Der Tagesspiegel - 09.11.2019

(Darren Dugan) #1

Frau Bause, als die Mauer aufging, hatten
Sie da Träume oder Albträume?
Ich wusste erst einmal nicht, was passieren
wird. War der Mauerfall nur ein Fake, würde
ausder Maueröffnunggleichwieder eineMau-
erschließung? Würden die Russen kommen?
Als Günter Schabowski am Abend von der
Grenzöffnung sprach, war ich vollkommen
verunsichert, ob das jetzt Scherz oder Ernst
war. Ich habe mir 30 Pfennig aus der Geld-
börse meines Vaters geklaut und bin sofort
mit meinem Freund rüber. Sein Bruder war
wegen eines Ausreiseantrags ein paar Monate
vorher abgeschoben worden. „Wir besuchen
Andreas in West-Berlin“, das war unser Ziel.
Als ich beim Rotwein irgendwo im Wedding
saß,warmeine größte Angst, obmich die „Or-
gane“, vor denenuns eine riesigeAutoritätein-
gebläut worden war, auch tatsächlich wieder
zurücklassen – in meine Heimat, in mein Zu-
hause, in meine Geborgenheit.


Von den Veränderungen, die auf Sie zu-
kommen würden, hatten Sie gar keine
Vorstellung?
Es war jeden Tag anders. Schabowski, Krenz,
Modrow, der hier, der da, der nicht. Ich war ja
aber ein junger, positiver Mensch, für mich
war das alles nur spannend. Monate später
kam die Katerstimmung nach dieser Eupho-
rie, wir schaffen ein zweitesDeutschland, was
sozialer, vielleicht sogar ein bisschen sozialis-
tischer ist. Für mich hat das Wochen, Monate,
ja Jahre gedauert, bis ich zur Ruhe gekommen
bin.


Im Osten waren Sie eine Schlagersänge-
rin mit großer Zukunft, im Westen na-
hezu unbekannt. Hatten Sie die Erwar-
tung, dass Sie Ihre Karriere bruchlos wür-
den fortsetzen können?
In meiner Familie haben wir zwei Generatio-
nen Wende durchlebt. Mein Vater Arndt, um
die 50, gehörte zu der Generation, die eigent-
lich nicht mehr von vorne anfangen konnte.
Mir stand mit Anfang 20 die Welt offen. Ich
war relativ attraktiv, bildete mir ein, mein
Handwerk zu verstehen, hatte einen Hoch-
schulabschluss, habe im Sommer 1990 den
dritten Platz in der „ZDF-Hitparade“ belegt
als Künstlerin aus der DDR, hatte sofort einen
Vertrag bei der Plattenfirma Virgin. Na, holla,
die Waldfee, dachte ich mir, das geht einfach
weiter so wie bisher. Das Erwachen kam so
1993, 1994. Die Ostler wollten mich nicht
mehr hören, die Westler hatten ihre eigenen
Künstler. Da musste ich neu sortieren, da war
ich aber immer noch erst 24. Ich habe nie Pa-
nik bekommen. Ich habe angefangen, Kinder
zuschminken,und Flyerverteilt. Was ichaber
nie gemacht habe: Ich habe nie meinen Job,
meinen Beruf beschädigt. Ich habe lieber
keine Platte produziert, als einen Kompro-
miss abzuliefern, für den ich mich hätte schä-
men müssen.


Womit haben Sie Glück, womit Pech
gehabt?
Ich sehe mich nicht als einen Menschen, der
in irgendeiner Weise Pech hatte – anders als
die Menschen in Bitterfeld oder in Leuna, wo
der einzige Betrieb von der Treuhand abgewi-
ckelt wurde. Da war Feierabend. Wenn ich
dann heute bei sehr gut bezahlten Veranstal-
tungen in Bayern höre: Na, die hätten doch in
den Westen gehen können oder sich sonst wie
verändern können, dann geht mir das Messer
in der Tasche auf. Mir ist dieses Unverständ-
nis 30 Jahre nach dem Mauerfall unverständ-
lich. Hört Euch diese Lebensläufe an, von
West nach Ost, von Ost nach West!


Die DDR war für Sie, das neue Deutsch-
land wurde für Sie ...
DieDDR war für mich eine sehr schöne, privi-
legierte Kindheit. Dazu stehe ich auch, weil
mein Vater als hochbegabter und hocherfolg-
reicher Komponist natürlich sein Ein- und
Auskommen hatte. Und dieDDR war für mich
Ausbildung auf höchstem Niveau – jeder hatte
Zugang zu Kunst und Bildung.


Welches ist der größte Irrtum zur DDR?
Dass wir erst im Nachhinein von vielem erfah-
ren haben, was hier alles gelaufen ist, Zwangs-
adoption nur als ein Stichwort. Wozu dieses
sozialistische System, das SED-Regime, in der
Lage war. Was allein alles im Stasiknast in Ho-
henschönhausen passiert ist! Das wusste ich
nicht, das und noch mehr habe ich nach der
Wende erfahren. Ich habe mich mit Blick auf
dieMachtund ihren Missbrauch inder DDRin
ihrem ganzen Ausmaß geirrt. Man muss aber
auch bedenken, dass ich sehr jung war und
mein Umfeld keine reaktionäre Familie war.

Wie sehen Sie das neue Deutschland?
Immer noch habe ich das Gefühl, das machen
zu können, was ich will. Unglaubliche Freiheit
im Handeln und Tun. Für mich ist das neue
Deutschland aber auch Reglementierung und
leichte Diktatur ...

... leichte Diktatur?
Eine Diktatur des Geldes, man muss immer
nur der Spur der Scheine folgen. Dann sehe
ich auch eine spezielle Form der Zensur. Mei-
nen Sie, ich könnte bei RTL sagen, was ich
wollte? Natürlich kann ich mich besser dieser
Zensur entziehen, als ich es damals in der
DDR konnte. Aber und trotz alledem: Für
mich ist das neue Deutschland Freiheit, es ist
unumkehrbar. Es gibt dazu keine Alternative.
Es muss auch keinem Angst machen, wenn
man etwas Gutes an und in der DDR findet.

Denken Sie nur an die Ärztehäuser, die früher
Polikliniken hießen.

Was ist der größte Irrtum über die BRD?
Man kann doch nicht alles sagen, es gibt nicht
die unumschränkte Meinungsfreiheit, man-
ches hat eine unangenehme Konsequenz, eini-
ges ist unmöglich. Es wird nimmer ein Linker
Chefredakteur im Bayerischen Rundfunk. Und
der Profit ist das Regulativ.

Was fehlt im vereinten Deutschland?
Die Wertschätzung des Ostdeutschen. Es ist
für mich dabei überhaupt keine Lösung, dass
die AfD in den ostdeutschen Ländern gewählt
und so stark gewählt wird. Es hat sich abge-
zeichnet: Zu wenig Arbeit, zu wenig Rentenab-
sicherung–fürmich istdieserAufbau Ostblan-
ker Zynismus. Es geht nicht um Geschenke, es
geht um Respekt vor dem Anderen, um Liebe,
um Wertschätzung, um Wärme – nicht aus-
schließlich um neue Hotels und neue Straßen.
Das wird so nicht gesehen, auch nicht von vie-
len Parteien. Die Linke, diese Macht nach der
Wende, hat es beispielsweise nicht verstan-
den, bei den Menschen zu bleiben.

Ist die geringe Wertschätzung nur von
West nach Ost zu sehen, oder gibt es sie
auch zwischen Ost und Ost?
Allerdings gibt es das. Uns wurde ja kein star-
kes Rückgrat antrainiert. Wir durften es nicht

haben, wir konnten nicht offen unsere Mei-
nung sagen und nicht offen kämpfen. Unsere
Aufsätze haben wir schon als Kinder so formu-
liert, dass wir eine Eins kriegen: Wir möchten
immer in Frieden leben und dass unser russi-
scher Bruder immer an unserer Seite steht.
Wumms und eine Eins. Deswegen konnte man
nicht am Tag eins nach der Wende von uns
verlangen, dass wir wissen, was wir wollen.
Ich bin meinem Plattenchef und all den ande-
ren aus dem Westen gefolgt, weil die ja wuss-
ten, wo es langgeht. Erst Jahre später habe ich
bemerkt, dass die uns gegenüber auch schüch-
ternwaren. Dawaren wirklich nichtnur Bevor-
mundung und Gemeinheit im Spiel. Wir ha-
ben uns mitunter auch nicht mit Ruhm bekle-
ckert und so manchen zugezogenen Wessi im
Brandenburger Land nicht mit offenen Armen
empfangen. Es war für uns alle damals die
erste Wende. Da passieren Fehler, die man
aber immer korrigieren kann – dafür sollte es
nie zu spät sein.

Und wird sich noch alles einrenken?
Natürlich. Noch gibt es diese Kriegs- und
Nachkriegsgeneration à la DDR, die unter die
Räder gekommen ist. Da darf man sich aber
nicht mit Vorwürfen aufhalten, sich gegensei-
tig runtermachen, sondern miteinander nach
vorne schauen.

Sind Ihre Auftritte als Sängerin im Osten
Fahrten in die Vergangenheit?
Im Westen wurde mir wie vielen Künstlern
aus der DDR nahegelegt, nicht zu sagen, dass
ich aus dem Osten komme. Das war ein Makel.
Ich habe immer dazu gestanden, bin nicht
nach Hamburg gezogen und habe die Bio um-
geschrieben. Wenn ich heute in Dresden Lie-
der aus meiner Kindheit, aus meinem Reper-
toire, von meinem Vater singe und ein paar
„Bauern“-Witze mache, liegen sie mir zu Fü-
ßen – in Köln oder München kämen keine
zehn Leute. Ich kann, 30 Jahre nach der
Wende, im Westen beruflich nicht das ma-
chen, was ich im Osten mache. Aber es verän-
dert sich, bald wird es keine Frage mehr sein,
wer wo herkommt, sondern ob er es als Künst-
ler bringt. Jetzt quälen wir uns halt noch ein
paar Jahre mit der Nachwendezeit herum.

Mussten Sie durch die Radikalität der
Wende schneller erwachsen werden?
Ich war ein sehr verwöhntes Kind, aber ja. Ich
musste das Prinzesschen abschütteln, von
vorne anfangen. Habe viel Lehrgeld gezahlt,
meinem Vater hat es das künstlerische Genick
gebrochen. Ihm wurde hochnäsig gesagt, das
sei jetzt aber eine Ostmelodie. Er wurde belei-
digt, ihm wurde sehr wehgetan. Mir wurde ge-
raten, mich von meinem Vater als Komponis-
ten zu trennen. Ich habe dann, mit 22, gesagt,
jetzt sterbe ich meinen Künstlertod. Ich habe
es immer wieder in den vergangenen Jahren
versucht, meinenVaterinsBoot,in meineKon-
zertprogramme zu holen. Mit dem Erfolg des
„Bauern“ habe ich jetzt die Macht, das zu errei-
chen. Ich verdiene mit den „Bauern“ und ver-
wirkliche bei meinen Tourneen meinen künst-
lerischen Traum, mit Band zu spielen, ohne
Druck. Wenn ich mal nicht ausverkauft bin,
steht uns nicht gleich das Wasser bis zum Hals.
Das habe ich RTL zu verdanken und Millionen
Menschen, die „Bauer sucht Frau“ lieben.

Sie sagen, man werde an seinem größten
Erfolg gemessen. Woran werden Sie
gemessen?
Ich bin mein eigener Zollstock. Meine Erfolgs-
geschichte ist meine Tochter. Sie ist gerade 23
geworden, macht ihren Meisterinder Fotogra-
fie. Wir lieben und respektieren uns. Das ist
mein größter Erfolg, dass ich meine Tochter in
der Spur gehalten habe, natürlich und vor al-
lem mit ihrem Zutun. Beruflich versuche ich
immer, die Figur Inka und den Menschen Inka
zusammenzuhalten. Ich möchte daran gemes-
senwerden, ob ich esschaffe, Menschenglück-
lich zu machen. Ich will ein warmer, ein empa-
thischer Mensch sein.

„Für mich ist das neue Deutschland Freiheit,


es ist unumkehrbar.“


VomWert


derWertschätzung


Inka Bausewurde 1968 in Leipzig
geboren. Sie moderiert zahlreiche
Fernsehsendungen, darunter
seit 2005 für RTL „Bauer sucht Frau“.
Außerdem ist sie als Sängerin
künstlerisch aktiv.

Der alte Admiralspalast mit
dem Metropol-Theater an
der Friedrichstraße war die
Vergnügungsstätte der 20er
Jahre und trotz der Kriegs-
schäden auch zu DDR-Zeiten
überaus beliebt. Er sollte nach
der Wende abgerissen werden,
doch dann fand sich doch
noch ein Investor, der den
Admiralspalast sanierte.

Fotos: Sebastian Hesse, Imago (Bause)

Das Dresdner Publikum


verehrt sie, in Köln kommen


keine zehn Leute. Inka Bause


erlebte den Umbruch als


junge, aufstrebende Sängerin,


ihr Zuhause blieb der Osten.


Es mangele an Respekt vor


den Menschen dort, sagt sie.


Mit Inka Bause


sprach Joachim Huber


32 DER TAGESSPIEGEL WOVON TRÄUMST DU? NR. 24 000 / SONNABEND, 9. NOVEMBER 2019

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