auch Arbeits-
    platzabbau. Weltweit mehr als
    1 000, in Deutschland geschätzt



  1. Klar ist aber auch: An anderer
    Stelle werden bei Miele neue Mitar-
    beiter gesucht, die die Transforma-
    tion mitstemmen. Neue digitale
    Kundenbedürfnisse, harter Preis-
    kampf, Suche nach neuen Ge-
    schäftsmodellen – so lauten die He-
    rausforderungen.
    Doch die Gemengelage ist schwie-
    rig. Einerseits ist es richtig, dass
    Miele frühzeitig begonnen hat, die
    Zukunft mit einem unsentimenta-
    len Blick zu planen und anzugehen.
    Andere Firmen, wie derzeit etwa
    viele Autozulieferer, starten solche
    Programme erst, wenn die Krise
    längst schon da ist.
    Und niemand hat etwas davon,
    wenn Miele die notwendige Trans-
    formation, die alle Unternehmen
    bewegt bis bedroht, nicht gestemmt
    bekommt. Auch die Arbeitnehmer-
    vertreter nicht. Andererseits darf
    das Unternehmen seinen guten Ruf
    als Premiumanbieter, Familienun-
    ternehmen und Arbeitgeber nicht
    aufs Spiel setzen.
    Am Beispiel Miele zeigt sich, dass
    die Veränderungen durch die digi-
    tale Transformation und durch die
    Anforderungen an Klimafreundlich-
    keit nicht nur neue Geschäftsmo-
    delle verlangen. Sie erfordern auch,
    dass man rechtzeitig die Zukunft
    anpackt, auch wenn es wehtut.
    Das wiederum braucht einen
    neuen Umgang zwischen Arbeitge-
    bern und Arbeitnehmervertretern –
    auch oder vor allem in den oft auf
    Harmonie bedachten Familienun-
    ternehmen. Wie der aussieht, ist
    noch unklar. Wichtig aber ist, dass
    weder Unternehmer noch Arbeit-
    nehmer und deren Vertreter
    schlicht Besitzstände wahren. Auf
    beiden Seiten ist Mut zur Zukunfts-
    gestaltung nötig.


Die Umsetzung der von McKinsey
entwickelten Neuausrichtung
wird ein Balanceakt,
prophezeit Anja Müller.

Die Autorin ist Korrespondentin
Familienunternehmen.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Unternehmen & Märkte


DONNERSTAG, 31. OKTOBER 2019, NR. 210


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