Die Welt Kompakt - 12.11.2019

(Joyce) #1
Frau Giffey, wäre es fair zu sa-
gen, dass die SPD nur aus
staatspolitischer Verantwor-
tung in dieser Koalition bleibt?
WWWeil sie Neuwahlen verhinderneil sie Neuwahlen verhindern
will, bei denen die SPD einstel-
lige Werte bekommt und die
AAAfD noch stärker wird?fD noch stärker wird?
GIFFEY: Da sind Sie bei mir an
der falschen Adresse. Ich habe
immer gesagt, dass es richtig ist,
zu regieren und zu gestalten,
wenn man die Chance dazu hat.
Wir haben in der Koalition ei-
nen Vertrag geschlossen, der bis
2 021 gilt. Es dient dem ganzen
Land, wenn wir eine stabile Re-

gierung haben, die gestalten
will. Wir müssen mit den
Endzeitdebatten aufhören.

Dann müssen Sie nur noch Ih-
rer SPD beibringen, die Koaliti-
on auch fortzusetzen.
GIFFEY: Die SPD muss für eine
stabile und verlässliche Regie-
rung stehen, auch nächstes Jahr,
wenn wir die EU-Ratspräsident-
schaft innehaben.
KARLICZEK: Das ist der sprin-
gende Punkt. Die anderen Län-
der erwarten, dass wir in Europa
der stabile Faktor bleiben. Und
diese Erwartung sollten wir im
eigenen Interesse erfüllen.

Das Bundeskabinett will am
Mittwoch die Einrichtung des
Sondervermögens „Ausbau
ganztägiger Bildungs- und Be-
treuungsangebote für Kinder
im Grundschulalter“
beschließen. Das ist der erste
Schritt für den geplanten
Rechtsanspruch auf Ganztags-
betreuung ab dem Jahr 2025.
WWWarum ist Ihnen das Vorhabenarum ist Ihnen das Vorhaben
so wichtig?
GIFFEY: Es geht erstens um die
VVVereinbarkeit von Familie undereinbarkeit von Familie und
Beruf. Wenn Erstklässler schon
mittags wieder hungrig vor der

Tür stehen, ist es für viele Eltern


  • meistens sind es ja die Mütter

  • fast unmöglich, ihrem Beruf
    nachzugehen. Und zweitens
    geht es um Chancengerechtig-
    keit. Denn bei Kindern, die nach
    Schulschluss unbeaufsichtigt
    vor dem Fernseher sitzen oder
    am Handy zocken, verschenken
    wir ihr Potenzial. Ich habe in
    Berlin-Neukölln erlebt, wie die
    Zahl der Gymnasialempfehlun-
    gen steigt, wenn eine Grund-
    schule auf Ganztagsbetrieb um-
    stellt. Wir wollen, dass es jedes
    Kind packt, egal, welche Unter-
    stützung das Elternhaus geben
    kann. Mit einer guten Förderung
    und einem warmen Mittagessen
    tun wir viel dafür, dass der Bil-
    dungserfolg nicht von der sozia-
    len Herkunft abhängt.
    KARLICZEK: Der Ganztagsschul-
    ausbau muss auch zu einer bes-
    seren Bildung beitragen. Jedes
    Kind soll seine Talente und Lei-
    denschaften entwickeln und
    ausleben können. Die zusätzli-
    che Zeit in der Schule sollte für
    die Kinder einfach ein Gewinn
    sein. Deshalb ist die Qualität der
    Angebote so wichtig. Wir sta-
    gnieren derzeit bei allen Bil-
    dungsstudien im Mittelfeld.
    WWWenn wir uns im internationa-enn wir uns im internationa-
    len Wettbewerb behaupten wol-
    len, können wir uns es nicht
    leisten, unsere Kinder mittelmä-
    ßig auszubilden.


Und wenn der Hort eher
VVVerwahranstalt als Bildungs-erwahranstalt als Bildungs-
stätte ist?
GIFFEY: Dann müssen wir daran
was ändern. Es gibt auch Ganz-

N


ach der mühsamen
Einigung der großen
Koalition auf die
Grundrente arbeiten
Franziska Giffey und Anja Kar-
liczek gerade am nächsten
Großprojekt: Die Familienmi-
nisterin von der SPD und die
Bildungsministerin von der
CDU wollen den Rechtsan-
spruch auf Ganztagsbetreuung
fffür Grundschüler auf den Wegür Grundschüler auf den Weg
bringen – in demonstrativer Ei-
nigkeit.


VON SABINE MENKENS
UND ALAN POSENER

WELT:Frau Giffey, Frau Kar-
liczek, der Koalitionsausschuss
hat sich auf einen Kompromiss
bei der Grundrente geeinigt.
Wie wichtig war das für den
Fortbestand der Koalition?
ANJA KARLICZEK:
Die Koalition
hat eine lange strittige Frage ge-
löst, die für viele Menschen
wichtig ist. Das erwarten die
Bürger von uns. Die Lösung ist
vertretbar. Die Zusammenarbeit
in der Koalition ist übrigens
auch sonst weit besser, als im-
mer behauptet wird.
FRANZISKA GIFFEY: Die Eini-
gung ist ein wichtiger sozialpo-
litischer Schritt. Es geht darum,
Lebensleistung anzuerkennen,
wenn Menschen gearbeitet,
Kinder erzogen oder An-
gehörige gepflegt haben und ihr
Leben lang mit wenig Geld aus-
kommen mussten. Gerade die
Frauen und viele Menschen in
Ostdeutschland profitieren
davon.


MARTIN U. K. LENGEMANN/ WELT

6 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DIENSTAG,12.NOVEMBER


„Mut

machen,

sich für

Kinderzu

entscheiden“

Familienministerin Franziska Giffey


(SPD) und Bildungsministerin Anja


Karliczek (CDU) über das nächste


Großprojekt: den Rechtsanspruch auf


Ganztagsbetreuung in der Grundschule


Bildungsministerin Anja Kar-
liczek (CDU)

MARTIN U. K. LENGEMANN/ WELT

tagsangebote, die so gut sind,
dass die Kinder traurig sind,
wenn die Ferien losgehen. Es ist
AAAufgabe der Kommunen und derufgabe der Kommunen und der
Länder, ein gutes Angebot auf
die Beine zu stellen. Wir können
da als Bund nicht hineinreden
und alles abnehmen. Aber wir
sagen: Gute Bildung ist eine na-
tionale Zukunftsaufgabe. Und
deshalb wollen wir jetzt gemein-
sam mit den Ländern die Wei-
chen stellen, damit der Rechts-
anspruch 2025 eingeführt wer-
den kann. Dafür stellen wir in
dieser Legislaturperiode zwei
Milliarden Euro für Investitio-
nen bereit.
KARLICZEK: Wir legen jetzt die
Richtung fest, damit sich die Be-
teiligten auf den Weg machen
können. Der Bund investiert in
die Infrastruktur, die Länder
entwickeln die pädagogischen
Konzepte. Den Ganztagsschul-
ausbau sollte man als Teil einer
Modernisierung des gesamten
Bildungssystems sehen. Eigent-
lich ist der Ganztagsschulaus-
bau keine Aufgabe des Bundes.
AAAber wir wollen den Ländernber wir wollen den Ländern
helfen, das zu stemmen, ähnlich
wie wir es beim Digitalpakt ge-
tan haben.

Inwiefern ist es eine Hilfe,
wenn Sie einen Rechtsan-
spruch formulieren, den nicht
Sie einlösen müssen, sondern
die Länder und Kommunen?
GIFFEY: Als das Ziel in den Ko-
alitionsvertrag geschrieben
wwwurde, saßen auch Länderver-urde, saßen auch Länderver-
treter mit am Tisch. Wir haben
außerdem noch fünf Jahre Zeit,
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