Die Welt Kompakt - 12.11.2019

(Joyce) #1

8 POLITIK DIE WELIE WELIE WELT KOMPAKTT KOMPAKT DIENSTAG, 12. NOVEMBER 2019


Joe Ogbodu


I


n Nigeria ist der Journalist
Joe Ogboduwegen „übler
Nachrede“ und „Unruhestif-
tung“ angeklagt worden. Der
Journalist, der als Redakteur
für das Online-Nachrichtenpor-
tal „BigPen Nigeria“ arbeitet,
war am 22. Oktober dieses Jah-
res verhaftet und für mehrere
Stunden von den Behörden ver-
nommen worden. Zuvor hatte


der Geschäftsmann Sam Ogri
Anzeige gegen ihn erstattet.
Laut Recherchen des Komi-
tees zum Schutz von Journalis-
ten (CPJ) wird Ogbodu in der
Anklageschrift zur Last gelegt,
sich der Verleumdung gegen
Sam Ogri schuldig gemacht zu
haben. Die Vorwürfe gehen wo-
möglich auf einen Artikel zu-
rück, der am 14. Oktober auf der
Website von „BigPen“ Nigeria
veröffentlicht wurde. In diesem
war gemutmaßt worden, dass
Sam Ogri sich im nigeriani-
schen Bundesstaat Delta an der
Veruntreuung von Geld aus der
Ölindustrie beteiligt habe. Soll-
te der Anklage gegen Ogbodu
stattgegeben werden, dann
droht ihm eine Haftstrafe von
bis zu drei Jahren.
Auf der weltweiten Rangliste
der Pressefreiheit der Organi-
sation Reporter ohne Grenzen
liegt Nigeria auf Platz 120 von
180 Ländern.


@DONSEPH

/ SYSTEM

#Free


them


all


FFFreeree


them all


In Kooperation mit
REPORTER OHNE GRENZEN


Fünf Monate nach Ausbruch
der Proteste gegen die Regie-
rung in Hongkong nimmt die
Gewalt kein Ende: Nachdem
am Montagmorgen erneut ein
21 Jahre alter Demonstrant von
einem Polizisten angeschossen
und in den Oberkörper getrof-
fen worden war, spielten sich in
der chinesischen Sonderver-
waltungsregion teils chaotische
Szenen ab. Insgesamt waren
nach Angaben von Hongkongs
Regierungschefin Carrie Lam
mehr als 60 Verletzte zur Be-
handlung im Krankenhaus. Da-
runter war auch ein Regie-
rungsanhänger, der mit einer
brennbaren Flüssigkeit über-
gossen und angezündet worden
war. An mehreren Ortenentlu-
den sich Proteste in Gewalt.


Demonstrant


in Hongkong


angeschossen


D


ie türkische Regierung
hat angekündigt, aus-
ländische Dschihadis-
ten in ihre Heimat ab-
zuschieben. Die Hauruckaktion
der Erdogan-Regierung zeigt, dass
die Debatte über IS-Rückkehrer
nicht nur eine sicherheitspoliti-
sche ist, sondern längst zum poli-
tischen Machtspiel geworden ist;
mit verschiedenen Akteuren am
Spieltisch.

VON MANUEL BEWARDER
UND IBRAHIM NABER

WELT ordnet die Entwicklun-
gen mit Blick auf die aktuelle Ge-
samtlage in Nordsyrien ein und
erklärt, warum die Bundesregie-
rung unter Zugzwang steht.

WWWie viele IS-Anhänger befindenie viele IS-Anhänger befinden
sich derzeit im Ausland?
AAAktuell registrieren Bundesbehör-ktuell registrieren Bundesbehör-
den rund 120 IS-Haftfälle mit
Deutschlandbezug im Ausland.
RRRund 70 Prozent von ihnen besit-und 70 Prozent von ihnen besit-
zen die deutsche Staatsbürger-
schaft, davon etwa 30 Doppel-
staatler. Die restlichen Personen
reisten zwar aus der Bundesrepu-
blik in das IS-Gebiet, gehören
aaaber anderen Staaten an. Dieber anderen Staaten an. Die
deutliche Mehrheit der ausgereis-
ten Dschihadisten befindet sich
derzeit in Nordsyrien; Frauen und
Kinder in Sammellagern, Männer
unter strikteren Haftbedingungen
in Gefängnissen. Unter ihnen sind
auch Personen, die an schweren
VVVerbrechen und Gräueltaten be-erbrechen und Gräueltaten be-

teiligt waren. Zum Beispiel Martin
Lemke, 28, aus Sachsen-Anhalt,
der offenbar eine hochrangige Po-
sition beim IS innehatte.
Insgesamt sind nach offiziellen
Angaben rund 1050 Männer und
Frauen seit 2013 aus Deutschland
in syrische oder irakische Kriegs-
gebiete ausgereist. 220 deutsche
Kämpfer kamen nach Einschät-
zung von Sicherheitsbehörden in
den Kriegsgebieten ums Leben.
Jeder Dritte von ihnen kehrte be-
reits zurück. Von etwa 270 Perso-
nen fehlt jede Spur.
Bislang konnten deutsche
Dschihadisten froh sein, wenn sie
von Kurden in Syrien und nicht
im Irak geschnappt wurden.
Denn Bagdads Regierung macht
oft kurzen Prozess. Knapp zehn
IS-Anhänger aus Deutschland be-
fffinden sich derzeit in der iraki-inden sich derzeit in der iraki-
schen Hauptstadt oder in Erbil in
Haft. Einer von ihnen, Levent Ö.,
wwwurde vor einigen Monaten zumurde vor einigen Monaten zum
Tode verurteilt; das Berufungs-
verfahren läuft. Frauen wie La-
mia K. aus Mannheim erhielten
lange Haftstrafen. Bagdad hat
dem Westen bereits einen Preis
dafür genannt, dass man die IS-
Anhänger nicht nach irakischem
Recht abstraft. Der Deal, der auf
dem Tisch lag: Hundert Millio-
nen pauschal plus mehrere Mil-
lionen Euro jährlich pro IS-Mit-
glied. Dafür wollte man ein Ge-
fffängnis bauen. Im Gespräch warängnis bauen. Im Gespräch war
zudem ein internationales Son-
dertribunal im Irak. Aktuell liegt
dieser Plan auf Eis.

WWWie gefährlich sind IS-Frauen?ie gefährlich sind IS-Frauen?
Einige IS-Rückkehrerinnen skiz-
zierten in Vernehmungen das Bild
unschuldiger Ehefrauen. Für man-
che von ihnen mag das durchaus
zutreffen. Erste Prozesse und
Enthüllungen machten aber deut-
lich, wie stark auch Dschihadistin-
nen mitunter in das System der
Terrormiliz eingebunden waren.
Sie patrouillierten für die Sitten-
polizei bewaffnet auf der Straße,
warben andere Frauen im Netz für
den Dschihad und verübten selbst
Gräueltaten. Da ist etwa Jennifer
WWW., deren Prozess aktuell in Mün-., deren Prozess aktuell in Mün-
chen verhandelt wird. Die 27-Jäh-
rige soll laut Anklage mit ihrem
Mann ein fünf Jahre altes jesidi-
sches Mädchen als Sklavin gehal-
ten haben – den Angaben zufolge
ließ sie es im Sommer 2015 „bei
sengender Hitze qualvoll verdurs-
ten“. Der Prozess gegen Sabine S.
in Stuttgart offenbarte, dass man-
che Frauen auch hinter den Kulis-
sen wertvolle Helfer für die IS-Ka-
lifen waren. Die deutsche Dschi-
hadistin betrieb einen Blog, auf
dem sie von Exekutionen berich-
tete und das Leben im IS pries. In
deutschen Sicherheitskreisen
warnt man davor, die Gefahr
durch solche Frauen zu unter-
schätzen.

WWWelche Rolle spielt die Türkei?elche Rolle spielt die Türkei?
Die türkische Regierung hat im
Kampf gegen den IS eine schwer
durchschaubare Rolle gespielt.
Gegenüber deutschen Ge-
sprächspartnern hat Ankara im-

mer wieder erklärt, man greife
hart durch. Allerdings: In der
Bundesregierung war man früh
überzeugt, dass sich die Türkei
nach 2011 zur „zentralen Aktions-
plattform für islamistische Grup-
pierungen des Nahen und Mittle-
ren Ostens“ entwickelt hatte. Zu-
dem unterstützte Ankara zu-
nächst IS-Kämpfer, behandelte
sie nach Informationen aus Si-
cherheitskreisen etwa in Kran-
kenhäusern, da beide den Gegner
teilten: den syrischen Diktator
Baschar al-Assad.
Schließlich bemerkte Ankara,
dass man den IS kaum unter Kon-
trolle bekommt – und selbst
längst „Gefahrenraum“ war. Auch
in der Türkei schlugen die mörde-
rischen Terroristen zu. Bei einem
Anschlag zu Silvester auf einen
Nachtclub wurden 39 Menschen
getötet. In Istanbul starben 2016
bei einem Angriff zwölf Personen,
darunter elf Deutsche. Inzwischen
fffackele die Türkei im Kampf gegenackele die Türkei im Kampf gegen
den IS nicht lange, heißt es aus
deutschen Sicherheitskreisen.
Und: Mittlerweile hat sich Ankara
politisch wieder Assad angenä-
hert. Die Türkei mag den Islamis-
mus in den eigenen Reihen weiter
fffördern, gegen den unkontrollier-ördern, gegen den unkontrollier-
baren IS aber geht man vor.
Nimmt man Anhänger gefangen,
weiß man um ihren Wert als
Drohpotenzial – und nutzt ihn.

WWWie hat sich die Lage durch dieie hat sich die Lage durch die
türkische Militärinvasion ver-
ändert?

Mutmaßliche
KKKämpfer derämpfer der
TTTerrormilizerrormiliz
IIIslamischer Staatslamischer Staat
(IS), hier in
einem Gefängnis
in Nordsyrien,
hoffen auf eine
Rückkehr in ihre
AFP Heimatländer

/FADEL SENNA

Der hohe Preis eines

deutschen IS-Kämpfers

Die Debatte über ausgereiste Dschihadisten entwickelt sich zum Machtpoker.


Viele der Islamisten gelten als hochgefährlich – gleichzeitig wissen verschiedene


Regierungen in der Region, welche Trümpfe sie in der Hand halten

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