Die Welt - 09.11.2019

(ff) #1

CHRONIK DES MAUERFALLS – 12:30 - 13:


12:


Der Entwurf der Reisereglung wird wie üblich an das Se-
kretariat des DDR-Ministerrats weitergereicht. Im „Um-
laufverfahren“ sollen die 44 Minister die Vorlage bis 18
Uhr absegnen.

13:


Der Entwurf wird kopiert, dann bringen Kuriere Ausfer-
tigungen in alle DDR-Ministerien. Doch 29 der Minister
nehmen an der Sitzung des ZK teil.

13:


In der ZK-Sitzung kritisiert der designierte Ministerprä-
sident der DDR, Hans Modrow, die Parteiführung: „Die
Wende ist von der Straße ausgegangen, und wir dürfen
das Lenin’sche Prinzip nicht vergessen, dass eine Partei,
die ihre Fehler nicht erkennt und anerkennt, die Kraft
zur Führung verliert.“

AUSGERECHNET HANS MODROW, SED-SPITZENFUNKTIONÄR
SEIT 1954 UND AM 9. NOVEMBER 1989 DESIGNIERTER
DDR-MINISTERPRÄSIDENT, GREIFT DIE FÜHRUNG DER PARTEI AN

PICTURE ALLIANCE/ ZB

/ PETER ZIMMERMANN

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09.11.19 Samstag, 9. November 2019DWBE-HP


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DIE WELT SAMSTAG,9.NOVEMBER2019 POLITIK 7


heute 64-Jährige und fügt hinzu, dass
„niemand zur Teilnahme gezwungen
wurde“. Das Leben im Osten gefiel ihm.
Er hatte einen großen Freundeskreis,
reiste durch die DDR. Seine Arbeitgeber
stellten ihm Telefon und Wohnung, am
Ende sogar ein Appartement Ecke Un-
ter den Linden/Friedrichstraße.
Zwei Jahre blieb er bei dem Sender
und produzierte ein wochentägliches
Programm. Reportagen über alle mögli-
chen Themen, vom Braunkohletagebau
bis zur Eröffnung einer Konzerthalle.
Er machte Interviews mit englischspra-
chigen Politikern oder Gewerkschaf-
tern, die Ost-Berlin besuchten. Mit
Bruce Kent beispielsweise, führender
Aktivist der britischen Antiatomwaffen-
bewegung. Laut Historiker Glees „ein
nützlicher Idiot der DDR-Führung, weil
er ihrer Propaganda ein internationales
Image gab“.
John Hamilton sieht sich bis heute
nicht als Teil der Propagandamaschine.
Vielmehr ging es ihm darum, dass die
Menschen vor dem Eisernen Vorhang
Einblicke in den sozialistischen Alltag
bekamen. „Was wusste man schon von
der DDR? Dass es eine Mauer gab und
dass sie bei Olympischen Spielen viele
Medaillen gewannen.“
Was aber war mit den Leuten, die das
sozialistische Regime nicht unterstütz-
ten? Was wusste und berichtete er über
jene, die von der Stasi überwacht wur-
den, ins Gefängnis kamen, gefoltert
wurden? Hamilton schaut ehrlich über-
rascht. Auch 40 Jahre nach seiner Zeit
in Ost-Berlin scheint er diesen Teil der
DDR-Wirklichkeit entweder nicht zu
kennen oder zu ignorieren.
„Mir war nicht bekannt, dass es poli-
tische Gefangene gab“, sagt er. „Ich ging
davon aus, dass Dissidenten generell in
den Westen abgeschoben wurden.“ In
seinem Ost-Berliner Bekanntenkreis
habe man über solche Fragen nie gere-
det. Für die Menschen in Großbritan-
nien sei es immer ein Leichtes gewesen,
heroisch den Widerstand gegen repres-
sive Regime zu preisen, gibt Hamilton
zu bedenken. „Aber für die Deutschen,
die zwölf Jahre des Nazi-Terrors hinter
sich hatten, war es hart, den Kopf aus
dem Schützengraben zu strecken.“
Die Journalistin Anne McElvoy hat
ihre Zeit in Ost-Berlin anders erlebt.
Die Britin studierte in den 80er-Jahren
an der Humboldt-Universität. „Wer
wollte, der konnte viele Dinge heraus-
finden. Etwa über Orte wie (das berüch-
tigte Stasi-Gefängnis, d. Red.) Bautzen“,
erzählt sie. McElvoys Kommilitonen be-
richteten ihr auch von Bekannten, die
als Kriegsdienstverweigerer bestraft
wurden und „schreckliche Zeiten als so-
genannte Bausoldaten durchmachen
mussten“.
Hamiltons Überraschung über die Ab-
gründe der DDR ist auch deswegen er-
staunlich, weil der überzeugte Kommu-
nist selbst Opfer der Stasi geworden ist.

listische Utopie wahr zu machen.“ Weil
diese Utopie aber in Wahrheit keine
blühenden Landschaften hervorbrach-
te, benötigte das DDR-Regime nach in-
nen wie außen permanente Propaganda.
Radio Berlin International, 1959 ge-
gründet, sollte Menschen im Ausland
„den sozialistischen deutschen Staat
näherbringen“. Dort heuerte Hamilton
1982 an, der bis dahin in Exeter Ma-
thematik studiert und intensiv Studen-
tenpolitik gemacht hatte. „Mein erster
Arbeitstag war der 1. Mai, weshalb wir
mit den Kollegen gleich zum großen
Aufmarsch gingen“, erinnert sich der

E


s war der Tag nach dem Feu-
er im Londoner Grenfell
Tower, in dem 59 Menschen
ihr Leben verloren, an dem
mir John Hamilton bei einer
Demonstration über den Weg lief. Mit
Megafon und in Sandalen ging er
schnellen Schrittes Richtung Innenmi-
nisterium, wo Hunderte wütende Bür-
ger gegen den mangelnden Brandschutz
in dem Hochhaus protestierten. Viele
von ihnen, so wie Hamilton, waren Ver-
treter linker Gruppen, die schon seit
Jahren gegen die in ihren Augen raffgie-
rigen Bauunternehmer und Wohnungs-

verwaltungen in der britischen Haupt-
stadt mobilisierten. Aktivisten für eine
andere, gerechtere Welt.

VON STEFANIE BOLZEN
AUS LONDON

„Ich habe lange Zeit in Ost-Berlin ge-
lebt“, erzählte mir John an jenem Juni-
tag 2017 in fast akzentfreiem Deutsch.
„In Ost-Berlin?“, gab ich erstaunt zu-
rück und nahm mir vor, seine Geschich-
te herauszufinden.
Fast 30 Jahre nach dem Fall jener
Mauer, hinter der Hamilton lange Zeit

lebte und arbeitete, treffen wir uns in
seinem Haus in Lewisham. Ein Bezirk
im Südosten Londons, in dem er den
Großteil seines Lebens verbracht hat.
Leidenschaftlicher Kommunist war er
schon als kaum 20-Jähriger im England
der 70er-Jahre. Nach einem Besuch in
Ost-Berlin 1979 entschloss er sich, „he-
rauszufinden, wie das Leben in Ost-
deutschland wirklich ist“.
Für viele Linke in westeuropäischen
Staaten „war die DDR das bessere
Deutschland“, erklärt der britische His-
toriker Anthony Glees. „Sie sahen in der
DDR den genuinen Versuch, die sozia-

Seine Dutzende Seiten dicke Akte, deren
Kopie er zu Hause in London verwahrt,
belegt die ausgiebige Überwachung.
Heimliche Fotos im Radiosender, abge-
fangene Briefe an Freunde. Die Zielper-
son „beugt sich nur schlecht einem
Plan“, heißt es im Abschlussbericht, der
am 4. September 1989 zu dem Fazit ge-
langt, dass es „keine Anhaltspunkte für
eine nachrichtendienstliche Nutzung
des H.“ gab. Für diese magere Bilanz hat-
te die Stasi sogar Hamiltons Ex-Freun-
din erpresst, Informationen über ihn
preiszugeben. „Als ich sie nach der Wen-
de besuchte und sagte, dass ich Einsicht
in meine Akte nehmen wollte, sagte sie
,Ach, das ist der Mühe nicht wert‘“, er-
zählt er lachend. Hat es ihn nicht belas-
tet, dass eine so vertraute Person ihn an
die Stasi verraten hat? Hamilton zuckt
als Antwort mit den Schultern.
Nach zwei Jahren bei Radio Berlin In-
ternational ging Hamilton zurück nach
England. Der Liebe wegen kehrte er
1987 nach Ost-Berlin zurück, zog mit
seiner damaligen Freundin zusammen
und nahm einen Job bei der staatlichen
Übersetzungsagentur Intertext an. We-
nige Monate später, am 17. Januar 1988,
geriet das traditionelle Gedenken am
Todestag von Rosa Luxemburg und Karl
Liebknecht zur ersten großen Heraus-
forderung des Regimes. Demonstranten
hielten Banner hoch mit Luxemburgs
Ausspruch „Freiheit ist immer die Frei-
heit der Andersdenkenden“. Stasi-Mit-
arbeiter nahmen 120 Demonstranten
fest, mehrere Teilnehmer wurden in die
Bundesrepublik abgeschoben.
Angesichts der zu erwartenden Pro-
teste im Westen ließ das Zentralkomi-
tee eine Pressemitteilung zu dem Vor-
fall auf Englisch herausgeben. „Da habe
ich mich zum ersten Mal geweigert, mit
meinem Namen die Abnahme einer
Übersetzung abzusegnen“, sagt Hamil-
ton. Dies sei der Vorteil der Nichtdeut-
schen gewesen, die im Dienste der Ab-
teilung Agitation standen, sagt Jochen
Staadt, Politikwissenschaftler an der
Freien Universität Berlin: „Sie konnten
jederzeit auch wieder gehen.“ Staadts
Recherchen zufolge belief sich die Zahl
der Westeuropäer, die es in die DDR
zog, über die Jahrzehnte nur auf ein
paar Tausend. „Der weitaus größte Teil
der Ausländer kam aus dem sogenann-
ten befreundeten Ausland“, so Staadt,
mithin aus dem Ostblock, aus Vietnam
und Mosambik.
Als die Mauer am 9. November 1989
fiel, lebte Hamilton im englischen Not-
tingham. „Es war wunderbar, dass die
Mauer weg war – wenn die Ostdeut-
schen danach das Land hätten aufbauen
können, das sie wollten.“ Stattdessen
sei er nach der Wende im Osten auf lau-
ter Menschen getroffen, die nur einen
Mercedes haben und reich werden woll-
ten. „Das waren nicht die Leute, die sich
politisch eingesetzt hatten für mehr
Freiheit.“

Der Rotfunker


John Hamilton siedelte von Großbritannien nach Ost-Berlin über und sendete von dort aus


Propaganda ins westliche Ausland. Die DDR war für ihn das bessere Deutschland


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/ WILFRIED GLIENKE; LIONEL DERIMAIS (2)

Deutsch-sowjetische Propaganda: Die Kosmonauten Waleri Bykowski (l.) und Sigmund Jähn salutieren 1978 nach der Rückkehr von ihrem Weltraumflug für die Presse.
Auch John Hamilton (r.) half, das Image des Ostens aufzupolieren. Dass er selbst Opfer der Stasi wurde, wie seine Akte (o.) zeigt, scheint er fast vergessen zu haben

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