Die Welt - 09.11.2019

(ff) #1
„Es ist unsere Pflicht, an einem besseren System zu arbeiten“,
sagte Ursula von der Leyen (links) in ihrer Laudatio auf
Shoshana Zuboff (2.v.r.). Auch Friede Springer (r.) und
Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der
Axel Springer SE, gehörten zu den Gratulanten

DPA

/ BERND VON JUTRCZENKA

Preisträgerin
Shoshana Zuboff
bei der
Preisvergabe im
JJJournalistenclub ournalistenclub
von Axel Springer

FRANK ZAURITZ

B


edrohliche Worte sind es, die
Shoshana Zuboff ihren Lesern
schon auf der sechsten ihres insge-
samt 727 Seiten langen Werks „Das
Zeitalter des Überwachungskapita-
lismus“ entgegenwirft: „Es geht um die Verfins-
terung des digitalen Traums und dessen rapide
Mutation zu einem ganz und gar neuen, gefräßi-
gen, kommerziell orientierten Projekt, dem ich
den Namen Überwachungskapitalismus gegeben

gen, kommerziell orientierten Projekt, dem ich
den Namen Überwachungskapitalismus gegeben

gen, kommerziell orientierten Projekt, dem ich

habe.“ Und es sind Worte, die aufrütteln, die
nachdenklich stimmen, in einer Zeit, in der Face-
book, Google und Co. fest zum täglichen Alltag
gehören, in der Smartphones per Fingerabdruck
entsperrt und Banküberweisungen mit einem
kurzen Nicken in eine Kamera automatisch frei-
gegeben werden.
Die Harvard-Professorin Zuboff sieht die
Menschheit am Scheideweg. Bekommt die Poli-
tik die wachsende Macht digitaler Konzerne in
den Griff – oder überlassen wir uns „der verbor-
genen Logik“ eben jenes Überwachungskapita-
lismus? In ihrem neuesten Buch zeichnet die
Vordenkerin „ein Bild der neuen Märkte, auf de-
nen Menschen nur noch Quelle eines kostenlo-
sen Rohstoffes sind – Lieferanten von Verhal-
tensdaten“.

VON FLORIAN GEHM

Unter anderem für solche kritischen Überle-
gungen über die Rolle von Daten im 20. und 21.
Jahrhundert wurde die Wirtschaftswissenschaft-
lerin und Buchautorin jetzt mit dem Axel Sprin-
ger Award 2019 ausgezeichnet. Die langjährige
Kritikerin einer datengetriebenen Internetöko-
nomie nahm den Preis bei einer feierlichen
Abendveranstaltung im Journalistenclub von
Axel Springer in Berlin entgegen.
Die Laudatio auf die vierte Preisträgerin des
Awards hielt Ursula von der Leyen, die desig-
nierte Präsidentin der Europäischen Kommissi-
on. Die CDU-Politikerin nutzte den Abend auch,
um einen Teil ihrer Agenda als künftige Kommis-
sionschefin zu skizzieren: „Es ist unsere Pflicht,
an einem besseren System zu arbeiten, das auf
unseren Werten von Freiheit, Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit basiert“, sagte von der
Leyen. Neben enormen Vorteilen berge das
World Wide Web auch große Risiken. Europa
werde deshalb hart arbeiten müssen, um eine
größere Rolle in der Digitalära zu spielen. Dafür
müsse man die digitale Kompetenz der Bürger
steigern „und die nötigen Regeln für Unterneh-
men schaffen, die einen verantwortungsvollen
Umgang mit Daten sichern“. Als Beispiele für
bisherige Schritte nannte sie unter anderem die
europäische Datenschutzgrundverordnung
DSGVO und die Urheberrechtsreform.
Zudem, so von der Leyen, brauche es Men-
schen wie Zuboff, die kritisch den Wandel be-
gleiten und die vorherrschende Meinung infrage
stellen. Der langfristige Erfolg Europas sei
schließlich auch eine Frage der Souveränität:
„Technologisch müssen wir auf europäische Lö-
sungen und Standards setzen“, forderte die an-
gehende Kommissionspräsidentin.
Bürgerrechte gelte es analog wie digital um je-
den Preis zu schützen. Im Vergleich zu Staaten
wie den USA oder Russland habe Europa eine
lange Tradition darin, das Gleichgewicht zwi-
schen Staat und Markt zu finden.
Auch Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzen-
der des Medienkonzerns Axel Springer, mahnte,
sich daran zu erinnern, welche Bedrohung für
die Freiheit von einer unkontrollierten Informa-
tionssammlung ausgehe: „Vor dem Hintergrund
der Debatte zu 5G ist das Thema hochaktuell.“
Seit Monaten schwelt weltweit ein Streit da-
rüber, ob der chinesische Technologiekonzern
Huawei beim Aufbau von 5G-Netzwerken mit-
wirken darf – und dabei möglicherweise die
technischen Bedingungen für die chinesische
Regierung schaffen könnte, hier zu spionieren.
Huawei-Chef Ren Zhengfei wies Kritik an sei-
nem Unternehmen gerade erst zurück. Er könne
„mit Sicherheit“ versprechen, dass Huawei keine
Daten an die Regierung weitergebe, sagte er am
Huawei-Hauptsitz im südchinesischen Shenz-

hen. „Die deutsche Regierung wird für sich die
beste Entscheidung treffen“, sagte Ren. Huawei
wolle seine Produkte in so viele Länder wie mög-
lich verkaufen. Die Technik des Konzerns werde
in Deutschland „dringend benötigt“.
Wohl auch mit solchen Diskussionen im Hin-
terkopf betonte Zuboff selbst in ihrer Rede in
Berlin die Verantwortung der Politik. Nutzer
und Techunternehmen befänden sich in einem
Wettrüsten. „Wir verstecken uns, indem wir Da-
tenschutzsoftware in unserem Browser installie-
ren. Dann entwickeln Techunternehmen neue
Mittel, um uns zu finden. Woraufhin wir nach
neuen Wegen suchen, uns zu verstecken“, mahn-
te Zuboff. Das sei nicht normal, es müsse wieder
klar werden, dass Datenschutz nicht Privatsache
ist: „Datenschutz ist eine soziale, gesellschaftli-
che Angelegenheit.“
Zuboff ist eine Frau der klaren Worte. Sie stu-
dierte Philosophie an der Universität Chicago,
promovierte in Sozialpsychologie an der Universi-
tät in Harvard. Ab 1981 war sie Professorin an der
Harvard Business School. Außerdem forscht sie in
Harvard am Berkman Center for Internet and So-
ciety. Bereits 1988 schrieb sie den Bestseller „In
the Age of the Smart Machine“, in dem sie die
technologischen Entwicklungen und die daraus re-
sultierenden Kontrollmechanismen vorhersagte.
Mit dem Begriff „Dark Google“ prägte sie 2014 die
Debatte um die digitale Zukunft und Big Data.
Eindringlich warnt Zuboff seit Jahren vor ei-
ner „Revolte gegen die Menschen, verborgen in
dem trojanischen Pferd der digitalen Technolo-
gie“. Private Erfahrungen seien zu einem frei zu-
gänglichen Rohmaterial für die kapitalistische
Produktion und den Warenaustausch geworden.
Auch bei der Preisverleihung warnte Zuboff ve-
hement davor, sich Google, Facebook und Co. zu
unterwerfen.
Das Problem: „Es gibt keinen Wettbewerb bei
Suchen und sozialen Medien im Internet. Er
wird durch die Macht einiger, weniger Firmen
unterdrückt“, so Zuboff. Um den Wettbewerb zu
reaktivieren, müsse man das Prinzip von Ange-
bot und Nachfrage im Überwachungskapitalis-
mus durchbrechen, Nutzern etwa wieder die
Möglichkeit geben, über ihre fast unsichtbar er-
hobenen biometrischen Daten zu verfügen.

„Das raubt uns jegliche Möglichkeit zu Einver-
ständnis und Widerspruch“, so Zuboff. Sie
sprach von „purem Diebstahl“ durch Konzerne.
Die heutigen Schwergewichte wie Facebook pro-
fitierten von einer „Überwachungsdividende“,
weil sie als große Plattformen Massen an Nut-
zerdaten an sich ziehen könnten. Immer wieder
nahm Zuboff deshalb die Politik ins Visier. „Wir
haben Organhandel, Sklaverei und Menschen-
handel verboten – weil sie destruktiv, gewalttä-
tig und undemokratisch sind“, so Zuboff. Heute
müsse man den Wert, den Daten haben, ebenso
neu denken. „Das können wir nur unter der Au-
torität des vom Staat geschützten Individuums
erreichen. Nur ich darf entscheiden, wer mein
Gesicht erkennen und was er damit anstellen
darf. Das ist mein Recht als Bürger in einer de-
mokratischen Gesellschaft.“
Angesichts dessen dürfte Zuboff die Zusam-
mensetzung der neuen EU-Kommission gefal-
len. In von der Leyens EU-Kabinett soll Wettbe-
werbskommissarin Margrethe Vestager, die
Google bereits mit mehreren Milliardenstrafen
belegt hatte, eine stärkere Rolle mit dem zusätz-
lichen Amt der Vizepräsidentin spielen.
Mit Shoshana Zuboff zeichnete der Medien-
konzern Axel Springer, zu dem auch WELT ge-
hört, zum vierten Mal eine Persönlichkeit aus,
die in besonderer Weise innovativ ist, Märkte
schafft und verändert, die Kultur prägt und sich
gleichzeitig ihrer gesellschaftlichen Verantwor-
tung stellt. Zubhoff erhält den Preis, nachdem in
den vergangenen Jahren Facebook-Gründer
Mark Zuckerberg, Interneterfinder Tim Berners-
Lee und Amazon-Chef Jeff Bezos geehrt wurden.
Der Axel Springer Award ist ein ideeller Preis oh-
ne Preisgeld, über seine Vergabe entscheidet der
Vorstand der Axel Springer SE nach Vorschlägen
von Mitarbeitern und aus der Öffentlichkeit.
„Die Berliner Mauer fiel aus vielen Gründen,
vor allem aber, weil die Menschen in Ostberlin
sich sagten: Jetzt reicht’s!“, schreibt Zuboff im
letzten Kapitel ihres aktuellen Buches. Auch wir
könnten die Urheber vieler schöner und großar-
tiger neuer Fakten sein, die die digitale Zukunft
als Zuhause der Menschheit einfordert – „als un-
ser Heim“, sagt sie und fügt hinzu: „Es reicht!
Nehmen wir dies als unsere Deklaration.“

Shoshana Zuboff zieht


seit Jahren gegen


die Tech-Giganten


des Internetzeitalters


zu Felde. Die Ökonomin


warnt Bürger davor, sich


Facebook, Google & Co.


zu unterwerfen.


Jetzt wurde sie mit dem


Axel Springer Award


ausgezeichnet


Die PROFESSORIN,


der es reicht


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09.11.19 Samstag, 9. November 2019DWBE-HP


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