Berliner Zeitung - 09.11.2019

(Joyce) #1

M


ichael Zahn, Vor-
standsvorsitzender
der Deutsche Woh-
nen, ist es gewohnt
angefeindetzuwerden.EineBerliner
Initiativeplant dieEnteignung sei-
nesUnternehmens.Erh ältdagegen
–und erwartet auchvonder Politik
LösungenfürdieWohnungskrise.


Herr Zahn, wo warenSieam9.No-
vember1989,alsdieMauerfiel?
Ichhabe stundenlang zuHause
vordemFernsehergesessenundmir
alles angeschaut.Damals studierte
ich in Freiburg, wir haben alle mit
großen AugeninRichtungOstenge-
blickt. Wirwaren starkberührtvon
dem,wasindiesenTagengeschah.


Hatten SieVerbindungen nachBer-
lin,odersogarindieDDR?
Ichwar während meinesStudi-
ums tatsächlich viel inBerlin. Ich
habe inWest-Berlin allerdings im-
mer ein beklemmendesGefühl ge-
habt.DerOst-West-Konfliktwardort
jamitHändenzugreifen.


SiesinddannnachdemMauerfall,in
den frühen 90er-Jahren, nachBerlin
gezogen.WolagIhr eersteWohnung?
Diewar mitten in Kreuzberg.Ich
habe mir mit einemFreund eine
Wohnung geteilt, Altbau im Oran-
ienkiez,80QuadratmeterzurMiete.


HabenSiesichdor twohlgefühlt?
Sehr.Das war ein ganz schönes
Kontrastprogramm zu dem, was ich
in Freiburggewohnt war.Esw ar
auch einExperiment.Ichwollte die
Stadtliv eimU mbrucherleben.


WohabenSieinB erlingearbeitet?
Wiesov iele habe ich imTreu-
hand-nahenBereich gearbeitet.Ich
war in einemWirtschaftsprüfungs-
unternehmen tätig und bin viel in
Ostdeutschland und inOst-Berlin
umhergereist.Ichhabe vieleMen-
schenundFirmenkennengelernt.


WiewardamalsIhrEindruckvomOs-
tenund vomWesten?
IchhabeindenerstenJahrensehr
ambivalente Gefühle gehabt. Ich
hatte denEindruck, dass dieWest-
BerlinerderWiedervereinigungsehr
kritisch gegenüberstanden–insbe-
sondere,alsklarwurde,dassvieleih-


rerVorteile wegfallen würden.In
Ostdeutschland waren die Men-
schendagegensehroffen,neugierig
und aktiv.Ostdeutschland war für
micheinesehrpositiveErfahrung.

Damalsistmandavonausgegangen,
dass Berlin schnell boomt und groß
wird. Haben Siedamals geglaubt,
dassdaswirklichsoschnellkommt?
Ichwar insgesamt eher kritisch.
Wennichzurückdenkeandieersten
Wahlenin Ostdeutschland1990und
diepolitischeLage:Ichhabedamals
eher Oskar Lafontaine alsHelmut
Kohl unterstützt.Ichwar der Mei-
nung, dass dieWiedervereinigung,
so wie sie angegangen wurde,nicht
funktionieren kann. Mitmeinem
volkswirtschaftlichen Hintergrund
wussteich,dassdieWährungsunion
mit demUmtauschkursvon1:1 für
Ostdeutschland gravierendeFolgen
habenwürde.Unddie Euphoriehat
sich dann ja auch komplett insGe-
genteil verk ehrt. Kohl hat damals
versprochen, dass die Lebensver-
hältnisse inOstdeutschland spätes-
tens in fünfJahren demwestdeut-
schenNiveauangeglichenwerden...

BlühendeLandschaften!
Ja.Aber was wir gesehen haben,
ist, dass es schon in den 90er-Jahren
einenmassivenAnstiegderArbeitslo-
sigkeit gab und enorme strukturelle
Probleme.Heute bezweifle ich, ob
man das anders hätte machen kön-
nen. DerDruck auf derStraße war
einfachsogroß.Gleichzeitigfindeich
aus heutigerSicht auch, dass wir die
Lehren aus dieserZeit lebendig hal-
ten und mit demBegriff „politische
Krise“ –wie jetzt nach derWahl in
Thüringen–vorsichtiger und sensi-
bler umgehen sollten.Wirsollten
auchdavonwegkommen,diefüralle
sichtbarenundgroßenHerausforde-
rungen kleinzureden oder gar zu
ignorieren.Genau das hat dazu ge-
führt, dass wir heute ein enormes
Glaubwürdigkeitsproblem in derPo-
litikhaben.

IhrUnternehmen, die Deutsche
Wohnen, ist in eine harte gesell-
schaftlicheDebattegeraten.Auchda
gehtesumVertrauen.HättenSievor
vier Jahren damit gerechnet, dass
heute eine Enteignungsfrage im
Raumsteht?

Nein,ichhättemirnichtvorstellen
können,dasswirheuteüberdieEnt-
eignunggroßerUnternehmendisku-
tieren. DieZuspitzung desWoh-
nungsthemaswürdeichsoumschrei-
ben: DieMenschen haben dasGe-
fühl,dassdiePolitikkeineAntworten
hat.Dasgiltfür Wohnengenausowie
für Fragen derIntegration oder des
Klimawandels.Diese gefühlteHilflo-
sigkeitführtdazu,dasswirimmerpo-
pulistischer und inExtremen disku-
tieren. ZumThemaWohnensageich
ganz klar:Esi st nicht damit getan,
einseitig Märkte zuregulieren.Das
schafftkeineLösungen,sondernnur
neue,nochgrößereProbleme.

Voreinigen Tagen hat derBerliner
StaatssekretärFrank Nägele auf ei-
nerPodiumsdiskussionerklärt,dass
er über dieDeutsche Wohnen kein
böses Wort sagen werde. Nägele ge-
hörtderSPDan,diemitGrünenund
Linken denMietendeckel beschlos-
senhat. WiekommunizierenSiemit
derPolitik?
Ichwerfe derPolitik ja nicht den
Mietendeckelvor, sonderndassman
die Wirtschaft in die politischen
Überlegungen überhaupt nicht ein-
bezieht.Warumverlieren denn die

genfindenbiszu70Prozentder Deut-
schendieseAntwortgut.
Ichglaube nicht, dass 70Proz ent
derDeutschendenMietendeckelun-
terstützen. 100Proz ent unterstützen
faires Wohnen,dazugehörenalleMit-
arbeiter derDeutsche Wohnen. Von
der Politik würde ich mir mehrDia-
logbereitschaft mit allen konstrukti-
venKräftenwünschen.Eshilftnichts,
immer nur denjenigen hinterherzu-
laufen,dieamlautestenschreienund
die einfachsten Lösungen propagie-
ren. Es brauchtMut, Wille,Gestal-
tungs-undÜberzeugungskraftsowie
Charakter.Wir müssen für eine Lö-
sung imSinne allerBeteiligten neue
Wege suchen.Dasist auch dieAuf-
gabederPolitik.

MitMut,Willeund Kraftalleinwerden
Siejetzt nicht weiterkommen. Das
Land Berlin wirft derDeutscheWoh-
nenvor, überJahrerechtswidrigsensi-
ble Daten der Mieter gespeichertzu
haben –und verlangt 14,5Millionen
EuroBußgeld.
Wirgehen gegen denBußgeldbe-
scheidvor,weilwirihnfürfalschhal-
ten. Hier stehenVorwürfe im Raum,
die sich aufveraltete Datensätzebe-
ziehen. Es geht um technisch und
rechtlich hochkomplizierte Fragen
eines alten Datenarchivierungssys-
tems und eines komplett neuenDa-
tenschutzrechts.Selbst dieBerliner
Datenschutzbeauftragte erläutert,
dassniemandgeschädigtwurdeund
dieDatennichtdatenschutzwidrigan
Dritte geflossen sind.Siespricht von
„Datenfriedhöfen“ und nicht von
VergehenzuLastenunsererMieter.

Wiegehen Siemit Frau Lompscher
um, derBausenatorin, IhremWider-
partind erPolitik?
Meines Erachtens basieren die
ÜberlegungenvonFrauLompscher
auf einerIdee der 90er-Jahre, einem
„demokratischenSozialismus“.Aber
dieDeutschen,davonbinichderfes-
tenÜberzeugung,wollenkeinen„de-
mokratischen Sozialismus“. Frau
Lompscher ist allerdings eine Über-
zeugungstäterin–das muss ichre-
spektierenundmitihrdiskutieren.

WasistIhr eÜberzeugung?
Ichbinliberaleingestellt.Undich
bin derMeinung, dassRegulierung
nicht derMarkenkernDeutschlands

großen ParteientäglichanRückhalt?
Weilsiemehrmitsichselbstbeschäf-
tigtsindalsmitdenAlltagssorgender
Wähler,umd ie sie sich kümmern
sollten. DieSPD veranstaltet über
fast ein halbes Jahr eine Art
„DeutschlandsuchtdenSuperstar“,
umneueChefszufinden.DieFolge:
GeradedieHälftederMitgliederbe-
teiligt sich.DieandereHälfte weiß
vermutlichnicht,umwelcheThemen
esgeht,oderinteressiertsicheinfach
nichtmehrdafür.Sow irdeinePartei
irrelevant.

SieunterstellenderPolitikTaktik,rei-
nen Machterhalt?Sehen Sienicht,
dasshinterderDebatteumMietenre-
gulierunginBerlinaucheinegewich-
tigegesellschaftlicheFragesteht?
Ichfinde,dasswirdasWohnungs-
themafürBerlindiskutierenmüssen.
Punkt.Undwirwollenunsjaauchak-
tivanderDiskussionbeteiligen.Aber
was ich auf der Politik-Seite be-
obachte,istvorallemPanik.Politiker
stehen unter Druck, können aber
nicht die einfachen Antworten lie-
fern,diedasVolkerwartet.

JetztgibtdiePolitikabereineAntwort:
denMietendeckel.Undind enUmfra-

ist und nicht derErfolgsfaktor sein
kann. Gegen die Wirtschaft zu ent-
scheiden,istfürdiesesLandlangfris-
tigfatal.

WiegehenSiealsChefdesgrößtenBer-
liner Immobilienunternehmens da-
mitum,dassIhrKonzerndenRufhat,
der schlimmste unter den großen
WohnungskonzernenBerlinszusein?
HabenSienichtgeradeselbstden
Staatssekretär zitiert, der dasGegen-
teilgesagthat?Wiedemauchsei:Man
sollte auf allenSeiten mitGelassen-
heit agieren.Wirsind permanent im
Austausch mit demSenat und den
Bezirken. WirhabenVereinbarungen
getroffen, soziale Härten beiModer-
nisierungen abzufedern.Wirhaben
unserenMieternversprochen:Wenn
IhreEinkommenzuniedrigsind,ver-
zichtenwirbeiModernisierungenauf
die Modernisierungsumlage.Kein
Mieter muss Angst um seineWoh-
nunghaben.Wirzeigendamit:Wirals
Unternehmen haben eine soziale
Verantwortung.Ichsuche aber nicht
die offene Bühne,sondernversuche
dieDingemitdemRegierendenBür-
germeister und demFinanzsenator
imDialogzulösen.

HabenSieausFehlerngelernt?
Ferdinand Piëch hat einmal ge-
sagt: Manager,die keineFehler ma-
chen,sindkeinegutenManager.Der
Maßstabfürmichist,ausFehlernzu
lernen. UndnatürlichhabenwirFeh-
lergemacht.Wirhabenunsinunserer
Kommunikation vieleJahrezus tark
aufden Kapitalmarktfokussiert.

Wenn Sieheute neu nachBerlin kä-
men und die Entscheidung treffen
müssten, alsInvestor hier aktiv zu
werden,würdenSieest un?
Ja,weil meinHandeln vonlang-
fristigen Motiven geprägt ist. Ich
glaube,dass die Urbanisierung an-
haltenwird.

Eine letzteFrage: WiewünschenSie
sichBerlinim Jahr2029?
IchwünschemireineoffeneStadt.
Ichwünschemir,dasswirinternatio-
nalerwerden.Undichhoffe ,dassBer-
lin zu denTop-MetropolenEuropas
gehört.

DasIntervie wführten JochenArntz
undElmarSchütze.

Zeitenwende


Berliner Zeitung·Nummer 261·9./10. November 2019 (^11) ·························································································································································································································································································
BERLINER ZEITUNG/PAULUS PONIZAK (4)
MichaelZahn,der
hefderDeutscheWohnen,Ùber+o¬ulismusnichtnurinderBerliner+olitik,
durchausgute
rinnerungenan#skarafontaineundseineersteWohnunginKreuãberg
„NatÙrlichhabenwirehlergemacht“
„MeinesErachtens basieren die
ÜberlegungenvonFrauLompscherauf
einer Idee der 90er-Jahre, einem
,demokratischenSozialismus‘.“
MICHAEL ZAHN
...wird im Juni 1963 geboren.
...wächstinFreiburgimBreisgau
auf,woer 1992 seinDiplomals
Volkswirterwirbt.
...steigt 1997 beiderlandesei-
genenWohnungsbaugesell-
schaftGehaginBerlinein,beider
er bis 2007 verschiedene Mana-
gerposten übernimmt.
... wird am 1. September 2007
zumVorstand der DeutscheWoh-
nen bestellt und einen Monat
später zumVorstandssprecher.
... leitet von 2014 bis 2018 paral-
lel die KonzerntochterGSW.
... engagiertsich unteranderem
im Wirtschaftsratder CDUBerlin.

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